news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
schandfleck.ch_archiv/2004/mai
max schnyder
 

menschengeschichte - ein märchen

es war einmal eine zivilisation, welche die ganze erde umfasste, aufgeteilt in viele kulturen. die im westen waren anders als die im osten, und die im süden wieder anders als die im norden. alle hatten ihre sitten und bräuche, ihre religionen und rituale. aber die denkmentalität war bei allen gleich.
diese vielen kulturen auf ihren kontinenten waren ihrerseits wieder unterteilt in geografische und von verschiedenen etnien besetzten gebiete, um welche sie grenzen zogen. sie sagten, das seien politische grenzen. das land innerhalb der grenzen betrachteten sie als ihre heimat, ihr vaterland, ihre nation, und sich selbst als volk. aber die bedürfnisse ihrer menschen waren überall dieselben.
sie hatten auch verschiedene regierungsformen, die sie politische systeme hiessen. in den einen wurde diktiert, in anderen demokratisiert. vor längerer zeit waren sie monarchisiert worden, von diktatoren, die goldene kronen trugen. selbst die religionen wurden von solchen beherrscht, sicht- oder unsichtbar bekrönt. die verschiedenen systeme, politische und religiöse, lösten sich dann und wann ab. aber die denkmentalität war gleich: das volk wurde immer manipuliert und verpolitisiert. und sogar zum töten und sich tötenlassen wurden sie sorgfältig ausgebildet. dazu mussten sie hymnen singen.
fast jede nation sprach in einer anderen sprache, die sie muttersprache nannten. die verständigung war darum nicht ganz einfach, denn alle waren stolz auf ihre eigene sprache. und alle schufen, auf ihre art, viel schöne kunst, zum anschauen und zuhören. nur in der denkmentalität unterschieden sie sich durch gar nichts.
sie hatten kein grosses vertrauen zu denen, die jenseits der grenzen wohnten. darum trafen sie vorsorge - allseits der zollämter. sie schmiedeten waffen, um sich wehren zu können. ab und zu nannten sie sich feinde, eine erfindung dieser zivilisation. dann gab es krieg, auch ihre erfindung. nach jedem krieg reichten sie sich die hände zur versöhnung. es kam ihnen nicht in den sinn, das vorher zu tun. im gegenteil, nach jedem krieg verfeinerten sie ihre waffen. immer teurer wurde das geschmiedete. mit der zeit reichten die waffenschmieden nicht mehr aus. sie mussten ganze industrien aufbauen, die sie ‚rüstungsindustrie' tauften und mit vaterlandshymnen besangen. die wenigen mahner zur gewaltfreiheit, die es in allen kulturen gab, wurden nicht beachtet, nur ermordet, fysisch oder psychisch, was dasselbe ist.
einige menschen, allseits der grenzen, wussten viel. sie wollten immer noch mehr wissen und forschten unablässig. darum mussten sie ihr wissen laufend revidieren, und nie war es das letzte. sie waren trotzdem mächtig stolz auf sich selbst und schmückten sich mit orden. sie glaubten, alles messen zu können, sogar ihre intelligenz. sie erfanden eine skala, an der sie die höhe ihrer intelligenz ablesen konnten und sagten, dies sei ihr iq. nur wenige dankten dem lieben gott für ihre beachtlichen fähigkeiten.
der handel blühte weltumspannend. die händler wollten noch reicher werden, ungeachtet der mehrheit der erdenbewohner, die in bitterer armut vegetierten und der vielen tausendschaften, die täglich verhungerten. die wissenden mussten dem handel zudienen, denn sonst wären auch sie verhungert. sie mussten mittel erfinden, um die fruchtbarkeit des bodens zu erhöhen, weil die erdenbevölkerung stetig zunahm. der handel wurde noch reicher davon, die böden aber ärmer an natürlichen lebenskräften; und die hungernden verhungerten weiter.
der handel mischte sich in die staatsgeschäfte und diese in den handel. das aufrüsten rentierte so sehr, dass die händler immer reicher wurden. die wissenden mussten mittel erfinden, mit denen sie ganze wälder entlauben, und mittel, mit denen sie insekten und menschen massenweise vernichten konnten.
das aufrüsten wurde immer teurer. den händlern erschien es je länger desto köstlicher. aber das vaterlandsvolk bezahlte alles, hymnen singend; denn nur so hätten sie arbeitsplätze, wurde ihnen vorgelogen, währenddem immer mehr menschen an zuwenig nahrung starben.
schliesslich kamen einzelne mächtige staatsgebilde mühsam überein, ein paar wenige waffen abzurüsten. sie mussten dazu ebensoviel geld aufbringen wie zum aufrüsten. das vaterlandsvolk brachte es singend auf, und die hungernden verhungerten weiter. nur wenige hatten den mut, laut und deutlich zu fragen, warum sie denn überhaupt aufgerüstet hätten. die wurden aber nicht beachtet, nur lächerlich gemacht in den medien. die reichen staatsgebilde hatten zu wenig reichtum für die armen. in wirklichkeit wollten sie gar nicht helfen, sie wollten nur noch reicher und mächtiger werden, angestachelt vom welthandel, der die politik längst diktierte.
einige wissende, nicht nur aus deren gilde, schüttelten ihre köpfe, betrachteten zweifelnd ihre iq-skala und fragten doch noch nach der etischen mentalität. sie fragten sich und stritten darüber, was etik sei, obwohl sie wussten, dass nur das miteinander etisch ist und kriege meidet.
und wenn sie nicht gestorben sind, so schütteln sie immer noch die köpfe. die anderen schauen zu, wie täglich tausendschaften verhungern, milliarden in bitterer armut leben und lassen weiter morden. das volk lässt sich noch immer, im namen der gerechten staatsgebilde, mit vaterlandshymnen zu grabe tragen, nicht nur fysisch. niemand scheint zu beachten, dass sie längst in ihrer selbstgeschaffenen wüste der hab- und machtgier leben, mit ihrer gegeneinander gerichteten unmenschlichen denkmentalität.

hat hier jemand ein märchen erzählt?

lange bevor sie ihre rüstungsindustrie aufbauten, traten männer auf, die ihnen empfahlen, miteinander zu leben, nicht gegeneinander. zufrieden zu sein mit genügend nahrung, kleidern und einem dach über dem kopf, unter dem sich gemütlich leben lässt. eindringlich versuchten sie ihnen klar zu machen, dass sie mit allen menschen in frieden leben, dass sie nicht mehr töten, sondern versöhnlich sein sollten. aber zu wenige aus dem gemeinen volk, der regenten der nationen und der religionen, hörten zu. im gegenteil. viele dieser männer wurden ermordet. ihre namen wurden trotzdem weltweit bekannt, aber deren lehre von der liebe wurde verfälscht. die regenten, auch die der religionen, wollten sie nicht verstehen, weil sie fürchteten, ihre vermeintliche macht zu verlieren. anstatt mit der macht der liebe zu regieren, herrschten sie mit dem schwert.
aber immer wieder kamen frauen und männer, welche die lehre der liebe ins rechte licht rückten, sie vorlebten und damit den völkern halfen, sie zu verstehen. immer mehr menschen versuchten es auch. sie lösten ihre probleme ohne gewalt. sie verziehen allen alles und waren zufrieden, wenn sie menschenwürdig leben konnten, ohne überflüssigen reichtum. immer mehr weigerten sich, das von den regenten befohlene töten zu erlernen und sich in den krieg befehlen zu lassen.
es waren jedoch immer noch viel zu wenige, sie konnten nicht viel bewirken. ausserdem wurden sie bestraft, wenn sie den regenten nicht gehorchten, oder der zurechtgebogenen und ängstlichen mehrheit der demokratien widersprachen.

es kam dann, wie es kommen musste.
ein weltumspannender krieg raffte mehr als die hälfte der erdenbewohner dahin. erschüttert standen die überlebenden da. alle regierungssysteme und die händler, die friedensorganisationen und religionen waren weggefegt. sie hatten sich selbst zerstört. die übriggebliebenen erinnerten sich der liebeslehre jener ermordeten männer. sie beschlossen, deren lehre zu praktizieren, jeder an seinem platz.
einfach war das nicht. sie schämten sich, dass dieser grosse gau notwendig war, um zur einsicht zu kommen, er der auslöser sein musste, um klüger zu werden, obwohl die mittel zum frieden längst bekannt waren.
es war eine lange entwicklung, bis ihre zivilisation eine friedliche war und den namen zivilisierte kultur verdiente. sie war die erste dieser art, seit es erdenbewohner gab.

niemand mehr hatte die macht. nur den willen zur konsensfindung zum besten aller menschen. das war ihre neue lehre.
und auch die erde profitierte. sie wurde wieder gesund. die luft und auch das wasser waren nicht mehr verseucht, die böden wieder reich an lebensnotwendigen stoffen.
es gab weder reiche noch arme menschen. niemand mehr musste hungern. sie benötigten keine armenhäuser mehr, keine religionen, denn das leben selbst war zur religion geworden. es gab keine nationen mehr, keine internationalen übereinkommen und staatliche kontrollen, denn alle arbeiteten verantwortungsvoll. darum brauchten sie kein geld mehr. alles, was sie brauchten, erarbeiteten sie gemeinsam, ihrer globalen verantwortung bewusst.
die menschenrechtskonventionen waren überflüssig, denn alle lebten nach dem grundsatz, "geben und bekommen." niemand forderte, jedermann gab freiwillig, so viel wie es ihm möglich war, nach seinen fähigkeiten. sie erkannten, dass geben glücklicher macht als nehmen.
sie machten zwar noch fehler, aber nicht aus übler absicht, nur weil sie nicht alles wussten. die, denen ein fehler unterlief, wurden nicht verspottet, auch nicht bestraft; es wurde ihnen geholfen, aus ihm zu lernen. wenn doch aus übler absicht jemand zu schaden kam, wurde der übeltäter liebevoll belehrt, bis er sein tun einsah. das war ihre rechtssprechung. sie mussten sich keine gesetze ausdenken, nur regeln für den verkehr, zum kegeln, fussball- und sonstigen spielen.

sie arbeiteten da, wo sie gerade lust hatten, je nach ihren fähigkeiten, oder wo es am nötigsten war, aber irgendwo immer. weil sie freude hatten an ihrer verantwortung über sich selbst, für alle und alles, wirkten sie fleissig und gewissenhaft. jeder war auf seine art eine bestens ausgebildete fachperson.
um die recoursen der erde zu schonen, vermehrten sie sich ihr angemessen. denn das mögliche wachstum war natürlicherweise begrenzt, wie schon seit immer.
die wissenden aller kontinente und etnien erforschten das leben und die natur im einklang mit ihr. das wort massenvernichtungsmittel gab es nicht mehr.

viele kräfte sparten sie, weil sie keine soldaten mehr brauchten und sie sich nicht mehr im sinnlosen wettbewerb gegenseitig verdrängten. so konnten alle nützlich sein.
miteinander schufen sie so ihre werterfüllung und die der natur.
sie lebten in frieden und gerechtem recht und freuten sich unbeschwert ihres lebens.

und wenn sie gestorben sind, so leben ihre zivilisierten kulturen immer weiter und weiter.

oder hat hier jemand ein märchen erzählt?

news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
nach oben >>>