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schandfleck.ch_archiv/1999/nr.4
daniel costantino
 

courage militärverweigererprozess: lange irrfahrt durch die instanzen

vor den schranken des divisionsgerichts 10 b fand am 27. oktober der prozess gegen marino keckeis statt, dessen zivildienstgesuch, im februar 1997 gestellt, erst- und zweitinstanzlich von der zivildienstbehörde abgelehnt wurde. auf ein wiedererwägungsgesuch wurde nicht eingetreten. im februar dieses jahres rückte marino nicht in die rekrutenschule ein. ein militärstrafverfahren wurde eröffnet, ein gewissenstäter, durch glaubens- und gewissensfreiheit und das zivildienstgesetz teoretisch vor strafe geschützt, sass vor einem verdutzten und sichtlich peinlich berührten militärgericht. das protokoll: die sitzung beginnt pünktlich. das gericht in uniform. der präsident, ein oberstleutnant, stellt seine kollegen, sich selber, den auditor, der die anklage vertritt, und den verteidiger marc spescha, er als einziger in zivil, vor. es folgt einiges vorgeplänkel, weil der verteidiger neue beweismittel verteilt und der auditor eine geheime beratung darüber wünscht, ob sie zuzulassen seien. diskussion auch darüber, ob man marinos vater auf antrag speschas als zeugen einvernehmen könne. dieser zweite antrag wird abgelehnt, der vater, als zuhörer anwesend, aus dem saal gewiesen, er dürfe jetzt auch nicht mehr zuhörer sein wie ein gewöhnlicher mensch, es folgt eine haarspalterische begründung. spescha zieht den antrag kurzerhand zurück, worauf der vater wieder hereinkommen darf. nun kann' s also richtig losgehen, für marino zum x-ten mal. er beantwortet die fragen zu seinen persönlichen verhältnissen, studium, beruf, geduldig, ernst, auch die frage, ob er "eine beziehung habe", beantwortet er, auch wenn der sinn dieser frage nicht ohne weiteres einleuchtet. weshalb er denn, letztinstanzlich im juli 98, von der zivildienstbehörde abgelehnt worden sei, fragt der gerichtspräsident. man habe ihn wie eine nummer behandelt, gibt marino zur antwort, er hätte mehr von gott reden sollen als über sinn und unsinn der armee. das gremium nimmt sich zeit, marino muss vieles, was er schon mehrfach den zivildienstmenschen und dem untersuchungsrichter erklärt hat, hier nochmals ausführen. nein, von einem psychiater, den der gerichtspräsident ihm als rettungsring zuwirft, wolle er nichts wissen, er fühle sich gesund. er würde auch den zivildienst heute ablehnen, er habe genug von der ganzen sache, wolle endlich einen schlussstrich ziehen können. seine gründe, militärdienst zu verweigern, seien sein glaube an gott, die umweltverschmutzung und die geldverschwendung, die mit der armee betrieben würden - geld, das den armen vorenthalten werde. es kommt zu den anträgen der parteienvertreter: der auditor fordert 8 monate gefängnis, bemängelt, dass marino nicht weiterverfolgt habe, weshalb sein wiedererwägungsgesuch unbeantwortet blieb, hebt zu seinen gunsten hervor, dass er einen ernsthaften lebenswandel führe und nicht leichtfertig militär verweigere (wieviel hätte er andernfalls gefordert?). der verteidiger plädiert, dass der entscheid der zivildienstbehörde, marino sei kein gewissensverweigerer, für das gericht nicht rechtsverbindlich sei, dass man hier sehr wohl einen gewissenstäter vor sich habe, der seine tiefen pazifistischen ueberzeugungen lebe und zu unrecht infolge eines bedauerlichen systemfehlers nicht zum zivildienst zugelassen worden sei. er spricht von einem absoluten anachronismus, dass sich ein etisch motivierter gewissenstäter heute noch vor der militärjustiz verantworten müsse. bundesrat und parlament hätten an einer gewissensprüfung durch die zivildienstbehörde bloss festgehalten, weil sie vom zivildienst ausschliessen wollten, wer seinen entscheid gegen das militär "ausschliesslich politisch-taktisch" begründe. das sei bei marino nicht der fall. das ausführliche und hörenswerte plädoyer schliesst marc spescha mit dem antrag, marino keckeis sei mit 14 tagen gefängnis zu bestrafen (und aus der armee auszuschliessen). der auditor repliziert, man dürfe nicht hintendrein die zivildienstinstanzen kritisieren, spescha entgegnet, das gericht sei unabhängig und der frage nach dem gewissensentscheid nicht enthoben.

das urteil, drei monate gefängnis, ausschluss aus der armee und die auferlegung der gerichtskosten von 750 franken, erscheint dem auditor zu niedrig: er kündet noch im gerichtssaal appellation an. marinos odyssee ist noch nicht zu ende.

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