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schandfleck.ch_archiv/1998/nr.2
daniel costantino
 

zivildienst ch: traurige bilanz

da ist er also ins land gekommen wie der heissersehnte frühling, dieser wunderbare zivildienst, nach dem die linke in der schweiz weiss gott jahrzehntelang vergeblich rief. welche erlösung, endlich! welch sinnvolle alternative! rundum glückliche gesichter! man hat nun doch auch zustande gebracht, was in den umliegenden ländern längst gang und gäbe ist! man hat schliesslich und schlussendlich den militaristen die stirn geboten! das verfahren ist punkt für punkt geregelt, wie es sich für einen rechtsstaat gehört, die zulassungsbestimmungen füllen ganze anwaltskanzleien, die gewissensprüfer und -innen sind bestellt durch ein öffentliches, korrektes auswahlverfahren und wägen nun nach gran und gramm das gewissen jedes einzelnen bewerbers in stundenlangen verhören, und ein paar obristen, gar auch ein brigadier, haben unscheinbar in ihren reihen einsitz genommen unter gütiger patronnage des vbs, das, wir hängen es nicht an die grosse glocke, bei jedem wahlvorschlag sein veto einlegen kann wie der papst in rom bei der bischofswahl. zeit und musse genug für die parteien und ihre wortgewaltigen, sich im glanze tapfer eingehaltener stillhalteabkommen zu sonnen, die den üblen zank um kompromisse von vornherein überflüssig machten. und derweil das bwa emsig dabei ist, immer noch strengere gewissensdefinitionen auszubrüten und kategorischere ablehnungsbescheide zu erfinden, sind's auch die einsatzbetriebe höchst zufrieden: wo in aller welt nähmen die sonst derart topmotivierte junge temporärmitarbeiter her, die ohne murren bereit sind, zu billiglöhnen und minimalen sozialleistungen zu arbeiten?

es sieht so aus, als sei im oktober l996 mit einführung des zivildienstes der gute alte dienstverweigerer von linkem schrot und korn nach langem, tapfer ertragenem leidensweg, jedoch unerwartet rasch, entschlafen. in tiefer trauer gedenken wir seiner aufrechten haltung wie seiner standfesten gesinnung, die es ihm selbst im todeskampf verbot, klagelaute von sich zu geben. ohne windungen und zuckungen hat er hingenommen, dass die gewissensprüfung urständ feierte wie seit dem kalten krieg nicht mehr, dass die dauer des zivildienstes aufs anderthalbfache des militärdienstes angehoben wurde und dass die strafen für etwaige zivildienstverweigerung, nota bene von militärgerichten verhängt, einiges höher ausfallen als zu seiner zeit, als er als schlichter dienstverweigerer noch aussicht hatte, mit ein paar wenigen monaten davonzukommen. da hat er wie der heiland am kreuz zum himmel emporgeschaut und das zeitliche gesegnet, will heissen: er ist aus allen statistiken und bilanzen verschwunden.

um es in aller deutlichkeit zu sagen: es existiert kein recht, zivildienst zu leisten, nicht einmal dies. es gibt einzig das recht, ein zivildienstgesuch zu stellen, juristisch so hoch einzustufen wie das recht, um eine baubewilligung zu ersuchen. das ganze prozedere ist so systemkonform und staatstragend wie nur irgendwas. bürokraten entscheiden über gewissenskonflikte! gewissenskonflikte! etwas anderes ist überhaupt nicht zulässig! es darf keine andern gründe als gewissensgründe geben! fluchen übers militär verboten! die armen schäflein, die niemandem leids zufügen können! denen man generöserweise ermöglicht, 15 monate frondienst leisten zu dürfen, um nicht zum bösen wolf zu kommen!

das ist keine politische errungenschaft, das ist heuchelei auf dem buckel derer, denen gefängnis oder psychiatrisierung droht, wenn sie nicht bereit sind, für ihr land das leben anderer zu töten oder ihres zu geben. jedes vaterland das teuerste! jeder staat der freiste, der gerechteste, der friedfertigste! wie liessen sich sonst kriege inszenieren, treibjagden auf flüchtlinge veranstalten, ein gleichgewicht oder ungleichgewicht des schreckens herstellen? und wäre es nicht so, dass eine moderne armee eine kleinere, beweglichere, spezialisiertere ist als in früheren zeiten, es gäbe kaum irgendwo und schon gar nicht in der schweiz einen zivildienst. man kann die tausend männer pro jahr nämlich entbehren. genauso wie die zehntausend psychisch angeknacksten, das ist die rechnung. das militär braucht keinen zu füttern, der zuviel ist. nur gut, dass man immer noch die allgemeine wehrpflicht hat! man kann nie wissen! und schliesslich soll doch wohl jeder etwas tun müssen, oder?

wo ist da der fortschritt? zeugt es nicht von kleinkariertem krämergeist, dass man um kommastellen hinter der eins feilscht bei der bemessung der zivildienstdauer? je komma desto gewissen! und die hanebüchene quotenschieberei hinter den kulissen! wer hat da genörgelt, 93% zulassungen seien zuviel und es durchgetrotzt, dass sie nun 77% beträgt, tendenz sinkend? wer ist hinter diesen jungen idealisten her wie der teufel hinter der armen seele?
erbsenzähler! betonköpfe! gesinnungsschnüffler!

man kann es nicht allen recht machen. ein bisschen gerechter wäre es allerdings, wenn nicht die jungen männer wehrpflichtig wären, sondern jene, um deren freiheit und sicherheit es hier und anderswo nämlich geht: die angehörigen der witschaftselite und der hochfinanz, die politische und militärische obrigkeit. wenn die den kopf hinhalten müssten, wäre die abschaffung der armee bei nächster gelegenheit einiges wahrscheinlicher.

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