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schandfleck.ch_archiv/2003/juli
oswald sigg

kritik / quelle: weltwoche

erlebnispark vbs, gnägi-leibchen und immer wieder der sexfragebogen: hilft uns denn niemand in diesem sommerloch?
montag. ein redaktor der weltwoche ruft auf dem handy an, während ich gerade meinen kollegen beim büroumzug helfe, der im rahmen des grossprojekts vbs xxi, verbunden mit dem zentralen projekt belegungsplan 2012 des bundesamtes für bauten und logistik, stattfindet. ob ich bereit sei, mein tagebuch in der weltwoche zu veröffentlichen, also wenigstens so viel, wie auf der letzten seite davon platz findet, höre ich auf einer schlechten leitung. der empfang im korridor des bundeshauses ost ist immer irgendwie gestört. sage etwas zu rasch zu. denn die frage bleibt vorerst unbeantwortet, weshalb die redaktion der weltwoche, dieser trendigen neorechtsbürgerlichliberalen zeitschrift, gerade auf mich, einen 59-jährigen bundesbeamten des militärdepartements, kommt. vielleicht, weil ich als sprecher des vbs amtiere. und dieses wird wohl von der weltwoche in letzter zeit als erlebnispark wahrgenommen, als eine staatliche institution, deren nebenzweck die unterhaltung des volks oder mindestens der populärmedien zu sein scheint.

dienstag. nach einem eher ereignisarmen wochenbeginn - die letzte enthüllung brachte der sonntagsblick mit dem angeblichen "auffliegen" eines generals, der nur gerade im südfranzösischen orange und ferienhalber der einladung eines zürcher verschlüsselungs-software-unternehmens gefolgt sein soll - zieht das geschäft wieder etwas an. "die gnägi-leibchen - kommen sie tatsächlich aus thailand oder südkorea?", fragt entrüstet ein ostschweizer journalist. für einmal verbinde ich mit der gruppe rüstung. weitere anfragen betreffen armeemotorräder, schützenpanzer, zurückgezogene frühpensionierungen und die dritte neuauflage des ogi-witzbüchleins.

mittwoch. der blick wärmt eine alte geschichte auf und lässt nationalräte, die im nächsten herbst wiedergewählt werden wollen, sich aufregen. angehende rekruten werden an der aushebung über ihre psychische gesundheit schriftlich befragt. schon seit den siebziger jahren hat man in jeder rekrutenschule in den pädagogischen rekrutenprüfungen ganz ähnliche fragen gestellt. plötzlich wird diese medizinische erhebung von gesundheitsdaten zur "schnüffel-schweinerei beim militär", zu "geheimen skandal-fragen", die das vbs sofort herausrücken soll. die harmlosen fragen zur sexualität sind auf der homepage der svp-jugendriege "young4fun" seit längerem nachzulesen.

donnerstag.
6.30 uhr am kiosk hinter dem zytglogge.
blick-4,5-cm-schlagzeile von heute: "ungesetzlich!" jetzt müsse endgültig schluss sein mit der "schnüffel-schweinerei beim militär". dieser ansicht ist der eidgenössische datenschutzbeauftragte im rahmen der ersten fortsetzung der blick-skandalserie. auch die politiker würden immer nervöser. kunststück. "langsam reisst der geduldsfaden", notiert der berichterstatter. warum eigentlich?

erster anruf eines journalisten der sonntagspresse. ist noch relativ früh, die meisten beginnen freitags gegen abend. wie wir mit all diesen affären und skandalen - keine pneus für armeeautos, rekruten schlafen im keller, frühpensionierungen, sexfragebogen, generalswahlen - umgehen würden. frage zurück, was denn an den wahlen der neuen generäle für die armee xxi skandalös sein solle. die massive unzufriedenheit bei den nichtgewählten, antwortet er. ob ich die kritik gar nicht so ernst nähme, fragt er weiter. schaue zum fenster hinaus, ins marzilibad hinunter, wo man schwimmt, spielt, vom turm springt. dort unten, unter der grossen pappel liegen und ein buch lesen. endlich wieder einmal ein gutes buch lesen. ach wissen sie, sage ich, das ist wohl das mit dem wahlherbst kombinierte sommerloch, mit dem wir es da zu tun haben, nicht wahr? so lässt sich der mann aber nicht beruhigen. er werde sich wieder melden, droht er.

freitag. jetzt ist - immer gemäss blick (zweite fortsetzung) - das geheimnis der "vbs-skandalfragen" enthüllt. ein scherzbold hat eine vorversion des fragebogens geklaut und ihn unter www.schandfleck.ch veröffentlicht. auf die herkunft angesprochen, sagt er später der sonntagszeitung, sie stamme aus dem nachlass von brigadier jean-louis jeanmaire (1910-92). nun will auch radio drs wissen, ob der fragebogen aus dem programm gekippt werde. wirkippen die rekrutierung aus dem programm, bin ich versucht zu antworten, sage aber mit fester stimme: "sicher nicht."

wo sind sie denn, alle unsere freunde von der südostschweiz über den tages-anzeiger und den bund bis zur liberté und le temps? hilft uns niemand in diesem elenden loch? da ruft der militärredaktor der nzz an. endlich! er will am samstag zuschlagen. sehr gut - die wende zeichnet sich ab. aber natürlich nicht bei dieser läppischen fragebogengeschichte, wie er sie nennt. sondern es müsse einmal klar gesagt werden, dass wenn schon der deutsche sozialdemokratische verteidigungsminister, kaum ein jahr im amt, zur einsicht gelange, deutschland werde am hindukusch verteidigt, dass sich dann eine solche aus den strategischen veränderungen geronnene und erst noch richtige
erkenntnis zwingend auf die schweizer sicherheitspolitik in form einer dem modernen, territorial abstrahierenden, asymmetrischen konflikt angepassten doktrin auszuwirken habe. oder ähnlich. bin nahe daran aufzugeben.

samstag. die agenturen melden, sich auf eine sendung von radio drs berufend, der verantwortliche autor des fragebogens, privatdozent für wehrpsychiatrie an der universität zürich, habe die sechs sexfragen gestrichen. "bald ausgeschnüffelt?", fragt blick. "verteidigungspolitischer kleinmut" ist der titel über der gnädigen breitseite der nzz. der sonntags-redaktor vom donnerstag meldet sich noch einmal. er hat einen knüller: ein hochgeheimer unterirdischer militärflugplatz in der innerschweiz ist durch den sonntagsblick enttarnt worden. bin am zwiebelschneiden für den kartoffelsalat. sage gar nichts, sondern weine still vor mich hin.

sonntag. roger federer ist wimbledon-sieger! das sommerloch ist vorbei. für etwa drei tage.

oswald sigg, 59, ist seit 1997 pressechef des vbs. zuvor war er unter anderem unternehmenssprecher der srg sowie informationschef der bundesräte willi ritschard und otto stich.

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