news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
schandfleck.ch_textkritik/2005/oktober
david manuel kern
 

Meine Literatur I

Und wenn wir uns besinnen und abwarten, kommt niemals viel dabei heraus. Sollten wir Kästner lesen, wie er uns allerhand vorgaukelt und selbst nicht weiß, wohin er geht, fällt uns auch nichts leichter. Die Schwere lastet auf uns. Möglicherweise nehmen wir mehr noch Hesse, lesen, was er geschrieben, und verstehen die Welt nicht mehr. Wir fragen uns, wie ein talentierter Mann solch Irrtümer in sich tragen kann. Es ist zum Weglegen. Nichts sonst. Manchmal kommt Bernhard, mit seinen Sätzen und der großen Unbegreiflichkeit diesem Geist gegenüber, und alles, was wir tun können, ist in der größten verzweifelten Weise uns totlachen, bis wir sterbend uns hinzuknien haben. Und wenn wir Fosse hinter uns gebracht haben, müssen wir weinen angesichts der Schönheit dieser kargen Welt. Streckenweise Marai und wir sind enttäuscht und gefasst auf das, was nicht mehr kommen wird. Und auf ewig Schnitzler, dieser Poet in Samthandschuhen, wenn er die dunklen und grausigen Gassen entlang schlendert. Und wir, wir sind verloren, und nichts bringt uns voran. Stendhal habe ich gelesen, nicht ganz, doch ein paar Seiten, ein paar Stunden vielleicht. Meine Hand hat meinem Kopf das Buch bald gestohlen, noch immer spüre ich die Wut. Und später sitzt man in seinem Zimmer, das ganze Leben noch vor und alles hinter sich, Der Mann ohne Eigenschaften auf dem Tisch, strahlend in eine Unüberwindbarkeit hinein, lose Blätter und den Mund mit Schaum gestopft. Die Welt als Wille und Vorstellung als sein Lebensprojekt und nichts davon gelernt, weil man wohl alles aufgegeben hat und die Vorstellung den Willen ertränkte. Und der Zorn mit Canetti und alles Anhängliche, alles Ausgespuckte und wichtig Gemachte, alles Betrübende und Vergebene. Ein paar einzelne Bücher über das Gehirn, neurologische Antworten auf das Unzubeantwortende. Und der große Cioran lauert in seiner Ecke, schmerzend und ungewiss der Betrüblichkeit entgehen und ankämpfend mit dem Stift, der nichts zu sagen hat und nichts zu lachen hat. Robert Walser und die Bleistiftlandschaft. E.T.A. Hoffmann und der ewige Rausch. Mörike und die Genugtuung. Wer nicht sehen will muss fühlen. So lautet die Botschaft und wir befolgen sie immer. Hand an sich legen als Rückzugsgelegenheit, nicht fertig lesen, die Egozentrik zu seinem heiligen Gut machen. Sartre zu wiederholen, Gide zu zitieren, Pavese nichts mehr glauben. Eine Biographie von Schubert, Beethoven im Genick. Deutsche Literaturgeschichte als der Anfang vom Ende. Nathan der Weise verabscheuen und den Humanismus in den Schatten stellen. Eine Ehrung an Heine, die Verzweiflung an die Wand malen und eine Angst verwechseln mit Edgar Allan Poe. Das ambivalente Verhältnis zu Celine pflegen, mit Tucholsky, Kertesz, Beckett. Und beten für Handke, so dass er nie verlernt zu schreiben. Das Handwerk betreiben, Hass schüren, Jean Paul lesen. Auch wenn die Leichtigkeit dahinschwebt. Um mit ihr seinen eigenen, komischen, aberwitzigen Zweifeln nachwinken, mit einer Träne im Auge, den Fuß zum Stolpern bereit. Qualtinger herbeirufen, Kuh in den Weg stellen, Altenberg verteidigen. Und an Egon Friedells Tod denken. Das Nutzen der Tage. Jean Genet und Henry Miller und das Denken an eine Zeit vor meiner, an einen Ort, der sehnsuchtsvoll in den Abgrund getrieben wurde, der gesteinigt und totgemacht den Rücken kehrt, um alles zu spüren, das einmal war und nicht mehr kommen wird. Gogols Mantel und die Russen, Dostojewskij, Cechov, Tolstoj. Die Kargheit ist mit schweren Schritten in den Flur getreten, jegliche Utopie hat sich aus dem Staub gemacht, die dumme beneidenswerte Leichtgläubigkeit ist verschwunden bis zu den Tagen, die nicht mehr auszuhalten waren. Wir brauchen nun anderes. Das Leugnen Lichtenbergs und Goethes, Grillparzer auf seinen Platz verweisen, Rilke verehren. Mein Name sei Gantenbein, Der Golem, Candide. Überhaupt Voltaire. Und all die andern, denen wir uns nicht nähern, denen wir nicht entkommen, in dessen Schuld wir stehen. All die andern, die uns den Weg zeigen, möglicherweise, die unseren Schatten darstellen und den Kopf umkreisen, die Schuld haben an allem und die Heiligkeit zur Schau tragen. Und all das in einem Leben und bald wissen wir nicht mehr, wann zu sterben.

news ¦ archiv ¦ forum ¦ kontakt ¦ literatur ¦ shop ¦ links
nach oben >>>