news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
schandfleck.ch_archiv/1999/nr.3
daniel costantino

schandfleck- gespräch

die beratungsstelle für militärverweigerung wird 199 monate alt! zeit, ein fest auf die beine zu stellen, aber auch zeit, die ganzen 16 jahre einmal revue passieren zu lassen. im folgenden schandfleck-gespräch unterhalten sich ehemalige und jetzige verweigerer-berater über alte zeiten und aktuelle probleme und ziehen ein resumée aus ihrer tätigkeit. es diskutieren: pjotr haggenjos, erster inhaber der bezahlten sekretär-stelle, seine nachfolger donato ponzio, ueli rufer und daniel costantino (dc), die ehemaligen berater daniel stehelin und urs geiser (gigi), der in den 80iger jahren sowohl als berater arbeitete wie auch den zivildienst ch in bürogemeinschaft mit der beratungsstelle leitete.

dc - wie hat das eigentlich alles angefangen mit der beratungsstelle? wer von euch war schon dabei?

pjotr - ich war damals schon dabei, das war 1983. die gründung der beratungsstelle wurde initiiert von zwei verweigerergruppen, die es damals gab. wir haben schon vor 83 regelmässig beratungen durchgeführt, jeden samstag in der brass, in der beiz, ich glaube, seit 81. diese treffen am samstag von 10.00 bis 12.00 wurden in der friedenszeitung angekündigt und wahrscheinlich auch in andern blättchen. gleichzeitig wurde meine damalige private adresse als kontaktadresse inseriert. dadurch bekam ich sehr regelmässig telefonanrufe von leuten, die infos brauchten. zum teil habe ich telefonisch auskünfte erteilt oder habe die ratsuchenden sonst getroffen oder konnte sie auf den samstag vormittag verweisen. relativ schnell kriegte ich den eindruck, dass es ein bedürfnis nach einer beratungsstelle gäbe, wie sie zu der zeit schon in zürich existierte. ich habe dann vorgeschlagen in den gruppen, sowas auch in bern aufzuziehen, und stellte mich zur verfügung, für ein jahr als sekretär der stelle zu arbeiten. wir lancierten verschiedene appelle für geldspenden, vor allem schickten wir briefe an potentielle freunde einer solchen beratungsstelle. adressen kriegten wir von der damaligen zivildienstinitiative, region bern, und von der friedenszeitung. so haben wir angefangen damals. der erste appell ergab ein paar tausend franken. was man auch sehen muss: es war ein sehr günstiger moment, ein jahr vor der abstimmung über die zivildienstinitiative, als militärverweigerung eines der innenpolitischen haupttemen war. in sensibilisierten kreisen war viel goodwill für unser anliegen vorhanden.

ueli - ich war schon relativ früh an den samstag-treffen dabei, ich glaube aber, der verein war damals schon gegründet. ich habe erst am rande ein wenig mitgemacht, mit der zeit begann ich dann, auf der beratungsstelle zu arbeiten. ich denke, die stelle als sekretär habe ich etwa 86 übernommen.

gigi - ich kam von der zivildienst-initiative her, war ihr sekretär ab 83 und habe nach verlorener abstimmung den laden auf sparflamme weitergeführt, in einer übergangsfase in fribourg. zudem war ich damals auch im centre martin luther king in lausanne engagiert und habe dort mit der beratungsarbeit für militärverweigerer angefangen. irgendeinmal kam man überein, dass es sinnvoll sei, das zivildienstbüro ch von fribourg nach bern zu zügeln und mit der militärverweigerer-beratung eine bürogemeinschaft zu machen. ich war also immer in erster linie sekretär des zivildienstes ch, aber durch die bürogemeinschaft haben sich natürlich schnell einmal gewisse synergien ergeben, beispielsweise mit der zeitung: die beratungsstelle gab das "uchrut" heraus, ich arbeitete an der zivildienst-zeitung, und dann haben wir beides zur "zivilcourage" fusioniert und überhaupt immer enger zusammengearbeitet. die frühere "zivilcourage" war also sowohl das organ der berner militärverweigerer-beratung wie jenes der zivildienstinitiative.

daniel st. - war die sekretär-stelle immer schon eine bezahlte stelle?

pjotr - ja, schon meine war bezahlt, relativ symbolisch und bescheiden, ich glaube, mit etwa 1100.- für die 50%-stelle.
ueli - das war auch bei mir noch in dieser grössenordnung.

dc - das ist auch heute noch in dieser grössenordnung. die teuerung wurde quasi damit ausgeglichen, dass es jetzt keine 50, sondern nur noch 30% sind.

pjotr - kompensation mit reduktion der arbeitszeit,
eine moderne sache...

dc - wir waren anfang 91 als gänzlich neues team angetreten und haben die stelle von anfang an als 30%-stelle definiert. wir waren fünf neue leute, zudem gab es noch eine zeit lang die samstag-beratungen, da haben noch zwei drei leute mitgemacht aus deiner zeit, ueli. die haben dann aber aufhören wollen, und damit gab es die samstag-beratungen nicht mehr. seither finden die beratungen alle im büro oben statt. aber was mich interessiert: hattet ihr auch immer geldprobleme wie wir? seit ich dabei bin, haben wir die chronisch. einen solch hohen kassenstand aber, wie ihn mir ueli übergeben hatte, habe ich seither nicht mehr gesehen, ein- oder zweimal kam man noch fast in die nähe, aber das ist jetzt auch schon lange her.
pjotr - die finanziellen probleme sind nach dem ersten jahr recht schnell gekommen, nachdem der gute moment mit den synergien der zivildienst-initiative vorbei war. nach ablehnung der initiative wurde es schwieriger, andere temen bekamen politisch priorität.

dc - hat wenigstens die zeitung etwas geld abgeworfen?

donato - das war der grund, dass man fusioniert hatte: die zeitung. die "zivilcourage" war die geldmaschine am schluss, nichts anderes. wir hatten in den besten zeiten eine auflage von 3ooo stück, die meisten, die abonnierten, zahlten mehr als den abo-preis. das war dank der fusionierung, so kamen wir an die adressen der zivildienst-zeitung, und obwohl das tema zivildienst an sich ausgereizt war, konnte man durch die verbindung "uchrut"-"zivildienstzeitung" zur "zivilcourage" noch zwei jahre davon leben.

dc - dänu, warum bist du 91 auf der beratungsstelle eingestiegen?

daniel st. - ich war bei der gsoa. du ueli wolltest aufhören, und da gab es bei uns in der gsoa einen aufruf, wer bei der beratungsstelle mitmachen wolle.

dc - du warst nicht der einzige, der gekommen ist. irgendwie habt ihr von der gsoa erwartet, die beratungsstelle werde nächstens überlaufen wegen des "aufrufs zur tat", den die gsoa damals lancierte.

daniel st. - da hatte man sich wahnsinnig was vorgestellt, was dann nicht eingetroffen ist.

dc - es wurde dann einfach ein gutes 5oo-er jahr, mit über 5oo beratungen, das gibt es hin und wieder, in diesem jahrzehnt insgesamt drei oder vier. es schwankt zwischen 400 und 550 beratungen, auf ein gutes jahr kann ein mageres kommen und umgekehrt.

pjotr - habt ihr auch totalverweigerer?

dc - bis jetzt habe ich einen kennengelernt, das war der pfarrer aus dem bernbiet, das ist damals in der presse gekommen. ich weiss aber nicht, was aus all denen wird, deren zivildienstgesuch abgelehnt wird, es geht sehr lange, bis rekurse behandelt werden, und dann meist abschlägig. anfangs der 90iger jahre waren wir dauernd an verweigererprozessen, jetzt bin ich schon seit jahren an keinem mehr gewesen. - wie wart ihr eigentlich früher mit der kirche verstrickt? da ist doch früher mal kirchengeld auf die beratungsstelle geflossen?

pjotr - am anfang machten wir einen appell, sowohl an die katolische wie an die protestantische kirche, und ich glaube, die katolische hat gar nie geantwortet. doch vom synodalrat der protestantischen kirche kam ein schreiben, man interessierte sich für die sache, wollte aber einfluss nehmen auf die person, welche die sekretär-stelle innehat. ich habe das dem umstand zugeschrieben, dass ich in den 70iger jahren, als ich in bern studierte, sehr aktiv war in der evangelischen universitätsgemeinde, und das auf eine art, die der kirche nicht immer gefiel. und ich glaube, man wollte die beratungsstelle nicht unterstützen, solange ich ihr sekretär war. nachdem du, donato, den posten übernommen hattest, haben sie dann problemlos ein paar tausender lockergemacht. (grosses gelächter)

donato - nun, ich hatte mich einfach wieder mal gemeldet bei der kirche, und es gab da eine frau, die stand der sache sehr wohlwollend gegenüber, die hat dann einen antrag gestellt, nachdem der pjotr gegangen war (wieder gelächter), und ich musste antraben und red und antwort stehen. und sie haben einen betrag gesprochen von 5ooo.-- im jahr, geknüpft an die bedingung, dass ich die stelle leite.

pjotr - ich nehme an, dass gewisse stellungnahmen, die ich in den 70iger jahren abgegeben habe, und gewisse äusserungen über die kirche und mein spezielles engagement in ihr einfach als linksextrem und politisch und nicht als christlich gesehen wurden. aber ich habe nicht das gefühl, dass man mir etwas vorgeworfen hätte bezüglich dem, wie auf der beratungsstelle gearbeitet worden ist.

donato - gestrichen wurde das geld dann nach meinem weggang...

ueli - nicht sofort, eine zeit lang kam es noch.

donato - jedenfalls, als dann die ökumenische stelle für militärdienstfragen errichtet wurde.

gigi - um vielleicht ein leicht schiefes bild zu korrigieren: das mit den finanzen war trotzdem nie unproblematisch, obschon wir viele gute adressen hatten und tolle spenderinnen und spender und sogar die kirche eine zeit lang geld gab - wir haben mehr oder weniger immer von der hand in den mund gelebt.

ueli - man hat sich immer was einfallen lassen müssen, hatte durststrecken.

donato - eine zeit lang war das gurtenfestival eine geldmaschine. zweimal hat es dort recht viel geld gegeben, über 10 000 .- einmal hatten wir einen pizzaofen, das andere mal haben wir einen kübel gelberbsen gemacht, der reini und ich sind in den wald gegangen, gräser suchen. dieser waldsalat war der totale knüller (megagelächter). dann wurde das gurtenfestival aber für uns zu teuer mit der ganzen kommerzialisierung.

daniel st. - haben wir sowas nicht auch mal diskutiert?

dc - wir haben immer alles mögliche diskutiert, jetzt endlich, nach 9 jahren, machen wir ein solifest in der reithalle.

daniel st. - ja, aber wir haben doch auch mal auf den gurten gewollt....

dc - wir wollten alles mögliche, ja, mit musikern irgendwas machen...

ueli - einmal haben wir in der mühle hunziken was organisiert..

daniel st. - genau! das war immer unser grosses vorbild!
(gelächter)

pjotr - aber das war nach meiner zeit (wieder gelächter)

dc - damals soll recht viel geld geflossen sein...

ueli - ach was, etwa einen tausender haben wir gemacht. einen tausender haben sie springen lassen.

dc - aus lauter angst, in der reithalle rückwärts zu machen, haben wir jetzt wochenlang sponsoren gesucht, und nun haben wir zwei gefunden. wenn also am fest noch ein tausender hinzukommt, existieren wir weiter, sonst sieht es finster aus. und ich denke, wenn nicht insgesamt mindestens 3000.-- zusammenkommen, haben wir das nicht nur zum ersten-, sondern auch zum letzten mal gemacht, das ist ein so enormer aufwand, furchtbar.

ueli - mögt ihr euch erinnern, wir haben doch mal noch eine petition lanciert...

gigi - die unbehagenserklärung...

ueli - das lief daneben noch. nein, wir haben vorstösse gemacht, dadurch kamen wir wieder zu adressen, und die haben wir gebraucht, um zu schauen, ob geld hereinkommt.

donato - einmal haben wir ein bundesgesetz verschickt, das die einführung eines zivildienstdelegierten auf gemeindeebene vorsah (gelächter), das war eine lustige sache, das hat auf dem obergericht geendet, ich habe noch ein föteli davon.

pjotr - dabei ging es aber nicht um geld, sondern darum, den abschied vom zivildienst auf eine würdige art zu feiern. die aktion war letztendlich einfach selbsttragend, und zwar deshalb, weil der staat die gerichtskosten hat übernehmen müssen. der clou und das grösste am ganzen war, dass wir in erster instanz freigesprochen wurden und der staatsanwalt des kantons bern oder ich weiss nicht mehr welcher die frist verpasst hat, um einsprache zu erheben. er hat es dann trotzdem noch gemacht, aber zu spät.

donato - der anklagepunkt hiess amtsanmassung. wir haben den text nicht unterschrieben, es stand nur furgler darunter (megagelächter), und der grund des freispruchs war im endeffekt, dass unten auf dem original dieses total guten gresetzes stand: träumen erlaubt, postfach 1694. der richter meinte, jeder vernünftige mensch, der das näher anschaue, müsse ja sehen, dass das ganze ein witz sei. so wurden wir auch wieder ein wenig bekannter, es war eine pr-aktion.

dc - was sagt ihr eigentlich zum heutigen zivildienst?

gigi - ich verfolge es zuwenig im detail, als dass ich mir ein gültiges urteil erlauben könnte. wie die einsätze aussehen, wie weit sie sinn machen, wie weit das ganze auf konkurrenzierung normaler arbeitsplätze hinausläuft. ich weiss nicht ganz genau, wie es beim zulassungsverfahren zugeht, ich bekomme nur ab und zu etwas mit. insgesamt bin ich froh, dass es ihn gibt und dass das langjährige engagement etwas gebracht hat. natürlich ist das nicht nur unser verdienst, es gab die gsoa, 89 fiel die mauer, und die welt sah ganz anders aus. aber ein bisschen wegbereiter waren wir schon auch. ich habe nie grossen utopien nachgehangen, ich finde den zivildienst einfach eine sinnvolle institution. ich bin da also eindeutig mehr auf der zürcher als auf der berner linie, sonst hätte ich auch jahrelang das falsche getan.

dc - du meinst die heutige berner linie?

gigi - also was ich von euch so mitbekomme, seid ihr ja sehr zivildienstkritisch. diesen ansatz teile ich nicht. man kann über die wehrpflicht sicher ganz allgemein diskutieren und muss das sicher auch tun in anbetracht der situation, die sich komplett geändert hat seit 15 oder 20 jahren, aber damals ist es einfach darum gegangen, eine anständige und zivilisierte alternative zu bieten den leuten, die nicht in das scheissmilitär gehen wollen. dass sie einen sinnvollen dienst an der gemeinschaft leisten können. da waren wir durchaus idealistisch geprägt, wollten das aufbauen helfen, kleine mosaiksteinchen beifügen, um zu einer etwas besseren, solidarischeren gesellschaft zu kommen, das war dieser geist. ich weiss nicht, wie zeitgemäss der heute ist, aber insgesamt finde ich es gut, gibt es den zivildienst. ich kenne ein paar leute, die professionell damit zu tun haben. das macht mir keinen schlechten eindruck. bei zwei drei verweigerern habe ich mitbekommen, wie sie den zivildienst gemacht haben. ich finde es nicht schlecht. es ist besser herausgekommen, als wir es befürchtet haben.

daniel st. - für mich war meine zeit auf der beratungsstelle geprägt von der auseinandersetzung mit der gsoa. ich kam ja selbst von der gsoa. irgendwie haben wir sehr schnell nicht ins konzept reingepasst, das die gsoa mit uns vorhatte.

dc - hatte die gsoa mit uns was vor?!

daniel st. - ja, das weiss ich nicht. aber ich kann es mir vorstellen. wir waren hier sehr schnell recht kritisch. unser hauptpunkt war schnell einmal, dass gewissensprüfung und anderthalbfache dauer beim zivildienst nicht gehen. aus diesem grund hatten wir einigemale troubles mit der gsoa.

pjotr - was ich auch bedauerlich finde, dass gewissensprüfung und tatbeweis (anderthalfache dauer) kumuliert sind für die zulassung. mich dünkt schon, dass man hier weiterarbeiten muss. ein gewisser prozentsatz fällt durch. auch wenn ich nicht genau weiss, was mit den abgelehnten passiert, ich finde es inakzeptabel, dass es gewissensprüfung und tatbeweis braucht.

donato - also ich habe bei ganz andern dingen bedenken. zum beispiel, dass der blaue weg immer noch so häufig beschritten wird, die ausmusterung aus psychischen gründen. es gibt wahnsinnig viele, die sich halt so aus der armee rausmischeln. ich finde, das ist ein zentrales problem, das ist eine psychiatrisierung der gesellschaft auf der einen seite, und auf der andern seite wird die ganze gewissensfrage nur so en passant abgehandelt. ich finde es grundsätzlich positiv, dass einer sich gedanken macht, wenn er keinen militärdienst leisten will, und dass er seine gedanken auch artikuliert. das hat mit einer bewusstseinsveränderung zu tun. ich finde es nicht so schlecht, wenn das einer darstellt. schlecht finde ich allenfalls, dass darüber geurteil wird. aber die idee, dass sich jemand konkret gedanken macht und nicht einfach sagt, es stinkt mir, finde ich schon wertvoll, weil das auch potential hat für die betreffenden leute. dies wird aber verhindert mit dem blauen weg. die bewusstseinsbildung der einzelnen personen wird ja herausgefordert mit der gewissensprüfung, das finde ich eine positive seite. leute, die sich gedanken machen und dies auch darzustellen versuchen. ich finde, das hauptproblem ist der ganze schrott der psychiatrie.

pjotr - also meine meinung war immer, dass letztlich jeder selbst herausfinden muss, was er tun kann und will. für mich war nicht ein weg besser als der andere. ich habe immer versucht zu zeigen, welche möglichkeiten beide wege haben, knast oder blauer weg. für mich war das ziel, dass die, die aus irgendeinem grund nicht militärdienst machen wollten, auf irgendeine art wegkamen. es war für mich letztlich nebensächlich, ob über den blauen weg oder via gefängnis.

dc - der blaue weg ist ein tabubereich. die ärzte könnten viel erzählen, was sie an dieser sache zu kritisieren hätten, aber sie haben angst um ihren ruf. hingegen weiss ich, was geschrieben werden muss, damit einer wegkommt, auch wenn man die uc nicht unbedingt mit diagnosen bombardieren muss, am schluss muss es auf depression oder psychose herauslaufen oder dergleichen, das kann man auch in einem schönen aufsatz darstellen. aber unsere arbeit ist nach wie vor dieselbe: es ist nicht an uns, knastis oder zivildienstler oder psychiatriefälle zu produzieren, sondern den leuten zu sagen, was es für möglichkeiten gibt, was sie hier oder dort in kauf nehmen müssen, um welche temen es hier und dort geht, und sie dann auf dem weg, den sie einschlagen, zu unterstützen. das ist unsere arbeit auf der beratungsstelle. daneben gibt es neuerdings den "schandfleck", wo wir unabhängig von der beratung schreiben, was wir über die ganze sache denken. wir hoffen auch immer, dass auch andere leute sich finden und in unserer zeitung darüber reflektieren. das bestätigt natürlich gewisse kreise in der annahme, wir seien die roten tücher, aber das haben sie schon immer gefunden von uns, dass wir hier weiss nicht was produzieren, das ist mir aber wurscht. die beratung läuft gleich wie auf andern beratungsstellen.

donato - das war schon immer so, wir sind auch immer angeschossen worden.

dc - ich vermisse eine streitkultur, eine wirkliche auseinandersetzung. ich habe sie vermisst, als es bei der abstimmung um die frage des zivildienstes ging, was darf der staat eigentlich verlangen, wie ist das mit der wehrpflicht, was ist mit dem militarismus, ich vermisse auch in linken kreisen eine diskussion über diese temen. und das stört mich.

donato - das interessiert halt niemanden.

dc - weiss ich nicht...

donato - also mich ja eigentlich auch nicht. im rückblick muss ich mich fragen, was habe ich mir mit meiner verweigerung damals eingebrockt und was interessiert es mich heute eigentlich. wenn ich denke, wieviel energie ich eingesetzt habe und was dabei herausgeschaut hat, muss ich sagen, je mehr ich reingesteckt habe, umso schwachsinniger kam es im endeffekt heraus. ich hätte gescheiter etwas schlaueres gemacht. so gesehen verstehe ich auch jeden, der sagt, es interessiere ihn wirklich einen scheiss. nur so wird die ganze struktur abgeschafft, je weniger sich leute damit beschäftigen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich das ganze mal zu tode läuft. viel anderes sehe ich im moment nicht.

pjotr - was, du meinst die armee?! je weniger man darüber spricht, umso eher schafft sie sich selber ab!? (gelächter)

donato - ich meine, je mehr energie man in die diskussion steckt, umso mehr können sich militaristen wieder profilieren und kriegen dafür macht und geld. je weniger man darüber spricht, desto wahrscheinlicher ist es...... das ist wie mit dem waldsterben, das ist auch einfach verschwunden. der wald stirbt zwar weiter, und es wird immer noch ein paar militaristen geben, die gehen dann halt irgendwohin in den kosovo oder wohin immer, aber das läuft sich irgendwann auch dort einmal zu tode.

pjotr - mit dieser analyse bin ich gar nicht einverstanden. vor nicht allzu langer zeit hat man ja kaum über die armee gesprochen, und wenn, dann anekdotenhaft. die aktivdienst-generation hat darüber gesprochen, über die bewahrung der schweiz und über andere myten, darüber wurde schon gesprochen, aber die armee ist nicht fundamental in frage gestellt worden. die ist erst in frage gestellt worden über die diversen zivildienstinitiativen und dann wegen der gsoa, und ich sehe da schon einen positiven effekt, heute darf man offiziell dagegen sein, ohne dass man gerade ein staatsfeind ist. und was noch fast wichtiger ist: sogar die armee muss heute um ihre finanziellen anteile am steuerbudget kämpfen, da fliesst nicht einfach von sich aus geld, und auch die armee muss abstriche machen. sie muss heute um ihre berechtigung kämpfen.

donato - aber ich führe das nicht auf unsere und anderer
anstrengungen zurück, sondern auf die indifferenzierung.

dc - weisst du, was ich da gelesen und gesehen habe in den medien zum tema kosovo, wie die den krieg befürwortet haben, es gehe um menschenrechte und demokratie und frieden und freiheit, man müsse diesen nato-einsatz einfach aus diesen gründen machen...

donato - das ist aber genau die legitimation des konträren, was die armee repräsentiert. schon das ist megakrank. das läuft sich zu tode, da bin ich überzeugt. das kann nicht anders gehen, das ist klassisch. das ist völlig ok. noch ein paar milliarden, die reingebuttert werden, und einmal hört es auf.

daniel st. - da glaube ich nicht dran. etwas nicht zu tematisieren, dann erledigt sich's von selber, nein. es wird vielmehr das tema euro-armee kommen oder wie es dann heissen wird. dass wir hierzulande den militarismus in 10 oder 20 jahren weghaben, weil die alten divisionäre alle tot sind, glaube ich nicht.

gigi - also die weltlage hat ja nicht gerade allen ernst verloren, oder. du donato würdest auch anders über die sache reden, wenn sich niemand wie beispielsweise du so engagiert hätte. auch der zivildienst bleibt aktuell. es gibt in den nächsten jahrzehnten einen grossen bedarf an freiwilliger arbeit und an gemeinnützigem engagement.

dc - was ich nie ganz verstanden habe: welche idee liegt dem zivildienst eigentlich zugrunde. dass man sich die etische anerkennung mit arbeit verdienen soll! warum ein obligatorium, warum ein ganzes bundesamt. wenn leute friedensarbeit leisten wollen, abgesehen davon ist auch nicht alles friedensarbeit im zivildienst, also dann kann man das ja auch sonst tun. warum muss das eine vorschrift sein und einer kontrolle unterstehen, dass das jetzt wirklich die richtigen leute sind, die das machen dürfen. das verstehe ich nicht. wie kann man sich für sowas engagieren, das habe ich nie begriffen. da wird doch einer, der nicht in die armee will und sich dieser diskussion stellt, einfach missbraucht, um einen billigen arbeitsplatz auszufüllen, um ein wirtschaftssystem am leben zu erhalten. ich denke, es geht weder in der wirtschaft noch in der politik um etik, das ist ein deckmäntelchen.

gigi - umso mehr müssten wir dafür schauen, dass es eben ein tema wird in politik und gesellschaft. man kann es aber schon grundsätzlicher anschauen und sich fragen, ist der staat überhaupt legitimiert, vom individuum irgendeinen dienst zu verlangen.....

dc - sagen wir mal einen tötungsdienst. der zivildienst ist ein fortsatz der wehrpflicht, die darin besteht, dass du töten musst, wenn's dir befohlen wird, und dass du dein leben lassen musst, wenn die obrigkeit das will. der zivildienst besteht ja nur in diesem kontext. wir sprechen ja nicht von privaten organisationen, die auch zivildienstplätze organisieren, wo sich jedermann und jedefrau unabhängig von alter und nationalität beteiligen kann, das ist ja gut und recht, davon sprechen wir ja nicht, sondern davon, dass der zivildienst ein anhängsel ist des gebotes, du sollst töten, wenn's dir befohlen wird.

gigi - ich seh's eben nicht so. es ist völlig klar, dass mich eine gewissensprüfung noch immer völlig daneben dünkt und die verlängerte dauer an sich auch. für mich soll der zivildienst zu etwas vollwertigem werden, und es ist für mich gar keine diskussion, das der staat vom einzelnen nicht verlangen darf, dass er zur waffe greift, sonst hätte ich ja nicht verweigert. aber ich denke, dass man in einer demokratischen auseinandersetzung zum schluss kommen kann, dass es nützlich ist, wenn gewisse dienste grad von jungen leuten, die ja meistens zeit haben....

dc - wir sprechen immer nur von männern, gell...

gigi - durchaus denkbar, dass man hier auch eine art gleichberechtigung hinkriegt, wird zwar schwierig sein.... aber grundsätzlich die idee, dass der staat etwas verlangen darf, damit die gesellschaft funktioniert, indem eben leute im sozialbereich eingesetzt werden, im flüchtlingsbereich, in der entwicklungszusammenarbeit - das finde ich weiterhin eine gute idee. natürlich kannst du sagen, das kann ja jeder freiwillig machen und so. ich weiss nicht, ob ich das grad heute oder morgen täte, ob das in meinen lebensentwurf hineinpasst. mit 2o war das ein wenig anders. keine illusionen, bitte. die zeichen heute stehen anders als auf gemeinschaftssinn, auf gleiche rechte - gleiche pflichten. es ist schon mehr einfach fun angesagt und selbstverwirklichung und so als zusammenhalt und solidarität, was ich nicht durchs band einfach nur schlecht finde.

daniel st. - das problem ist aber immer noch der zwang zu einem freiwilligen dienst. die gsoa sammelt ja für eine initiative, die freiwilliger ersatzdienst genannt wird. damit habe ich immer mühe.

gigi - wir sind auch gezwungen, steuern zu zahlen, und wir gehen arbeiten, um die steuern zahlen zu können, wir sind zu sehr vielen dingen gezwungen. gesetze einzuhalten, das ist für mich eine ganz tiefe filosofische diskussion. für mich darf der staat nicht irgendwelche menschenrechte missachten. aber eine gesellschaft lebt davon, dass man ein stück weit erzogen wird, von den eltern, von den lieben mitmenschen, und ein stück weit eben auch von gesetzen und vom staat. (pause) ich habe schon auch meine anarchistische ader, ich fände es wunderschön, wenn es so funktionieren würde, aber ich habe den glauben daran ein wenig verloren. der jugoslawienkrieg hat mein weltbild arg durcheinandergebracht. ich bin kein flammender befürworter der ch-armee geworden, aber wenn ich je ein prinzipieller pazifist war, ich bin es nicht mehr.

ueli - für mich geht es längerfristig immer noch um utopien. ich finde nach wie vor, man sollte dahingehend wirken. ich denke weiterhin, dass der staat niemanden zu einem dienst verpflichten darf. man kann aber wenig tun, wenn so eine krise da ist, man muss nachher wieder schauen, dass man nie mehr in eine solche situation gerät. ob das aber je gelingt, daran habe ich auch gewisse zweifel.

dc - könntest du die beratungsstellenarbeit aber immer noch machen?

ueli - ich bedaure nichts davon, was ich gemacht habe, es war eine gute zeit. heute könnte ich es aber nicht mehr tun, die distanz ist zu gross.

donato - ich kann es mir immer noch gut vorstellen. ich hätte vielleicht einen etwas persönlicheren zugang zu den leuten. ich könnte es mir durchaus vorstellen, aber nicht mehr für diesen lohn.

pjotr - berufsmässig auf diesem gebiet zu arbeiten, das sehe ich nicht mehr.

gigi - ich bin froh über das jahrzehnt, als ich hier war, aber es hat mir auch genügt. ich verfolge eure arbeit mit sympatie und als zuschauer und hin und wieder mit einer milden spende.

der "schandfleck" dankt den teilnehmern für die engagierte diskussion.

nach oben >>>
news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links