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schandfleck.ch_archiv/2006/november
daniel costantino

von der katze und der maus


ein versuch über die gewissensprüfung

simultan publiziert in 'mund civilist' nr.9

'die stärkste tyrannei ist es, die sich die stärkste frage erlaubt' (elias canetti, 'masse und macht')

bedeutsam erscheint mir der umstand, wie wenig die autorität der befragung selbst angezweifelt, wie selbstverständlich das spiel von belauerung und tarnung, umzingelung und maskerade mitgespielt wird. es gehört zum alltag allerorten, hat sich so tief in unser leben eingenistet, dass es als natürlich erscheint. stets ist man einseitige rechenschaft schuldig, loyalität und gehorsam, am deutlichsten in abhängigkeitsverhältnissen. es mag im einzelnen gesuchsteller lodern und wetterleuchten, er wird doch an der anhörung nicht aufbegehren und sich seiner chancen auf begnadigung berauben. es wäre eine politsche gruppierung vorstellbar, die sich eindeutig für die betroffenen ins zeug legte und tacheles redete. doch schnell, zu schnell hat man die forderung nach freiem zugang zum zivildienst preisgegeben mit dem hinweis auf ein drohendes referendum. nie hat man den akt der gewissensprüfung öffentlich skandalisiert, sondern verspätet und kleinlaut davon gerdet, man möge doch bitte, bitte alle gewissensgründe zulassen. die unterscheidung der echten von den falschen gewissensverweigerern wurde unwidersprochen hingenommen und weiterkolportiert. sektiererisch reitet man auf jenen herum, die sich psychiatrisch ausmustern lassen. man nähme die abschaffung des ausmusterungsverfahrens billigend in kauf, gewänne man dadurch zulauf für die eigenen reihen. hat man von einem aufstand vernommen, der sich gegen den psychiatrischen rekrutierungstest grundsätzlich wandte, nicht gegen sechs einzelne fragen zur sexualität, wie die boulevardpresse spiegelfechterisch dergleichentat, sondern überhaupt? zehntausende füllen ihn aus, bereitwillig, wie verlautet, froh, erkenntnisse über sich von kompetenter seite zu gewinnen. wenn jetzt, je nachdem, die gewissensprüfung abgeschafft würde, so aus kostengründen und nicht, weil sie anrüchig geworden wäre. sie wird andernorts urständ feiern. sie lebt ja überhaupt weiter mit dem psychotest.

in jedem angeklagten und bittsteller lebt die maus, die sich vor der katze fürchtet. solange die katze sie nicht aus den augen lässt, befindet sich die maus in ihrer macht. der befrager und richter steht auf der seite des guten, richtigen, er vertritt die rechtschaffenheit in person. von seiner neutralität kann keine rede sein, wird nie die rede sein können. es ist nicht an ihm, sich zu entblössen, und je mehr sein bittsteller sich schützt, je ungeschickter er sich tarnt, umso grösseren appetit verspürt er, ihm auf die schliche zu kommen. seine maus ist der angeklagte, und er wird im rahmen der vorgaben von oben streng sein oder gnade vor recht walten lassen. wer wäre so frei, den spiess umzukehren und sich eine gewichtige gegenfrage zu erlauben?

eine bewährte technik, das katzundmausspiel zu seinen gunsten zu entscheiden: dem frager keine gelegenheit bieten, in der wunde zu bohren. ihn durch selbstgewählte und reich illustrierte beispiele ins eigene garn spinnen. von allen möglichen seiten immer wieder auf das ziel zusteuern, ganz unwichtig, wie die ausgangsfrage gerade lautet. das verfahren lässt sich üben: man nehme sich vor, von der tomate zu sprechen, wie sie mundet, was sie kostet, von farbe und form, sorten und arten, wo überall sie heimisch ist, welche transportwege sie vom feld bis zum verkaufe zurücklegt. es gibt kein anderes anliegen überhaupt, von der frage nach dem wetter oder dem wohlergehen der verwandtschaft lässt sich spielend dazu überleiten, nach drei, vier sätzen hat man den bogen geschlagen. ungefähr so, um es an diesem beispiel zu verdeutlichen. man kann selber bestimmen, wovon eine stunde lang die rede sein wird und sich durch keine frage aus dem konzept bringen lassen. das tema wird statt der tomate die eigene weltanschauung sein, das empfinden existentieller dinge, bewusstsein und gewissen eben. die kommission wird einem aus der hand fressen, sie will ja keine verhörsituation herstellen. dasselbe system wendet ein guter psychiater an, der seinem klienten wirklich und entschieden helfen will, vom militär wegzukommen. sein gutachten besteht ausschliesslich aus umständen der lebensgeschichte, die der ausmusterung förderlich sind, und es scheint nach zwei oder drei seiten, als gäbe es nur diese umstände im leben seines von ihnen geplagten und gezeichneten patienten. da auch die militärische uc nach der quote tickt, wird sie selbst schlechtgelaunt nicht umhin können, den gesuchsteller auszumustern. es gibt genug waffenplatzpsychiater und andere der uc nahestehenden ärzte, die ihre zeugnisse absichtlich so formulieren, dass man damit verfahren kann, wie man will.

das eingeforderte gewissen wird sich immer nach den herrschenden verhältnissen zu richten haben. anpassung ans tema und seine mustergültige interpretation sind erlernbar etwa in dem sinne, wie ein werk mozarts interpretiert werden muss. das kann am guten willen oder an der unfähigkeit scheitern, die konvention zu begreifen. in gewisser weise muss ein gesuchsteller das ideal geltender rechtschaffenheit mehr als üblich erreichen, den normalen standart übertreffen, der gerade so justiert ist, dass er sich an herrschender zucht und ordnung nicht stösst oder doch die auflehnung scheut. es scheint daher müssig, sich die frage nach der perfekten definition des gewissenskonflikts zu stellen. etwas anderes als die gehorsamspflicht wird dabei nicht herauskommen, solange ein regime sich herausnimmt, die fragerei zu inszenieren. dem strenggläubigen steckt der befehl aus gottes mund im kopf, dem andern halt die sollensforderung an sich selbst. früher hiessen die kriterien autoritäres gewissen, für religiös motivierte, und kategorischer imperativ nach kant für die andern. von autoritären und 'individuellen' gewissen steht noch heute einiges in den kursunterlagen der gewissensprüfer, und dem kategorischen imperativ kants ist nun ein kraut gewachsen mit der 'sollensforderung an sich selbst, die kategorische, absolute bedeutung hat.' das ist durch alle zeiten so und eindeutig genug vorgeschrieben worden, dass sich direkt sagen lässt, das gewissen leite sich vom gehorsam ab.

ein machtinstrument des staats, der selbst kein gewissen hat, sondern kühl bleibt und rechnet. verlust oder rendite. das herrschaftsinstrument der gewissensdefinition ist mittel zum zwecke, den veränderten anforderungen rechnung zu tragen und zugleich keine zügel aus der hand zu legen. es geht um selektion, zuteilung, kontingente und quote. die armeeleitung will nicht mehr als etwa die hälfte aller wehrpflichtigen in ihre reihen aufnehmen. sie spricht ungeniert von der 'selektion der zugelassenen'. die wehrpflicht selbst soll aber unangetastet bleiben. es war stets eine allerhöchste zahl von zivildienstleistenden vorgesehen, nach der sich die zulassungsquote richtet, nämlich die zahl 2000. natürlicherweise sind wenige beamte und behördenmitglieder in das geheimnis dieser vorgänge eingeweiht. zum hierarchischen prinzip gehört, dass wenige alles wissen und viele ausführende organe, befehlsempfänger sind. es ist dafür gesorgt, dass keine kommission über die stränge schlägt und auf zwei, drei prozentpunkte genau die hinter verschlossenen türen ausbaldowerte quote auch erreicht.

zwei beispiele sollen diese behauptung stützen: das eine stammt aus der zeit der militärprozesse gegen die damals so genannten dienstverweigerer. jahrzehntelang hatte es immer gerade ein drittel der verweigerer geschafft, den gewissenskonflikt zugestanden zu bekommen, was zu einer etwas milderen bestrafung führte. 33%, 35%, 34%. dann wurde, anfang der 90iger jahre, nicht etwa die definition des gewissenskonflikts, sondern nur die sanktion für anerkannte gewissensverweigerer geändert. sie hatten nun statt strafvollzug arbeitsdienst zu leisten. über nacht stieg die quote der anerkannten auf 6o%, ohne dass am verfahren an sich und an der auslegung des gewissensbegriffs das geringste anders geworden wäre. das zweite beispiel aus dem aktuellen zivildienst: in den ersten monaten wurden 93% zugelassen. dann sank die quote plötzlich auf 78%, was offiziell damit begründet wurde, dass die beratungsstellen ihren klienten, auch mit anleitung zur lüge, einen vorteil beschafften, den andre ohne beratung nicht hätten - was an sich schon dadurch zu widerlegen gewesen wäre, dass ja schon in früherer zeit die leute zu uns gekommen waren, natürlich auch jene der ersten monate. etwa zwei oder drei jahre später las ich dann in einem rekursurteil, es sei seinerzeit ja beschlossen worden, die ersten 300 gesuchsteller in den zivildienst aufzunehmen, da sie noch unter den erschwerten bedingungen des alten militärstrafrechts verweigert hätten.

dem vorwurf an die zivildienstkommission, sie urteile in gewissen fällen willkürlich, kann ich nur sehr bedingt zustimmen. es sind keine tyrannen, die es sich leisten könnten zu verfahren, wie es ihnen gerade passt. zu eng sind die kriterien gefasst, zu sehr werden sie eingeschult und von ihresgleichen beobachtet und haben sich in einen gruppendynamischen prozess zu schicken. die zulassungsquote ist längst so hoch, dass andre kommissionen sich lächerlich machen würden, überhaupt zu existieren. ich kann mir vorstellen, dass gewisse einzelne mitglieder tiefern einblick in den apparat haben als die andern, dass es gerade ihnen obliegt, der quote, wenn verlangt, nachdruck zu verleihen. irgendwann wird man über die bücher gehen müssen, vierteljährlich, halbjährlich, und mit gewissen korrekturen das gewünschte resultat anpeilen. es wird falls nötig vertrauliche gespräche geben mit ihnen und einen härteren allgemeinen wind, der kurzzeitig durch die korridore bläst. zudem ist es einfach, die eingehenden gesuche danach zu beurteilen, ob sie etwa schwachpunkte aufweisen oder zur oberflächlichkeit tendieren. die guten ins töpfchen, die schlechten ins kröpfchen. es gibt subtile metoden, gegen ein gesuch bei der vorbesprechung stimmung zu machen. mir fällt seit langem auf, dass nur periodisch leute in unserm büro erscheinen, die abgelehnt wurden, immer zwei drei innert kurzer zeit, dann herrscht wieder ein halbes jahr ruhe. zieht man ausser betracht, dass es in den angelegenheiten des staates zu seinen militärverweigerern um eine aufrichtige diskussion über moral und etik ginge, so entfällt eigentlich der vorwurf der willkür, oder er wäre etwas höherem als einer zivildienstkommission anzulasten.

was soll eigentlich der quatsch, könnte man sich fragen, 200 oder meinetwegen 300 willigen jährlich den zivildienst zu verweigern? wäre der staat in gefahr, liesse man sie ebenfalls zu? ich glaube, sie müssen den kopf hinhalten für alle andern, die aufbegehren, rebellieren, davonlaufen könnten. eine warnung an alle. selten wird heute einer wegen militärverweigerung ins gefängnis gesteckt. die katze frisst nur noch wenige mäuse. einige aber packt sie, spielt mit ihnen, schnuppert an ihnen herum, schüttelt sie durch und lässt sie wieder springen. die meisten mäuse kommen mit dem schrecken (und einer fronarbeit für die katze) unversehrt, einige aber nur mit blessuren davon. beispiele zur warnung an die grosse masse der übrigen, sich mit der katze anzulegen.

es gehört zum system zumal christlicher etik, dass es schuldige geben muss, feinde, lügner, egoisten, asoziale elemente. die militärrichter durften da an den früheren verweigererprozessen noch ganz offen reden. die anwürfe treffen imgrunde noch immer jeden militärverweigerer, es wäre sonst keine gewissensprüfung und auch kein staat zu machen. ich denke, wer einen ablehnungsbescheid vom zivildienst erhalten hat, weiss, wovon ich spreche. die entstehung des zivildienstes in der schweiz ist in mancherlei hinsicht ein lehrstück demokratisch legitimierter politik. das parlament hatte, dem bundesrat folgend, beschlossen, ausschliesslich jene verweigerer nicht zuzulassen, die aus rein politisch-taktischen überlegungen oder wirtschaftlichen erwägungen oder aus persönlicher bequemlichkeit keinen militärdienst leisten wollten. dass daraus später amtsintern die 'moralische norm' gezimmert wurde, die absolute, kategorische bedeutung der sollensforderung und ähnliches mehr, ist ein starkes stück. wer das pech hat, zu einem ungünstigen zeitpunkt angehört zu werden, kriegt das entsprechende repertoire aus dem hut gezaubert, für die andern gelten erleichterte bedingungen. willkür kann ich es deshalb nicht nennen, weil der quote rechnung getragen muss, wie oben dargelegt.

sosehr die abschaffung der gewissens- und gesinnungsprüfung zu wünschen ist, so klar wird der zivildienst ein spielball der politik und des staatlichen apparats bleiben, wenn er nicht vom militärdienst entkoppelt wird, die militärpflicht nicht überhaupt entfällt. lediglich dafür zu kämpfen, dass eine wahlfreiheit bestünde, eine grössere anzahl leute einen immerhin verordneten zwangsdienst anzutreten hätten, halte ich ebenso für verfehlt, wie etwa zu fordern, die gewissenskriterien müssten ausgeweitet werden. als gäbe es niederträchtige gründe, nicht ins militär zu wollen! echtes soziales engagement kann nicht per verfassung durchgesetzt werden, ein befehl dazu stösst immer auf widerstand und würde heuchlerischem gebaren vorschub leisten. es gibt organisationen genug, weitere wären bei bedarf zu schaffen, die auf nichtstaatlicher ebene arbeiten und sinnvolle einsätze anzubieten haben, bei weitem nicht nur wehrpflichtigen jungen männern. dass ein staat, seine politiker, seine behörden, seine wirtschaft sich moralischen anwandlungen aussetzen, ist eine illusion, die schon der tägliche lauf und kauf der dinge lügen straft. moralisches verhalten, vermenschlichung der gesellschaft, ein aufrichtiges miteinander überträgt sich durch ansteckung vom einen auf den andern. dazu gehört meines erachtens etwas vom bewusstsein, dass es nur pervers sein kann, menschen in kriegen aufeinanderzuhetzen, die sich nicht einmal kennen, nicht kennen dürfen. man muss die geschichte, die kriegsgeschichte als kriminalgeschichte durchschauen. man muss vom verbrechen reden, massenhaften mord zu organisieren und aufhören, untertänig um ersatzdienst zu betteln, sonst bleibt die maus immer im banne der katze. es kann nicht gelten, einen ersatz für etwas verwerfliches zu leisten und damit die ideologie und die etische bemäntelung des massenmords immer auch ein stück mitzutragen, weil man sie, um mehr für die eigene seite herauszuschlagen, öffentlich nicht anzutasten getraut. oder, wie erich kästner es einmal formuliert hat: was immer auch geschieht, nie dürft ihr so tief sinken, vom kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.

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