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offener
brief der giordano bruno stiftung an die taz-redaktion.
auf der nach oben
offenen richterskala journalistischer unzurechnungsfähigkeit
gebührt der kommentar von robin alexander zum "wojtyla-komplex"
(taz vom
2.4.05) zweifellos einer der vordersten plätze. nicht nur, dass es
dem autor gelang,
den zutiefst mittelalterlich denkenden johannes paul ii. als großen
modernisten zu
verkaufen - immerhin der mann, der den fast schon vergessenen exorzismus
wieder
belebte, der die katholisch-fundamentalistische eliteorganisation opus
dei mit allen
mitteln förderte und "heilige faschisten" wie den ustascha-bischof
sepinac in den
stand der seligkeit erhob! nein, er betete auch die litanei des mittlerweile
von allen
guten kritischen geistern verlassenen jürgen habermas nach, wonach
die säkulare
gesellschaft der religion bedürfe, da sie angeblich aus sich heraus
keine eigenen
ethischen werte entwickeln könne!
offensichtlich hat der taz-autor nicht sonderlich gut im geschichtsunterricht
aufgepasst, denn ansonsten hätte ihm auffallen müssen, dass
die fundamentalen
rechte, die die grundlage für eine offene gesellschaft bilden, keineswegs
den
religionen entstammten, sondern vielmehr in einem jahrhunderte währenden
emanzipationskampf gegen die machtansprüche dieser religionen durchgesetzt
werden mussten. dass sich das christentum gegenwärtig in europa von
einer weit
humaneren und toleranteren seite zeigt als in der vergangenheit, ist weder
auf
johannes paul ii. noch auf die meist fehlinterpretierte "bergpredigt"
zurückzuführen,
sondern auf den umstand, dass die christliche religion gezwungen war,
durch die
dompteurschule der aufklärung zu gehen und sich im zuge dieses
zähmungsprozesses menschenfreundlichere umgangsformen anzugewöhnen.
nun wäre es schon schlimm genug, wenn robin alexander die enormen
kulturellen
leistungen der 2500 jahre alten tradition von humanismus und aufklärung
in
seinen darlegungen bloß ausgeblendet hätte, aber mit schlichter
ignoranz wollte sich
der kommentator der taz nicht zufrieden geben. seine gedanklichen entgleisungen
gipfelten in einem "argument", das an absurdität schwerlich
zu überbieten ist,
nämlich dass "die aufklärung in deutschland auch auschwitz
möglich gemacht"
habe!
wer derartig argumentiert, hat sich wohl nie ernsthaft mit der politischen
religion des
nationalsozialismus auseinandergesetzt, die sich zu einem maßgeblichen
teil aus
christlichen wurzeln speiste (man denke nur an die biblisch kolportierte
mär vom
verräterischen schacherjuden judas oder an die drohungen des christlichen
messias, dass die "bösen" dereinst "in den ofen"
geschoben werden!). gewiss: hitler
& co. bauten in ihre arische heilsreligion auch elemente eines falsch
verstandenen
darwinismus ein, die vorstellung aber, dass sie deshalb gleich zu protagonisten
der
1
aufklärung werden, ist so haarsträubend falsch, dass es sich
kaum lohnt, ernsthaft
dagegen zu argumentieren.
grotesk auch die versuchte gegenüberstellung von faschismus und katholizismus:
hat der gute robin alexander tatsächlich nicht mitbekommen, dass
es die
katholische zentrumspartei war, die hitler auf höchste vatikanische
anweisung dazu
verhalf, das ermächtigungsgesetz durchzusetzen, dass das katholische
ustascha-
regime in kroatien mit wohlwollen der obersten kirchenspitze dem nazi-reich
zuarbeitete (und dabei die massenhafte ermordung von serben gleich selbst
in die
hand nahm), dass nach der kapitulation deutschlands ein großteil
der nazischergen
über den vatikan nach südamerika geschleust wurde usw.?
immerhin: zumindest in einem punkt kann man dem taz-autor recht geben:
in der
tat hat die sog. "linke" die bedeutung der religion bislang
maßlos unterschätzt.
offensichtlich unterlag sie einem gefährlichen rationalistischen
fehlschluss, der
davon ausging, dass theoretisch hinreichend widerlegte ideologien notgedrungen
auch praktisch an bedeutung verlieren müssten. gerade die letzten
jahrzehnte
haben aber wieder einmal eindrucksvoll gezeigt, dass allem anschein nach
kein
glaubenssystem absurd genug sein kann, um nicht doch für bare münze
genommen
und mit aller macht verteidigt zu werden.
unsere zeit leidet gewiss nicht daran, dass es heute zu viel aufklärung
und zu wenig
religion auf der welt gibt. das problem ist vielmehr, dass sich religiöse
fundamentalisten jeder couleur in aller selbstverständlichkeit der
früchte der
aufklärung (meinungsfreiheit, rechtsstaatlichkeit, wissenschaft,
technologie)
bedienen können, um auf diese weise wirkungsvoll zu verhindern, dass
die
prinzipien der aufklärung auf den geltungsbereich ihrer eigenen weltanschauung
angewandt werden.
was karol wojtyla modern erscheinen ließ, war, dass er es meisterhaft
verstand, die
aus der wissenschaftlich-technischen evolution erwachsenen instrumente
der
massenkommunikation zu nutzen, um sich weltweit als absoluten herrscher
mit
charismatischen zügen zu vermarkten. ihn deshalb aber gleich als
vorreiter der
modernität zu verstehen, würde bedeuten, das medium mit der
botschaft zu
verwechseln. die weltanschauung des verstorbenen papstes war nämlich
keineswegs moderater als die seiner vorgänger. auch wenn er zweifellos
einen
maßgeblichen anteil an der überwindung des bürokratischen
staatssozialismus im
osten hatte, so war er doch keineswegs - wie zur zeit immer wieder behauptet
wird
- ein kämpfer für freiheit, menschenwürde und demokratie.
im gegenteil! in
wojtylas von engeln und dämonen bewohnten universum kam das gute
stets von
oben, niemals von unten, weshalb er in dem naiv-basisdemokratischen
"kirchenvolksbegehren" einen fundamentalen anschlag auf die
katholische
denktradition erkennen musste.
an dieser autoritären grundhaltung wird sich auch nach dem tod johannes
paul ii.
gewiss nichts ändern. die römische kurie weiß sehr wohl,
dass eine perestroika-
politik innerhalb der kirche die gleichen katastrophalen folgen heraufbeschwören
würde, unter denen die kp-chefs des ostblocks zu leiden hatten: das
über
jahrhunderte dogmatisch zementierte machtsystem der katholischen kirche
würde in
sich zusammenbrechen.
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wer angesichts der antidemokratischen politik, die die amtskirche in ihrer
geschichte kontinuierlich verfolgte und gemäß ihrer unaufhebbaren
dogmen auch
weiter verfolgen muss, ausgerechnet den katholischen "stellvertretern
gottes" eine
noch bedeutendere rolle im globalen dialog zubilligen möchte, der
setzt sich dem
verdacht aus, den bock zum gärtner machen zu wollen. von einer sich
progressiv
verstehenden zeitung wie der taz hätten wir eine derartig ungefilterte
propagierung
antiaufklärerischer gedanken zuallerletzt erwartet. dass es dennoch
dazu kam,
zeigt, wie gefährdet das projekt der aufklärung mittlerweile
schon ist.
im namen der giordano bruno stiftung
dr. michael schmidt-salomon, mastershausen, 3.4.05
***
giordano bruno stiftung
johann steffen str. 1
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