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erlebnisbericht
von kari ohnesorg
lieber dänu,
13 uhr 45, dienstag.
zeit, den bürostuhl zu verlassen, um den arzttermin nicht zu verpassen.
die stempelkarte einschieben, code 72, mich terapieren gehen. eine altstadtwohnung,
zwei zimmer mit cachet und jede woche wieder das gleiche szenario. guten
tag herr x, guten tag herr y. schweigen. wenns sein muss für 150
franken 50 minuten schweigen. ich könnte auch 50 minuten lang bus
fahren, sogar einen tag lang für fr. 6.50 und hätte unendlich
viele schweigende vis-à-vis. terapeutisch wertvoll. so geht dies
nun seit jahren, dieses schweigen für 150 franken pro stunde. der
terapeutische prozess braucht halt seine zeit.
mit gewalt begann er. aber mittlerweile bin ich ja vernünftig. obwohl
an diesem zustand einige meiner mitmenschen immer noch zweifeln. sie sind
ja zum teil auch biologen und wissen deshalb, wie das leben der amöben
funktioniert. was klare rückschlüsse auf das verhalten der menschen
zulässt.
erstaunlich. denke an charly. manchmal, wenn er besoffen ist, behauptet
er steif und fest, dass das bundeshaus eine aussenstation der waldau sei.
ich sage dann: "charly, sorry, so hart ist es noch nicht." und
innerlich denke ich, ganz abwegig ist es ja nicht, aber es gibt einen
unterschied. beim bund ist der maximallohn für den patienten nicht
fr. 3.30 pro stunde. (entschuldigung, die patientengewerkschaft der waldau
hat mittlerweile sicherlich schon fr. 5.- pro stunde erkämpft.)
seis drum, da wie dort gibt es chefs. chefs oder ober-oberärzte.
vielleicht auch direktoren oder staatssekretäre, vielleicht auch
bundesräte oder eben klinikleiter. da wie dort gibt es die kluft
zwischen der basis und der spitze. ganz normal.
wenn man unten ist, muss man zwischendurch den chefs sagen: "jungs,
ihr seid zwar chefs, aber ihr verrennt euch."
weshalb gleich bei den chefs anfangen, es gibt ja noch das mittelmass.
dieses mass aller dinge, matematisch erklärt mit der gauss'schen
kurve. in der mitte sind am meisten und die extreme sind halt selten.
es begann auch so, jemand wurde aus meiner mitte gerissen und dann wurde
es extrem. extrem traurig, aber auch extrem lebend. unglücklich war
nur, dass die mitte meinte, das extreme sei gefährlich. die mitte,
oder was ich dafür hielt, verschob sich, zeigte ein anderes gesicht.
geld war im spiel.
lang konnte ich mit dem geld nicht spielen. die tricks der mitte waren
zu clever, und ich trauerte zu lange. das mittelmass befand, der zustand
der trauer dauere an, weshalb man mich fürsorgerisch der freiheit
entziehen sollte. na ja, das erweckt die geister zum leben, sie werden
dann noch trauriger, und nach einigen intermezzos entschloss ich mich,
doch den weg der mitte zu gehen, und meldete mich in der waldau als psychisch
krank an. "jungs und mädels, ich kann nicht mehr". man
gab mir ein bett, einige pflegerinnen und pfleger, assistenz-, ober- und
andere ärzte, und das mittelmass beschloss zudem, dass ich, nun da
ich mich freiwillig einschliessen liess, fürsorgerisch der freiheit
zu entziehen sei.
es war realsatire. ich liess mich einschliessen, und der kumpan des regierungsstatthalters
kam vorbei und klärte ab, ob ich einzuschliessen sei. er meinte noch,
er müsse mich nun zur abklärung fürsorgerisch der freiheit
entziehen, eben einschliessen, aber ich war ja schon eingeschlossen. manchmal
dachte ich, ob das eingeschlossensein anders ist, wenn es staatlich angeordnet
wird, als wenn man es selber macht. zu meinem erstaunen musste ich feststellen,
dass ein unterschied besteht. staatlich angeordnet, wird man auf biegen
und erbrechen durchgetestet.
einige monate später, als ich es noch einmal freiwillig versuchte
und auch vom tester nicht mehr belästigt wurde, gab man mir wieder
pflegerinnen und pfleger, assistenz-, ober- und andere ärzte und
dazu mineral.
welcome back home, da war ich wieder. ein bett, kaffee ohne koffein, mineral
soviel ich wollte, und das essen wurde pünktlich an den tisch gebracht.
rauchen durfte man in einer ecke, und zwischendurch brachte sich wieder
einmal jemand um. der "blick" war nicht nötig, action gab
es genug. nach der zweiten leiche wurde es mir zu bunt. ich bemerkte,
dass man wieder eine mehr produzieren wollte. ich schrieb dem ober- ober-
und wie hoch auch immer chef und meinte: "junge, wenn du sie nun
in den knast steckst, bringt sie sich um. finde ich unnnötig!".
er reagierte auf den brief, besuchte die patientin 15 minuten lang und
entschloss sich, am entscheid nicht zu rütteln.
ist ja klar, er chef, ich krank. hirn er, ich dumm.
der abend kam, wir drei jungs wussten, morgen wird sie in den knast abtransportiert
und sie wird durchdrehen. wir nahmen sie in unsere mitte, tranken noch
einen kaffee, sprachen ihr mut zu. tom sagte: "kari, sie dreht, hol
einen arzt". ich rannte. "hallo reception, notfall". sie
rannte auch, direkt auf die geleise. murphy in den zoggeli hinterher.
reception: "was, wie, wo, zuerst ein formular, und der notfallarzt
hat gerade pause". " vergiss es baby, mach einfach, ich renne
nun". murphy erreichte sie vor den geleisen. wir kamen etwas später,
halten konnten wir sie nur zu dritt. nach einer stunde kam dann der notfallarzt.
"was ist los?"
dann das übliche szenario. spritzen, anketten und drei stunden nach
fahrplan in den knast bringen. alles unter kontrolle.
das leben ging weiter. ich rappelte mich auf und bekam einen job beim
bund, der aussenstation der waldau, wie charly meint.
auch dort gibt es kaffee (mit koffein), rauchen darf man beim kaffee zwar
nicht, aber immerhin kostet das mineral fr. 1.60.
und wenn jemand anders ist, sagen sie dann beim kaffee: "der gehört
in die waldau".
gruss kari
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