schandfleck.ch_archiv/2008/november | daniel costantino |
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die militärjustitz |
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siegreiche
kämpfe leben in befehlen weiter nirgends so unangefochten
wie in der armee kann die justiz ihrer wahren aufgabe frönen, ein
oben und unten zu festigen, nirgendwo so ungetarnt für wenige viel,
für viele wenig gutes tun. wo im lande derart feudale zustände
wie im kasernenhof, kommandanten als vorgesetzte, richter und strafvollzieher
in personalunion, und untergebene als dienstbeflissene sklaven, fanatisch
aufs wort gehorchende hunde und pulverisiertes kanonenfutter. für
gott und vaterland, versteht sich, für freiheit und verfassung,
für die demokratie letzten endes, wie ja auch im kriege dem volk
im namen des volkes feierlich das fell über die ohren gezogen wird.
„die militärjustiz
ist justiz wie die militärmusik musik“, hat einmal einer
formuliert. gemeint ist natürlich, militärjustiz habe mit
justiz so wenig zu tun wie militärmusik mit musik. aber es verhält
sich genau umgekehrt. der satz stimmt nur ohne ironische brechung. es
wüssten die herrschaften normalrichter nicht, wie man gutachten
bestellt? es würden keine quoten hinter verschlossnen türen
ausbaldowert? keine absprachen getroffen? keine eigenwilligen kollegen
gemobbt? sie verstünden nicht zu belauern, zu umzingeln, zu bespitzeln?
das wort im munde zu verdrehen? rekurse abzuschmettern, auf einwände
nicht einzutreten, aus haarspaltereien kapital zu schlagen? sie vertreten
nicht die christliche rechtschaffenheit in person? sie üben keine
gesinnungsjustiz? planen keine karrieren? im prinzip unterstehen
dem militärstrafrecht zum beispiel dienstpflichtige während
des militärdienstes, ausgenommen urlauber für strafbare handlungen,
„die keinen zusammenhang mit dem dienst der truppe haben“,
angestellte der militärverwaltung für handlungen, welche „die
landesverteidigung betreffen“, dienstpflichtige, die ausserhalb
des dienstes in uniform auftreten. stellungspflichtige mit bezug auf
ihre stellungspflicht sowie während des orientierungstages und
während der dauer der rekrutierungstage. zivilpersonen, die sich
der „landesverräterischen verletzung militärischer geheimnisse“
schuldig machen. der „verräterei“. des „nachrichtendienstes
gegen fremde staaten“. erweitert gilt das militärstrafrecht
im falle aktiven dienstes, „wenn und soweit der bundesrat die
unterstellung beschliesst“. für befehlsanmassung. für
ein vergehen gegen die wache. für „landesverräterische
nachrichtenverbreitung“. für „störung der militärischen
sicherheit“, befreiung von gefangenen, für zivilpersonen,
die mord begehen, totschlag, tötung auf verlangen. dienstliche
aktenstücke fälschen, armeematerial missbrauchen, verschleudern,
verscherbeln. „sobald dem staat und seiner armee vermehrte gefahr
droht, erweitert sich der sachliche und persönliche geltungsbereich
des gesetzes.“ die armee hat die erste pfote, und sie hat die
letzte pfote. im zweifelsfalle entscheiden militärische ämter
und nicht zivile, welche gerichtsbarkeit zuständig sei und welche
akten wohin gehen dürfen und wohin nicht. inklusive absprachen
und manövern hinter den kulissen, siehe fall nef, siehe jeanmaire.
meine eigene militärische vorstrafe, wegen dienstverweigerung,
steht zwar im strafregisterauszug für helvetische behörden
und anlässe, wird aber verschwiegen, wenn ich etwa einen visumsantrag
stelle. militärische vorstrafen, sagte man mir bei solcher gelegenheit,
gingen das ausland „nichts an“. zurück zum
kernstück des militärstrafrechts, zur mannszucht. auf schritt
und tritt droht dem soldaten eine strafe. nur wenn er sich strikt an
die befehle hält, kann ihm nichts geschehen. ein befehl ist selbst
dann auszuführen, wenn er „unzweckmässig ist und diskutabel
erscheint“. die militärische disziplin erlaubt es nicht,
dass ein soldat die zweckmässigkeit eines befehles prüft.
„langsame oder zögernde befehlsausführung ist ungehorsam“.
„widerwillige, mit unmutsäusserung verbundene ausführung
ist widerhandlung gegen die militärische ordnung.“ „unvernünftige
ausführung von befehlen ist pflichtwidrig.“ der „fahrlässige
ungehorsam“ will darauf einwirken, dass befehle „nach besten
kräften, vollständig, gewissenhaft und zeitgerecht ausgeführt
werden“. „dem in der armee teilweise herrschenden schlendrian
ist auch mit disziplinarstrafen einhalt zu gebieten“. unter fahrlässigen
ungehorsam fällt beispielsweise „unabsichtliches verschlafen
und deshalb verspätete befehlsausführung“. die zitate
sind entnommen dem büchlein „disziplinarstrafordnung. das
militärische disziplinarstrafrecht. mit 30 praktischen beispielen,
wie fälle rechtlich zu erledigen sind“. verlag huber 2004.
meine kleine praktische umfrage unter erledigten rekruten hat ergeben,
dass im durchschnitt in einer rs wöchentlich zirka fünf bis
sechs mal bestraft wird. darunter verstehe man nun nicht einen zusammenschiss,
eine vorführung, ein strafexerzieren oder eine beleidigung, sondern
erst den kommandantlichen „verweis“, die ausgangssperre
bis zu 15 tagen, die disziplinarbusse (im dienst bis 500.-, ausserdienstlich
bis 1000.-), einen arrest bis zu 10 tagen. die busse ist eine leichtere
strafe als der arrest, im juristischen sinne. sie wird auch häufiger
ausgesprochen, und nur ein unerfahrener kommandant wird weniger als
100.- aussprechen. eine busse von 50.- ist bei nichtbezahlung nicht
in einen tag knast umwandelbar. erst 100.- ergeben einen tag knast,
allerdings ausserhalb des dienstes, nach einer rs oder einem wk. das
inkasso übernimmt der kanton. völlig unabhängig, versteht
sich. es erscheinen auf
der beratungsstelle rekruten nach der vorzeitigen entlassung, deren
psychischer zustand zwar als schlecht erkannt worden ist und bei denen
rein garnichts auf einen gewissenskonflikt hindeutet. trotzdem wurden
sie nur unter den auflage nachhause geschicht, ein zivildienstgesuch
zu stellen. sie sind völlig uninformiert über den blauen weg
aus psychischen gründen, und wenn die geschichte noch einer pointe
bedarf, so ist es nicht selten die, dass sich ein kommandant anmasst,
das zivildienstgesuch erst gegenzulesen. dass einer im büro des
kommandanten sitzt, vor beelendung nicht mehr weiterweiss, und eine
halbe stunde zeit samt militärischem papierblock kriegt, jetzt
gleich das zivildienstgesuch zu schreiben, unter aufsicht seiner gnaden,
andernfalls werde nicht entlassen. es kommt hinwiederum auch vor, dass
ein kommandant, erfährt er von einem tatsächlich zivildienstwilligen,
der aus etischen gründen nicht mehr weiter militärdienst leisten
will, die sofortige entlassung und entlastung verfügt, ohne irgendwelche
auflagen, der sache mit dem zivildienst positiv gegenübersteht
und dem rekruten noch alles gute auf den nachhauseweg mitgibt. nach
dem gesetz aber dürfte er ihn wegen des zivildienstgesuchs nicht
entlassen, sondern müsste ihn behalten, bis die zivildienstbehörde
im eilverfahren die sache geprüft und den antragsteller zum gespräch
geladen und akzeptiert hat. ähnliches kann einem waffenverweigerer
widerfahren, der nach gesetz vom kommandanten sofort heimzuschicken
und zu vezeigen wäre. teils lässt man den fünfer grade
sein und der mann darf das gewehr in der garderobe lassen, teils wird
sofort auf psychisch waffenuntauglich erkannt und die sache, ich denke,
nach kurzer rücksprache mit bern-pentagon, recht unbürokratisch
erledigt. man kommt sich als berater immer häufiger vor wie ein
orakel. was geschieht mit einem, der nicht eingerückt ist? sucht
ihn die heerespolizei auf, sogar am arbeitsplatz? wenn ja, spielt der
kommandant mit den muskeln, aber mehr als zusammenstauchen darf er den
fehlbaren nicht. er muss ihn nach gesetz anzeigen und darf ihn keinesfalls
in beugehaft nehmen lassen. kommt also nicht die hepo, aber immerhin
nach zwei monaten eine vorladung zum militärischen untersuchungsrichter
ins haus geflattert, prozess in folge, verurteilung zu knast, bedingtem
oder unbedingtem, zu tagessätzen plus busse? oder einfach nur ein
militärischer bussbescheid, 200.- für die kantonskasse, unabhängige
kantonskasse? nun, man steckt da obertänig gewissermassen in einer
experimentierfase. zwar gilt das gesetz, und das droht mit einem prozess.
aber ebenso lockt das schnelle geld, und wer weiss, vielleicht spart
man sogar am richterpersonal. welcher gemassregelte hat schliesslich
etwas dagegen, wenn sein dienstversäumnis statt mit ein paar monaten
mit franken 200.- aus der welt geschafft werden kann. disziplin, weiss
die disziplinarstrafordnung, und gewiss nicht nur sie, habe dann die
grösste wirkung, „wenn sie mit initiative und selbstständigkeit
verbunden ist.“ sie versteigt sich gar zur behauptung, dass militärische
erziehung die fähigkeit fördere, selbständig zu handeln.
tatsächlich will und fördert sie aber die totale unterwerfung,
die auslöschung des individuellen denkens: „man darf unter
gehorsam nie blinden oder „kadavergehorsam“ verstehen. gehorsam
ist nicht passiv, sondern aktiv und verantwortungsbewusst, dem auftrag
verpflichtet, zu leisten.“ seien wir brave schweizer, rechtschaffene soldaten. schützen wir den krieg! |
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