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schandfleck.ch_archiv/2004/mai
daniel costantino

über die etik

dem menschen zutiefst eingeboren ist sein streben nach dem glück, nach verbundenheit und aufgehobensein, nach liebe und lebensfreude. ich nenne eine etische position, was sich aus solchem empfinden und streben heraus über die existenz sagen lässt. sie entwickelt sich aus dem gefühl und lebt der sehnsucht, wie schön die welt sein könnte und entspricht einer haltung, nur etwas einer obersten kategorie zuzuordnen, dem ich hundertprozentig zustimmen kann. damit ist auch gesagt, dass die etik einer solchen kategorie zugehört und nicht darum gefeilscht werden kann. ihr geist ist das beste im menschen und darf sich nicht niedrigeren umständen anpassen, ohne aufzuhören zu sein, was er vorgibt. nur der einzelne befindet darüber, denn er alleine weiss, welches sein guter leitfaden ist oder wäre. er und kein anderer kennt die quelle seines wohlbefindens. anzunehmen, sie gründe in jedem menschen, ist natürlich eine voraussetzung, diese anschauung durchzustehen; aber andernfalls erschiene mir eine etikdiskussion absurd. man spräche dann einfacher und ehrlicherweise über macht und machtgebaren.

wider die gewalt

krieg ist organisierte gewalt, tödliche autorität. wer irgendeinem, unter welchen umständen immer, das wort spricht, setzt sich über millionen köpfe hinweg und geht in der konsequenz über ebensoviele leichen, selten auch über die eigene. menschen, die sich ins kriegsgarn einspinnen lassen, dient seine retorik, selbst seine ultima ratio, als ventil, frust abzureagieren. krieg und kriegstreiberei appellieren an die niedertracht, kommen auch von daher, und werden nie sozialen oder menschenfreundlichen interessen dienen. wer solches gutheissen kann, hat seine seele ermordet.
ich anerkenne nichts als etisch, was nur irgend waffen bastelt, armeen rüstet und feindbilder unterhält. herbeizuschnorren, ein krieg könne gerecht sein, einem frieden oder den menschenrechten dienen und ähnliches mehr, tagtäglich, halte ich für eine lüge. es ist allerdings immer diese ausrede gewesen, neben der panikmache, die völker auf völker, etnien gegen etnien, menschen wider menschen losgehetzt. die recht breit kursierende anschauung, etik werde in unterschiedlichen kulturen und in verschiedenen zeitaltern anders definiert, etwa die herabsetzung der frau oder der glaube an die überlegenheit des eigenen volkes seien keinem unetischen bewusstsein unserer vorfahren entsprungen - diese betrachtungsweise finde ich pervers und kann für die zukunft nichts gutes versprechen.
ich denke, die psychologie des menschen verändere sich im wesentlichen nicht über die epochen, wenn auch sogenannte friedensforscher und koryfäen anderer wissenschaftlicher disziplinen anderes herumposaunen. etisches verhalten ist möglicherweise etwas, was einem menschen ausgetrieben, aber nichts, was ihm eingetrichtert oder vom lehrstuhl herab eingepaukt werden kann. gerade ein junger mensch, dem nicht dauernd die flügel gestutzt werden, wird zwischen vorbild und scheinheiligkeit ohne weiteres zu unterscheiden wissen.

der staat

wer ist der staat? welche seiner justiz wäre nicht auf der welt, die gesetze zurechtzubiegen von fall zu fall? und welche politik brächte es nicht zustande, für die masse so wenig wie möglich, für die highsociety aber möglichst viel zu tun? im staate haben die zu sagen, die gerade an der macht sind. der typische politiker ist immer gerade an der macht, seine frasen, sich besonders für das gute und gerechte einzusetzen, wird er immer von sich geben, und wenn er das parteibuch wechseln muss, um dortzubleiben, wo er immer hinwollte, wird er nicht zögern. justiz, polizei, armee und dergleichen - alles gerade gut genug, seinen interessen und keinen andern zu dienen. es gilt doch immer nur im staate das recht des stärkern. freilich, gerade in demokratien zu beobachten, auch das recht derer, die sich auf der seite des stärkern wähnen. und repression, kontrolle, krieg ist sein faustrecht.
der selbstgerechten rede vom musterstaat schweiz halte ich entgegen, dass man in unserer zivilisation von klein auf dazu gezwungen wird, sich korrupt zu verhalten. zu sagen, demokratie sei an sich schon gut oder gar das beste, blendet bequemerweise die frage aus, wie es denn um den menschen bestellt sein kann, dem von kindesbeinen an natürliche reaktionen und verhaltensweisen ausgetrieben werden. eine demokratie kann nicht besser sein, als wie es um die leute bestellt ist. und die sind zu sehr verbogen, duckmäuserisch, anpasserisch und frustriert, als dass etwas wirklich gutes dabei herauskommen könnte. der satte und eitle glauben an demokratie und rechtsstaat ist augenwischerei. das übel, scheint mir, liegt tiefer und kann nicht mit einem politischen system behoben werden.

die realität

man könnte den versuch wagen und mir realitätsverlust unterstellen, naivität, gefühlsmässige beliebigkeit. kehrte ich den spiess um, und es fiele mir nicht sonderlich schwer, drehten sich argument und replik im kreise und die diskussion bliebe stehen, bestenfalls noch mit dem resultat der unvereinbarkeit unterschiedlicher weltanschauung. immerhin sehe ich mit meinem etischen standpunkt die verantwortlichkeit anderen menschen gegenüber: ich glaube, dass glücklichsein nicht auf kosten anderer und gegen sie möglich ist, noch dass es eine technik der maximierung von glück gäbe, auf die ich mich kaprizierte. egoismus macht am allerwenigsten den egoisten glücklich. meine rede vom aufgehobensein und von der verbundenheit meint nichts als liebe, menschenliebe. dies auch als etischer leitfaden, etwas anderes bin ich nicht bereit, mit dem ausdruck etik zu würdigen.

mag meine weltanschauung oberflächlich als eine zu optimistische begriffen werden - etik hat sich trotzdem nach dem besten zu richten in uns und nicht danach, ob eine durchsetzung erreicht werden könne. ich empfinde schon dies als einen anmassenden übergriff, mindestens dann, wenn des andern wohlfeile etik nach waffen schreit. etik zu verstehen als die lehre davon, was sich aus dem selbstverständnis einer gesellschaft ergibt, was einem konsens entspricht, welcher, das auch noch, über die jahre einem wandel unterworfen, nein! mir grauts vor solcher rabulistik und solchen lehrstühlen. dahinter vermag ich leider meist nicht mehr als eine rechtfertigungsstrategie zu sehen, mag sein mit reformemanzipatorischem ansatz dann und wann, damit unter modernen vorzeichen das gruselstück von unterdrückung und krieg, unnatürlicher lebensweise und vertaner ideale weiteraufgeführt werden kann und sich die täter von heute und morgen im vereine mit den alten schurken die hände in unschuld waschen dürfen.
etik darf und kann keinesfalls aufgezwungen werden, ohne dass sie zur zynischen fratze der macht verkommt. es gibt keine instanz, welche entscheidet, was etisch richtig oder falsch zu sein habe. die antwort liegt ausschliesslich bei jedem einzelnen; er darf, will er das wort von idealen und werten im munde führen, sein menschentum nicht delegieren.

 

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