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schandfleck.ch_archiv/1998/nr.2
michel foucault
 

auszug

der 1984 verstorbene französische filosof und historiker michel foucault hat sich in seinen vorlesungen am collège de france in paris auch zu krieg und frieden geäussert: ein auszug aus seiner vorlesung vom 26. januar 1976 gibt einen kleinen einblick über seine forschungsarbeit zu diesem tema: foucault hat sich in einem interview zu seinen forschungsarbeiten und publikationen wie folgt geäussert:

"dass meine arbeit etwas mit filosofie zu tun hat, ist sehr gut möglich: vor allem, das die filosofie - zumindest seit nietzsche - die aufgabe des diagnostizierens hat und nicht mehr eine wahr-heit zu sagen sucht, die für alle zu allen zeiten gültig ist. ich versuche eben zu diagnostizieren: die gegenwart zu diagnostizieren. ich versuche zu sagen, wer wir heute sind und was es jetzt bedeutet, das zu sagen, was wir sagen. dieses graben unter unseren füssen charakterisiert seit nietzsche das gegenwärtige denken, und inerhalb dessen kann ich mich als filosofen bezeichnen." (aus caruso paolo: gespräch mit michel foucault. in seiter walter (hrsg.): von der subversion des wissens, frankfurt/m. 1987, s. 12)

auszug:

(...) "die erste frage, der ich nachgehen möchte, ist folgende: wie, seit wann und warum hat man angefangen wahrzunehmen oder sich vorzustellen, dass es der krieg ist, der unterhalb und innerhalb der politischen beziehungen funktioniert? seit wann, auf welche weise, aus welchem grund hat man gedacht, dass so etwas wie ein ununterbrochener kampf den frieden durchzieht und dass also die zivile ordnung im grunde und in ihren wesentlichen mechanismen eine schlachtordnung ist? wer ist auf die idee gekommen, dass die zivilordnung eine schlachtordnung ist? wer hat den krieg im filigran des friedens wahrgenommen? wer hat im lärm und im wirrwarr des krieges, wer hat im schlamm der schlach-ten das erkenntnisprinzip der ordnung, des staates und seiner institutionen gesucht? man kann die frage auch so stellen - und so habe ich sie mir selber gestellt: wer hat die idee gehabt, den grundsatz von clausewitz umzudrehen, wer hat die idee gehabt zu sagen: es mag sein, dass der krieg die mit anderen mitteln geführte politik ist - aber ist nicht die politik selber der krieg, der mit anderen mitteln geführt wird? nun, ich glaube, das problem ist nicht so sehr: wer hat den satz von clausewitz umgedreht? das problem ist vielmehr: welches war der grundsatz, den clausewitz umformuliert hat, oder vielmehr: wer hat den grundsatz formuliert, den clausewitz umgedreht hat, als er sagte, der krieg ist nur die anders geführte politik? ich glaube tatsächlich, dass der grundsatz, dass die politik der mit anderen mitteln fortgesetzte krieg ist, clausewitz bekannt war. und clausewitz hat diesen diffusen und zugleich präzisen satz, der seit dem 17., 18. jahrhundert zirkulierte, umgedreht. die politik ist der mit anderen mitteln fortgeführte krieg. es gibt in dieser vor clausewitz existierenden tese ein paradox. etwas vergröbernd kann man sagen, dass mit der entwicklung, mit dem anwachsen der staaten im mittelalter und an der schwelle der neuzeit die einrichtungen und die praktiken des krieges eine sehr charakteristische und sichtbare wendung genommen haben, die man so beschreiben kann: die kriegshandlungen und -anstalten haben sich mehr und mehr in den händen einer zentralmacht konzentriert, so dass dann de facto und de jure nur noch die staatsmächte kriege anzetteln und kriegsmittel einsetzen konnten. also eine verstaatlichung des krieges. in der folge verschwand aus dem gesellschaftskörper, aus den verhältnissen zwischen den gruppen, das, was man den alltagskrieg nennen könnte, was man den privatkrieg nannte. mehr und mehr gibt es kriege nur noch an den grenzen, an den äusseren grenzen der grossen staatseinheiten - als tatsächliches oder drohendes gewaltverhältnis zwischen staaten. nach und nach wurde der gesellschaftskörper von den kriegerischen beziehungen gesäubert, die ihn durch das mittelalter hindurch durchzogen hatten. durch diese verstaatlichung, die ihn an die grenzen des staates drängte, wurde der krieg zum professionellen und technischen monopol eines sorgfältig definierten und kontrollierten militärapparates: entstehung der armee als institution, die als solche im mittelalter nicht existiert hat. erst am ende des mittelalters entsteht ein staat, der mit einer militärinstitution ausgestattet ist. die militärinstitution setzt sich sozusagen an die stelle einer alltäglichen und allgegenwärtigen kriegspraktik. ein militärisch ausgestatteter staat setzt sich an die stelle einer ständig von kriegsverhältnissen durchquerten gesellschaft. man wird auf diese entwicklung zurückkommen müssen - aber von dieser historischen hypotese können wir vorläufig ausgehen. wo liegt nun das paradox? das paradox ist, dass während oder nach dieser transformation, die den krieg einerseits zentralisiert und andererseits an die grenzen der staaten verdrängt hat, ein bestimmter diskurs aufgetaucht ist, ein neuartiger diskurs. neuartig, weil er, glaube ich, der erste historisch-politische diskurs über die gesellschaft ist, der sich von der bislang gepflogenen filosofisch-juridischen redensart deutlich unterscheidet. dieser historisch-poltische diskurs, der nun auftaucht, ist gleichzeitig ein diskurs über den krieg, über den krieg als dauernde soziale beziehung, den krieg als unauslöschlichen grund aller machtverhältnisse und -einrichtungen. (...) was sagt diese rede? im gegensatz zur filosofisch-juridischen teorie sagt sie: die politische macht fängt nicht dann an, wenn der krieg aufhört. die rechtliche organisation der macht, die struktur der staaten, der monarchien, der gesellschaften hat ihr prinzip nicht dort, wo der lärm der waffen verstummt. der krieg ist nicht zu ende. zunächst hat er die geburt der staaten geleitet. das recht, der frieden, die rechte sind im blut und im schlamm der schlachten geboren worden. darunter sind nicht ideale schlachten zu verstehen, nicht solche rivalitäten, wie sie von filosofen oder juristen gedacht werden. es geht nicht um eine art teoretische wilderei. es handelt sich nicht um die quellen der natur, an denen die ersten hirten trinken. das gesetz ersteht aus wirklichen schlachten, aus siegen, aus eroberungen mit ihren schandtaten und ihren schreckenshelden. das gesetz geht aus verbrannten städten und verwüsteten ländern hervor...
aber das heisst nicht, dass die gesellschaft, das gesetz, der staat gleichsam der waffenstillstand in diesen kriegen ist, die endgültige besiegelung der siege. das gesetz ist nicht befriedung. unter dem gesetz geht der krieg weiter, er wütet weiter innerhalb aller machtmechanismen, auch der geregeltsten.
der krieg ist der motor der institutionen und der ordnung. auch in dem geringsten seiner räderwerke wird der frieden vom krieg getrieben. anders gesagt: man muss unter dem frieden den krieg herauslesen. der krieg ist die chiffre eben des friedens." (...)

aus foucault michel: vom licht des krieges zur geburt der geschichte. merve verlag, berlin 1986

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