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schandfleck.ch_archiv/2003/juli
august stramm
"der letzte"
He! da oben! ich lache! drei Tage stürzen! brüllen! drei Tage Jahre Ewigkeiten! und bist noch nicht zerstürzt, verfluchter Himmel! Blaubalg! pafft Zigarren und stiebt Asche. Alles zusammen den Graben. Schützengraben. Schutz. Grab. die Stellung wird gehalten bis zum letzten Mann! vorwärts Jungens. Das Blaugespenst klimmt rote Augen auf. rot. feuerrot. verschlafen. Der Tag hält nicht aus. so oder so! schiesst! schiesst! der Wald! ja. in den Wald! Schädel. Wolken, lustig! der beste Schütze darf ja. darf zuerst schlafen. Teufel! Schlafen! Mord Müdigkeit Rasen Wut! He! Bursche? Bursche da vorn! willst du? willst du schiessen? du? ja? der kopf zwischen die Beine geklatscht? Drückeberger! schiessen! Knallen! seht! sie kommen aus dem Wald. raus aus dem Lauf! die Backe gesetzt! brav! brav! Schnellfeuer! Blaue Bohnen! Bohnen! Blaue Augen! mein Schatz hat blaue Augen. haha! drauf! drauf! sie laufen. Korn nehmen.Ziel scheiben. laufen. Mädchenbeine. ich beisse. beisse. verflucht. Küsse scharfe, draufgehalten! Standvisier Aug in Auge! Wasser? was? die Läufe glühn? alle Schläuche glühn. letzte Nacht hat die Feldflasche zerschlagen. das trockne Glas geleckt. Die Zunge blutet schluckt. schluckt. schiesst die Flinten kalt! euch selber kalt. Kaltes Blut! da vorne pfützt Wasser. Pfui Teufel! gierig! Dreck! Blut, blutiger Dreck. Blut modert zu schnell. Feuer! Schnellfeuer! raus! nicht einschlafen! Wer? nehmt ihm die Patronen aus der Tasche. Wir brauchen sie. der Kerl blutet! ein kleines Loch kann so bluten! schiessen! Zielpunkt. Donner! knacken! das Flattern! so müsst ihr auch schiessen. Zielen. zielen. gut. ruhig. die Hunde drüben, die arme Erde. Brief in der Tasche? natürlich, schlapp und gleich tot auf der Nase. "mein lieber Mann!" ja. Männer brauchen wir. aber keinen Toten hier. essen. Bröckel Schocolade. Mutter, schiesst Kerle, ach Mütter weinen immer. schiesst! ich war ein weicher Junge.Teufel! Kopf hoch! die Nasen aus dem Dreck! Was? Keiner? alle? Faulenzer! Verstärkung. Hört ihr? Verstärkung kommt. Feind nicht ranlassen! die Flinten vor! Teufel! totsein ist Schande! seht! ich schiesse. schiesse. Verstärkung hört! Trommeln. Hörner. Tata trrr! eilt da hinten! eilt! Muttertränen. Vaterbrünste. Dreck! Drei Tage Dreck! Menschen! meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen. Grab. Hölle. Teufel. mein Arm schiesst. Finger ladet. Auge trifft. Hurrah! Hurrah! die Beine in der Hand! Hurrah! Tod und Leben! hurrah! Eisen! hurrah! drauf! Mein Kopf! Kopf! wo ist mein Kopf? voran. fliegt. Kollert, brav. Bursche! in den Feind! beissen beissen! Säbel! ha! weich der Vaterbauch. weich. Mutter. wo bist du? Mutter. Ich dich nicht? Mutter du küsst. Mutter. rauh. halte mich. ich falle doch. Mutter. ich falle. Mutter.


(august stramm, der 1914 als hauptmann der reserve eingerückt war, fiel am 1. september 1915 bei horodec in russland als bataillonskommandeur. der vorliegende text, der im "sturm", oktoberheft 1916, erschien, gibt einblick in das abgründige kriegserlebnis stramms. die briefe august stramms von der russischen front enthalten nicht nur dichterische gestaltungsprobleme, sondern auch tiefgehende filosofische betrachtungen über die einheit von leben und tod, schönheit und grauen, himmel und hölle, ganz in der geistigen haltung paul klees, wie aus dessen tagebüchern und briefen jener epoche hervorgeht.

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