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schandfleck.ch_archiv/2005/dezember
daniel costantino
 

die uniform

sie wird zu bestimmten anlässen getragen: an feiertagen, beim fernsehschauen, zum broterwerb. ab einem gewissen punkte menschlicher beziehungen holt man sie unweigerlich aus dem schrank, oft schon nach der ersten nacht. unausgesprochen oder ausgesprochen fordert jeder staatsmann und jeder kommunalpolitiker, heischen grosse und kleine sportwettkämpfe, dass man sie trage. es gibt unternehmungen, die undenkbar wären ohne sie: die schule, die reklame, der krieg. sie kann verschmutzt sein, strotzen vor dreck - es bleibt untersagt, sie zu reinigen, da sie eine zeitlang nicht getragen werden könnte. es gibt keine anerkannte tugend ohne sie und keine freiheit in ihr. die wenigsten betätigungen gelingen ohne und nur ohne sie, und wenig erstaunlich, dass sie meist im verborgenen, geheimen abgewickelt werden. die liebe unter ihnen die herausragendste. in jedem falle wirkt sich die uniform verheerend aus aufs denkvermögen, auf die fähigkeit zu erkennen, auf die künste. vertreter dieser und verwandter sparten werden wie aussätzige gemieden, und dies noch im besten falle zivilisierter verhältnisse.
ihr entspricht der herdenstrom, etwa aus jeder steckdose zu beziehen, an der ein radio, ein fernsehgerät, eine stereoanlage angeschlossen. ihr huldigen die meisten druckerzeugnisse, die verhältnisse der produktion und die bedingungen des handels. keine hierarchie ohne sie, keine religion und keine wissenschaft. sie verbindet politische gegner, konkurrenzierende systeme, freund und feind. es wäre ohne sie kein kapital zu schlagen und kein staat zu machen. der tag mag kommen, da sie uns von der bildfläche gefegt, aber gewiss keiner, da man sie abgeschafft. keine revolution, die ihr getrotzt, keine erlösung, die ihr entschlüpft. aus diesbezüglichen illusionen wird nie etwas anderes zustandekommen als der erlös daraus.

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