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schandfleck.ch_archiv/2004/april
daniel costantino
 

militia helvetica - über den zustand der schweizerischen verweigerer-szene

simultanpublikation in "ohne uns", der deutschen zeitschrift zur totalen kriegsdienstverweigerung

totalverweigerung existiert in der schweiz nicht. null und nichts davon. kein noch so scheues randgrüppchen, das sich in verschworenem kreise dieser frage widmete, keine kleinstpartei in irgendeinem kanton, einer abgelegenen gemeinde, verspottet und verlacht, keine anti-irgendwas-publikation minimalster auflage, die im entferntesten einer totalverweigerung das wort redete. vielleicht, dass der begriff hie und da im passiven wortschatz einer friedensbewegten seele oder eines revolutionsbrünstigen polittieres herumgeistert, als ein germanismus sozusagen, vor dem man scheu abstandhält, darauf bedacht, sich ja nicht damit zu infizieren. zu extreme zielsetzung, zuwenige anhänger in sicht, irgendwas solle und müsse schliesslich doch auch jeder noch tun - das in etwa die gängigsten schablonen, spreche ich das tema in armeeabschaffer-zirkeln an. dabei gibt man sich zweifellos modern und aufgeschlossen, dezidiert links undsoweiter, und zum zeichen, dass man sich überhaupt nicht mehr wie die altvorderen in igelstellung vor der aussenwelt und dem ausland abkapsle, übernimmt man doch auch dann und wann, wenns den eigenen zielen förderlich erscheint, so ein schlimmes teutonisches wort: kriegsdienstverweigerer aus gewissensgründen! so heisst die sache nun seit neustem auch bei uns und bedeutet, sich möglichst aktiv und einmaljährlich oder bei günstigen winden auch zweimal politisch zu wort zu melden und unserm parlament zu hinterbringen, es hätten jetzt alle, aber auch wirklich alle gewissensgründe zu gelten bei... der zulassung zum zivildienst. soweit klappt die vernetzung sogar unter den verschiedenen sprachgruppen hierzulande, wenn auch fast nur gerade hier: die tessiner sprechen von obiezione di coscienza, die romands von objéction de conscience, und alle meinen damit und bitten um ihr recht, zivildienst leisten zu dürfen: nur obiezione und objéction ohne zusatz - das begreifen sie nicht und zucken die achseln. vor ein paar jahren schrieb ich über die geschichte folgendes:

es sieht so aus, als sei im oktober l996 mit einführung des zivildienstes der gute alte dienstverweigerer von linkem schrot und korn nach langem, tapfer ertragenem leidensweg, jedoch unerwartet rasch, entschlafen. in tiefer trauer gedenken wir seiner aufrechten haltung wie seiner standfesten gesinnung, die es ihm selbst im todeskampf verbot, klagelaute von sich zu geben. ohne windungen und zuckungen hat er hingenommen, dass die gewissensprüfung urständ feierte wie seit dem kalten krieg nicht mehr, dass die dauer des zivildienstes aufs anderthalbfache des militärdienstes angehoben wurde und dass die strafen für etwaige zivildienstverweigerung, nota bene von militärgerichten verhängt, einiges höher ausfallen als zu seiner zeit, als er als schlichter dienstverweigerer noch aussicht hatte, mit ein paar wenigen monaten davonzukommen. da hat er wie der heiland am kreuz zum himmel emporgeschaut und das zeitliche gesegnet, will heissen: er ist aus allen statistiken und bilanzen verschwunden.

und dabei ist es geblieben. ich habe seither in meiner tätigkeit auf der militärverweigerer-beratung in bern einen einzigen menschen erlebt, der sich geweigert hat, ein zivildienstgesuch zu stellen oder als alternative zum psychiater zu gehen. in früheren jahren wäre er, da er schon den grössten teil seines militärdienstes geleistet hatte, noch etwa zu einem monat knast verurteilt worden - nun erhöhte das gericht die strafe um zwei monate auf drei. strafverschärfend, fanden die militärrichter, komme hinzu, dass er keinen zivildienst leisten wolle. würde einer den gesamten militärdienst von anfang an verweigern - rekrutenschule 21 wochen, danach wiederholungskurse, insgesamt mindestens 260 diensttage, falls man das glück hat, gewöhnlicher soldat bleiben zu dürfen und nicht gezwungen wird, einen höheren grad auszuüben - verweigerte einer also von anfang an, so muss er nach meiner einschätzung mit mindestens einem jahr gefängnis rechnen (den psychiater mal beiseitegelassen, der einen in so einem falle liebend gerne krankschreibt; in andern fällen allerdings immer unwilliger). es kann natürlich vorkommen, dass ein militärverweigerer zivildienst leisten möchte, aber nicht zugelassen wird, weil die (‚zivile') kommission findet, er habe keine ausreichend etisch-moralischen gründe. lässt ers dann auf eine gerichtsträchtige verweigerung hinlaufen, ohne einen psychiater zu konsultieren, nicht einmal auf druck der uniformierten richter, spricht ihm das gericht mildernde umstände zu und senkt die strafe um drei monate, je nachdem, ob er sich vor gericht untertänig genug verhält oder nicht. das macht dann in einem vor etwa drei jahren berühmt gewordenen fall noch fünf monate, ausgehend vom früheren standart 8 monate, der vor einführung des zivildienstes schon galt, selbstverständlich unbedingt zu vollziehen. die offizielle verweigererszene hat dies auch gebührend ausgeschlachtet und publizistisch, mit allerlei politaktionen und eingaben, medial breitgeschlagen, instrumentalisiert, skandalisiert, um über den schatten ihres eigenen mutes zu springen und herumzuposaunen, die gewissensprüfung für zivildienstwillige sei abzuschaffen - kein wort von der abschaffung des zivildienstes, die unter der rubrik wehrpflicht läuft. gegen die natürlich auch nichts.

unkritisiert auch die voreingenommenheit mancher gewissensprüfer und -innen der zivildienstkommission, überwiegend akademische leute in gehobener stellung, nebenamtlich, mindestens wenn männlichen geschlechts, als offiziere allesamt in der armee tätig oder tätig gewesen. aversionen gegen buddhisten, freidenker, esoteriker bei gleichzeitigem denkmalschutz für bekennende christen, stete ‚ausweitung der kriterien' und nachschulung der kommissionsmitglieder, was nichts anderes heisst, als dass zwar das liberaler tönende zivildienstgesetz beibehalten wird, aber die verordnungen dazu ständig verschärft werden, so dass längst nicht mehr nur schlicht, wie im gesetz verlangt, ein ‚gewissensentscheid' vorliegen muss, sondern nun ein ‚gewissenskonflikt', eine ‚sollensforderung, die absolute, kategorische bedeutung hat.' mit ein bisschen erbsenzählerei lässt sich jeder antragsteller ablehnen. weil man die zivildienstler aber schliesslich braucht als billige arbeitskräfte im ständig teurer werdenden sozialbereich, kann man einfach jene aussortieren, die dem staat nicht in den kram passen, und sie härter drannehmen bei der ‚anhörung'. es muss nur darauf geachtet werden, dass die zulassungsquote erreicht wird, was seit hundert jahren in diesem land kein problem ist - schon die militärgerichte, die vorher alle militärverweigerer abgeurteilt hatten, haben sich stets daran halten können. geändert haben sich mittlerweile also nicht die gewissensprüferei und auch nicht das anforderungsprofil an ‚moralische normen', sondern einzig die quote. wes geistes kind die ganze chose ist, lässt sich vielleicht gut an einer kleinen anekdote zeigen: als vor ein paar jahren einer der gewissensprüfer selbst ein gesuch um zivildienst einreichte, wurde ihm postwendend von der ‚zentralstelle zivildienst' erwidert, es hätten einige kommissionsmitglieder grosse mühe, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten. man bitte ihn, freiwillig aus der kommission zurückzutreten, andernfalls drohe ihm ein absetzungsverfahren. der mann hat gekündigt.

der widerstand wird also einerseits von der psychiatrie geregelt, tausende beschreiten jährlich diesen weg, manche mittels neustem zwangstestverfahren bei der rekrutierung sogar unfreiwillig, andrerseits wird davon ausgegangen, dass der zivildienst schon ein schritt in die richtige richtung bedeute und die jungs zivile konfliktlösungsstrategien lernten und übten, indem sie für wenig geld in altenheimen arbeiteten oder kostengünstig den umweltmüll entsorgen hülfen.
vor rund einem jahr haben wir von schandfleck.ch - eine online-zeitung - für lärm gesorgt, indem wir den psychiatrischen rekrutierungstest publizierten. die boulevardpresse ereiferte sich über das vorgehen des militärs, etwa 500 intime fragen den stellungspflichtigen vorzulegen, das militär drohte mit einer schadenersatzklage in millionenhöhe, das parlament nahm sich der sache an undsoweiter - schliesslich gab man sich allseits zufrieden damit, dass sechs fragen, welche die sexualität betreffen, unter allseitigem protest zurückgenommen würden. es stehen aber erstens mehr als sechs fragen zur sexualität im test und die andern fragen sind genau so unerhört und indiskret, und zweitens wurden auch diese sechs nicht wirklich gestrichen, sondern umformuliert. so wird nun nicht mehr direkte anmache betrieben wie : sind sie homosexuell? sind sie bisexuell, heterosexuell? sondern es wird nun gefragt, völlig geschlechtsneutral, wie es heisst, da es ja auch frauen gebe, die zum militär wollten: hatten sie schon sexuellen kontakt mit einem mann? einer frau? keinen? ich denke, jeder weitere kommentar dazu erübrigt sich....

die militärische rekrutierung scheint das a und o helvetischer neutralitätspolitik zu sein: wer sich nicht rekrutieren lässt, wandert für ein jahr in den knast, teoretisch, denn das hat sich seit einführung des zivildienstes noch keiner getraut. ein einziger, verlautet aus dem kriegsministerium, das selbstredend verteidigungsdepartement heisst, ein einziger habe sich bisher geweigert, den psychiatrietest auszufüllen. man habe ihn aus psychiatrischen gründen laufenlassen. - na ja. es wird ja sogar ein mörder vor gericht noch das recht haben, zu seiner sache zu schweigen und nichts nachteiliges über sich auszusagen....

will einer zivildienst leisten, muss er erst als militärdiensttauglich rekrutiert werden, sonst läuft nichts. und also alle tests und fragebögen ausfüllen. schnüffelstaat ahoi! psycho-test, intelligenztest, leadershiptest und was der zumutungen noch mehr sind. im ganzen ist der militärbetrieb reckenhafter geworden in den letzten paar jahren, autoritärer, sexistischer auch, eine steigerung eh schon in früheren zeiten abstrusen gebarens. es werden deutlich weniger wehrpflichtige aus ärztlichen gründen ausgemustert: waren es in den neunzigerjahren jährlich 18000 bis 20000, so sind es jetzt noch etwa 14000 - bei geburtenstärkeren jahrgängen, die gegenwärtig immer dazukommen! die dienstpflicht muss neu bis zum 30. lebensjahr abgeleistet sein, nicht mehr bis zum 42. das heisst, man hat nun praktisch alle jahre diensttage zu leisten, bis man dreissig ist, auch wird die armee immer häufiger in grosszahl eingesetzt: 4000 milizsoldaten für die skiweltmeisterschaften, als folkloristische dreingabe zum schneeschaufeln damals noch, 6000 aber fürs wef in davos und in lauerstellung gegen den bösen inneren oder äusseren feind, tausende auch wegen evian, unterstützt natürlich immer von polizisten aus allen kantonen, sogar deutsche polizei wurde schon zugezogen für solche anlässe. es wird also ganz schön tränengas eingesetzt bei uns, mit petarden werden zugabteile gestürmt, leute abgespritzt, mit gummischrot beworfen, verprügelt, verhaftet, verzeigt. dass hier das militär mitmischt, ist neu, seit den dreissigerjahren hat der staat dies bleibenlassen, weil er zu grosse proteste befürchtete. nun hat man sich bereits daran gewöhnt, jedenfalls könnten die medien in der berichterstattung zurückhaltender nicht sein. obwohl die polizei, zumindest vorläufig noch, ebenfalls in tausendschaften die drecksarbeit macht, ist die drohgebärde des militärs klar ersichtlich und militärischer waffeneinsatz scheint vorprogrammiert. - security-truppen, polizei, militär, ob folkloristische anlässe, ob politische, für botschaftsbewachungen, nächtliche kontrollgänge in den quartieren, untertags sowieso an allen öffentlichen plätzen, ausweiskontrolle, eintrittsmusterung an konzerten, rundgänge in einkaufshäusern - uniformen haben einzug gehalten in unsern alltag, seit dem berühmten 11. september, der angeblich die welt veränderte, natürlich erst recht, die schnüffelei und überwacherei floriert, der staat und mit ihm die gesellschaft sind militaristischer geworden.

eine libertäre, halbwegs anarchistische gesinnung ist kaum irgendwo auszumachen, zu sehr sind obrigkeitsdenken und untertanenmentalität hierzulande verwurzelt, darin unterscheidet sich die rechte nicht von der linken. man stösst schnell auf denkerische tabus, rücksichtnahmen, blockierung und zensur. was die schweizerischen "kriegsdienstverweigerer aus gewissensgründen", oder die "gemeinschaft schweizer zivildienstleistender", letztlich antreibt zu ihrem handeln, mag ehrenwerte gründe haben, die zustände, wie sie sind, zu verbessern, das eine oder andre herauszuschlagen, zu korrigieren - an den herrschaftsverhältnissen an sich wird nicht gerüttelt. auch die gsoa, die gruppe schweiz ohne armee, die eigentlichen "armeeabschaffer", verschreibt sich mehr einem linkspolitischen opportunismus denn einer grundsätzlichen debatte, kritisiert am militär zur hauptsache, dass es überflüssig sei. auch die ganz linken, so scheint es mir, wollen entweder befehlen oder gehorchen. dass kriege in der armut ihre wurzeln fänden, dass terrorismus dort entstehe, wo keine demokratie herrsche (herrsche!), dass die welt friedlich wäre, wenn wirklich überall wirtschaftliche prosperität und gute schulbildung einzug hielten - dieser satte glaube an kapitalismus, wissenschaft und ‚demokratie' ist überall verbreitet. dass der mensch rentieren muss, wird nicht angetastet. es wird in deutschland nicht anders sein: es ist nicht zwingend nur so, dass die macht immer von oben nach unten ausgeübt wird, möglicherweise geschieht dies sogar seltener als gemeinhin angenommen, sondern die unterworfenen üben sie untereinander ebensosehr aus. somit wirkt sie rundum und in die breite und strebt in die tiefe wie ein expandierendes raumsuchendes universum schon im kleinen und kleinsten.

oder auch, um mit einem zitat erich kästners zu enden: die menschen sind gut, bloss die leute sind schlecht.....

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