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schandfleck.ch_archiv/2004/november
giordano bruno stiftung

offener brief an die medienverantwortlichen in deutschland

einleitung: die verantwortung der medien und die mechanismen der meinungsmanipulation (link zur homepage der giordano bruno stiftung)

dass über 59 millionen us-bürger mit george w. bush einen mann im präsidentenamt bestätigt haben, der trotz aller wissenschaftlichen widerlegungen an die wörtliche auslegung der biblischen schöpfungsgeschichte glaubt und die komplexität der welt mit fatalen politischen wirkungen auf ein naiv-moralisches gut-böse-schema herunterbricht, hat viele rational denkende menschen diesseits und jenseits des atlantiks aufgeschreckt.
bushs wiederwahl bestätigt die banale erkenntnis, dass jede demokratie im höchsten
masse abhängig ist vom grad der mündigkeit bzw. unmündigkeit ihrer bürger. mündigkeit - die fähigkeit, sich des eigenen verstandes zu bedienen (kant) - ist allerdings ein zartes pflänzchen, das nur unter besonders günstigen umständen gedeiht. von besonderer wichtigkeit ist dabei die qualität des informationsangebots in den medien, tragen diese doch durch auswahl, anordnung und präsentation von fakten, meinungen und argumenten ganz wesentlich zur sozialen konstruktion von wirklichkeit bei.

leider nehmen nicht nur in amerika, sondern auch hierzulande medienverantwortliche ihre verantwortungsvolle aufgabe nur selten mit der nötigen sorgfalt wahr. politischer druck sowie das diktat der quote sorgen dafür, dass bestimmte fakten und argumente
aus der medialen wirklichkeit ausgeblendet werden mit der folge, dass logisch und empirisch längst widerlegte inhalte weiterhin unreflektiert in den köpfen der medienkonsumenten herumspuken dürfen. dabei schrecken manche medienmacher nicht davor zurück, die für die weiterentwicklung jeder demokratie notwendige streitkultur bewusst zu manipulieren und sich selbst in den dienst gegenaufklärerischer strömungen zu stellen. weil dieser prozess hinter den kulissen abläuft, erfährt der normale medienkonsument hiervon nichts, vielmehr glaubt er, diskussionen zwischen echten kontrahenten verfolgen zu können und ein zumindest ansatzweise stimmiges bild der wirklichkeit vermittelt zu bekommen.

mit diesem offenen brief möchte die giordano bruno stiftung, die sich als sprachrohr einer rationalen, wissenschaftlichen und humanistischen aufklärung versteht, die subtilen mechanismen der medialen meinungsmanipulation aufdecken. wir dokumentieren zwei fälle, die am konkreten beispiel verdeutlichen, was in unserer medienlandschaft schief läuft. weil es sich dabei nicht um ausnahmen, sondern um die regel handelt, fordern wir die medienverantwortlichen in deutschland mit allem nachdruck dazu auf, weitere manipulationen dieser art zu verhindern und dafür zu sorgen, dass aufklärerische perspektiven den stellenwert in der medialen berichterstattung erhalten, der ihnen in einer technisch hochentwickelten gesellschaft zukommen sollte.

fall 1: günther jauchs einsatz für den scharlatan uri geller und seine absage an den ent-zauberer james randi - ein musterbeispiel für unseriöse fernsehunterhaltung unter dem druck der quote.

nicht nur uri geller kann löffel verbiegen, james "the amazing" randi kann dies mindestens ebensogut. im gegensatz zu geller, der behauptet, paranormale fähigkeiten zu besitzen, erklärt randi, dass es sich dabei nur um einen altbekannten zaubertrick handelt. randi, einer der grössten illusionisten und entfesselungskünstler der letzten jahrzehnte, stellt sich seit den 70er jahren konsequent in den dienst der aufklärung und hat seither zahlreiche trickbetrüger, falsche profeten und unseriös arbeitende wissenschaftler entlarvt, darunter u.a. die filippinischen geistheiler, den in amerika berühmten teleevangelisten peter popoff und last but not least den "magischen löffelverbieger" uri geller. randi war u.a. auch verantwortlich dafür, dass geller in der johnny carson show einen seiner peinlichsten fernsehauftritte absolvierte. weil randi im vorfeld der sendung carson über die tricks gellers informiert und carson entsprechende vorkehrungen getroffen hatte, gelang es geller während seines 22minütigen fernsehauftritts nicht, irgendeine paranormale fähigkeit zu präsentieren.

war geller vielleicht an diesem tag bloss indisponiert? dies ist zwar unwahrscheinlich, aber doch prinzipiell möglich. also lud randi geller wiederholt dazu ein, seine vermeintlichen fähigkeiten unter kontrollierten bedingungen noch einmal zu testen. und randi lockte sogar mit einem ordentlichen finanziellen anreiz: falls geller die tests nämlich bestehen würde, könnte er ein preisgeld von immerhin einer million dollar einkassieren, denn genau diese summe hat die james randi educational foundation ausgesetzt für den fall, das es jemandem gelingen sollte, unter kontrollierten bedingungen prozesse zu belegen, die dem gegenwärtigen naturalistischen erklärungsmodell der wissenschaften widersprechen. interessanterweise wollte sich geller einem solchen wissenschaftlichen testverfahren nicht unterziehen (im unterschied übrigens zu vielen anderen kandidaten, die jedoch bereits in den ersten vortests versagten, so dass die "one million dollar challenge" bis heute noch steht).

im september 2004 war der vielfach ausgezeichnete ent-zauberer randi, der in einer amerikanischen umfrage zum wichtigsten skeptiker des 20. jahrhunderts gekürt wurde (wobei er u.a. albert einstein hinter sich liess), zu gast in deutschland. er nahm teil an der tagung "wissen statt glauben", die vom internationalen bund der konfessionslosen und ateisten (ibka) in zusammenarbeit mit der giordano bruno stiftung und der gesellschaft zur wissenschaftlichen untersuchung von parawissenschaften (gwup) organisiert wurde. im rahmen dieser tagung wurde randi für seine verdienste um das vernunftgeleitete denken mit dem erwin-fischer-preis des ibka ausgezeichnet.

da günther jauch mit sterntv ein halbes jahr zuvor geller ein forum geboten hatte, seine vermeintlichen fähigkeiten zu präsentieren und die sterntv-redaktion in einer pressemitteilung vorgab, die "seltsamen fänomene", die sich während der sendung abgespielt haben sollen, gründlich untersuchen zu wollen, nahm die giordano bruno stiftung kontakt mit der produktionsgesellschaft auf, die für jauchs sterntv verantwortlich ist: "i & u information und unterhaltung", ansässig in köln. wir klärten die verantwortlichen darüber auf, dass randi all die "seltsamen fänomene", vor der die redaktion und das publikum ratlos stünden, auf sowohl rationale als auch höchst unterhaltsame weise erklären könne und luden sterntv dazu ein, randi zu interviewen und seine "entzauberungslecture" zu filmen. grosse kosten wären dabei nicht entstanden, da die veranstaltung direkt vor der haustür der produktionsgesellschaft in köln-deutz stattfand, insgesamt also eine einmalige gelegenheit für den angeblichen qualitätsunterhalter günther jauch und sein team von sterntv?

zunächst sahen dies die verantwortlichen der produktionsgesellschaft wohl ähnlich. sterntv sagte zu, randis performance zu filmen. ein exklusiver interviewtermin wurde terminlich fixiert, doch wenige tage vor der veranstaltung kam plötzlich die absage mit dem hinweis auf eine änderung der programmplanung. allein diese absage wäre schon eine verletzung der journalistischen sorgfaltspflicht gewesen, schliesslich ist es kaum verantwortlich, ein millionenpublikum im ersten schritt systematisch in die irre zu führen und ihm im zweiten schritt die möglichkeit einer rationalen aufklärung zu verweigern. aber jauch & co. gingen noch einen schritt weiter in richtung medialer verdummung, und wahrscheinlich finden wir hier auch den hauptgrund für die plötzliche "änderung der programmplanung": günther jauch wird nämlich am sonntag, den 14 november, zur besten sendezeit, nämlich um 20.15 uhr bei rtl die 'die uri geller-show' moderieren!


in der pressemitteilung des senders heisst es: "die zuschauer können sich darauf verlassen, dass er [günther jauch] ein wachsames auge auf den sympathischen mann mit der unglaublichen begabung werfen wird. prominente gäste wie norbert blüm und yvonne catterfeld bringen aus ihrem eigenen fundus gebrauchte löffel und ausrangierte uhren mit. [?] in deutschland bewies [sic!!] uri geller zuletzt als gast in 'stern tv' seine paranormalen fähigkeiten und brachte mit seinem tv-experiment bis zu 4,36 millionen zuschauer zum staunen. prompt verabredeten sich günther jauch und uri geller zu neuen experimenten in der 'uri geller show' bei rtl!"

norbert blüm und yvonne catterfeld in ehren, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie gemeinsam mit jauch die tricks von geller entlarven können, da selbst einige [leider unbedarfte] wissenschaftler, die nicht über randis wissen verfügten, bei dieser aufgabe scheiterten. auf diese weise wird nicht nur die chance verschenkt, ein millionenpublikum über die scharlatanerie eines uri geller aufzuklären, es wird auch dafür gesorgt, dass irrationale, supranaturalistische, kurz: antiaufklärerische denk- und erklärungsmuster in der bevölkerung verankert werden. dagegen muss sich jeder wissenschaftlich denkende mensch entschieden zur wehr setzen.

fall 2: bischof kamphaus bestimmt, wer mit ihm im öffentlich-rechtlichem fernsehen diskutieren darf . ein musterbeispiel für manipulierte streitkultur. michael schmidt salomon, vorstandsmitglied der giordano bruno stiftung, wurde vom hessischen fernsehen dazu eingeladen, mit dem als vergleichsweise liberal geltenden katolischen bischof von limburg, franz kamphaus, sowie dem ehemaligen cdu-generalsekretär heiner geissler über das tema "das kreuz mit dem kreuz: ist die kirche ein auslaufmodell?" in der sendung talk vor ort (hr3, 11.11.04, 20.15 uhr) zu diskutieren. schmidt-salomon sagte zu, fragte aber aufgrund einschlägiger vorerfahrungen nach, ob der bischof tatsächlich zugesagt habe, mit einem ausgewiesenen religionskritiker wie ihm öffentlich zu diskutieren. die redakteurin meinte, das dürfte doch eigentlich kein problem sein, schliesslich handele es sich um eine diskussionssendung, die davon lebe, dass unterschiedliche standpunkte artikuliert würden.

wie sich einige tage später herausstellte, hatte die redakteurin die rechnung ohne den bischof gemacht. kamphaus stellte die redaktion vor die wahl: entweder er oder schmidt-salomon, er würde gerne an der diskussionssendung teilnehmen, allerdings nur, wenn schmidt-salomon nicht dabei sei. auch uta ranke-heinemann war, wie sich herausstellte, als potentielle diskussionspartnerin dem bischof nicht genehm. statt schmidt-salomon und ranke- heinemann wurde von der redaktion daher die chefin der kommunistischen plattform der pds, sahra wagenknecht, eingeladen, an der diskussion teilzunehmen. mit dieser wahl war der bischof freilich sehr zufrieden, denn erstens weiss wagenknecht nur herzlich wenig über christentum und kirche und zweitens konnte der bischof davon ausgehen, dass es ein leichtes sein würde, alle möglichen attacken von wagenknecht durch den blossen verweis zu retournieren, dass die kontrahentin selbst eine gläubige (nämlich eine kommunismus-gläubige) sei.

mit einem wissenschaftlich argumentierenden religionskritiker wie schmidt-salomon wäre kamphaus in arge argumentationsnot geraten, denn gegen seine kirche und seinen glauben sprechen nicht nur blosse meinungen, über die man streiten könnte, sondern auch unstrittige empirische fakten, die in den letzten jahren von vielen verschiedenen wissenschaftlichen disziplinen zusammengetragen wurden. weil kamphaus und seine kollegen (gleich ob sie der evangelischen oder katolischen kirchen angehören) dies wissen, tun sie alles, um zu verhindern, dass sie mit wissenschaftlich argumentierenden religionskritikern öffentlich konfrontiert werden. sie wollen sich nicht der gefahr ausliefern, lächerlich zu wirken.

so verständlich das agieren des bischofs, so merkwürdig doch das verhalten der redaktion, die sich der bischöflichen erpressung widerstandslos beugte. zweifellos war das bedauern, das die redakteurin des hessischen rundfunks gegenüber den ausgeladenen diskussionspartnern schmidt-salomon und ranke-heinemann bekundete, aufrichtig gemeint. doch an der vom bischof bezweckten und letztlich auch realisierten subtilen manipulation der streitkultur ändert dies selbstverständlich nichts. was hätte die redaktion aus aufklärerischer perspektive tun sollen? nun, sie hätte dem bischof mitteilen müssen, erstens dass man es bedauere, dass er an einem echten streitgespräch nicht teilnehmen möchte, zweitens dass man, bliebe er dabei, die sendung ohne ihn durchführen müsse und drittens dass man das publikum über seine mangelnde gesprächsbereitschaft informieren werde.

freilich: bislang ist uns noch nicht zu ohren gekommen, dass irgendeine redaktion sich je derart konsequent verhalten hätte, was wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die kirchen im aufsichtsrat des öffentlichen rundfunks eine grosse rolle spielen und auch ansonsten in der politik eine starke lobby haben. eine löbliche ausnahme sei allerdings erwähnt: die redaktion des n24-streitgesprächs lud schmidt salomon am gründonnerstag 2004 zu einer diskussion zum tema "leben ohne gott?" ein. auch hier waren alle angesprochenen bischöfe entweder offen ablehnend (katolische variante) oder aber plötzlich terminlich verhindert (evangelische variante), als sie den namen schmidt-salomon hörten. die redaktion hielt aber an dem eingeladenen religionskritiker fest, bis schliesslich doch ein katolischer vertreter unterhalb des bischofrangs gefunden wurde, der sich für das streitgespräch zur verfügung stellte. leider wurde allerdings auch bei n24 dem fernsehpublikum nicht mitgeteilt, welche machtspielchen von seiten der beiden grosskirchen im vorfeld der sendung betrieben wurden. so blieben auch hier die subtilen mechanismen klerikaler meinungsmanipulation im verborgenen.


schlussbemerkungen

wie im fall der jauch-geller-sendung wurde auch bei der vor-ort-talkshow verhindert, dass konsequente vertreter der aufklärung gehör fanden. indem geller mit norbert blüm und bischof kamphaus mit sarah wagenknecht konfrontiert werden, entsteht beim zuschauer sogar die illusion einer pluralen diskussion mit der folge, dass dem normalen medienkonsumenten gar nicht auffällt, dass ernsthafte gegner (randi/schmidt-salomon), die zur aufdeckung ideologischer sachverhalte hätten beitragen können, aus der diskussion ausgeschlossen sind.

natürlich darf man die unterschiede zwischen den beiden angeführten beispielen nicht übersehen: bei jauch geschah die meinungsmanipulation wahrscheinlich bewusst in der hoffnung, durch die vermarktung eines scharlatans und die ausblendung eines aufklärers möglichst hohe einschaltquoten zu erzielen, im falle der talkshow "vor ort" ist wohl eher eine tradierte und unreflektierte rücksichtnahme auf die hüter eines überkommenen status quo ausschlaggebend, die meinungsmanipulation also letztlich weniger auf den markt (quotendruck) als auf die in deutschland hinkende trennung von staat und kirche zurückzuführen. so unterschiedlich die motive, so stellt doch beides eine ernstzunehmende meinungsmanipulation dar. konsequenz ist eine perversion der aufklärung: indem aufklärerische positionen und gut dokumentierte fakten systematisch ausgeblendet werden, führen die medien die menschen nicht aus der unmündigkeit heraus, sondern in sie hinein.

die giordano bruno stiftung ist entschlossen, diese art von meinungsmanipulation, die nicht nur im fernsehen, sondern auch im hörfunk und in der presse feststellbar ist, nicht weiter widerspruchslos hinzunehmen. wir fordern die medienverantwortlichen in diesem land auf, sich ihrer verantwortungsvollen aufgabe stärker bewusst zu werden, damit fehlentwicklungen wie in amerika, wo bereits eine mehrheit der menschen antiaufklärerisch denkt, die evolutionsteorie ablehnt und eine politik jenseits der kritischen vernunft befürwortet, in unseren breitengraden verhindert werden können.


giordano bruno stiftung

mastershausen, 12.11.04

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