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schandfleck.ch_textkritik/2005/juli
daniel costantino
 

dürrenmatts sprache

<nichts gegen thomas mann und einzelne andere: aber für den vielgescholtenen literatur-nobelpreis war friedrich dürrenmatt einfach zu gut.>
salzburger nachrichten

<einer der grössten schriftsteller unseres jahrhunderts>
corriere della sera, mailand

<mit scheinbar leichter hand, mit einer überbordenden fülle von einfällen und mit wahrem kunstverstand unterhält er uns.>
jacob steiner

so und ähnlich die meisten kritiker in ihren lobeshymnen auf den ‚meistererzähler'. schauen wir uns doch etwas näher an, wie es um die qualität der dürrenmattschen prosa bestellt ist. die 1971 publizierte erzählung ‚der sturz' handelt von einer kreml-geheimsitzung, von intrigen um die macht, der angst der anwesenden minister vor ihrer liquidation. eine modellsituation, laut dem autor ebensogut auf das pentagon oder die mafia übertragbar. im laufe der sitzung wird die reihenfolge der nomenklatur auf den kopf gestellt, der mächtigste mann, a, ermordet, andere durch eine rochade entweder in der hierarchie befördert oder degradiert.

<das sitzungszimmer war lang und nicht viel breiter als der versammlungstisch. die wände waren halbhoch braun getäfelt. der ungetäfelte teil der wände und die decke waren weiss. die sitzordnung war nach der hierarchie des systems geregelt. a sass oben. über ihm, am weissen teil der wand, hing die parteifahne. ihm gegenüber blieb das andere tischende leer, und dahinter war das einzige fenster des sitzungszimmers. das fenster war hoch, oben gewölbt, in fünf scheiben eingeteilt und hatte keine vorhänge. b d f h k m sassen (von a aus gesehen) an der rechten tischseite und ihnen gegenüber c e g i l n, neben n sass noch der chef der jugendgruppen p und neben m der atomminister o, doch waren p und o nicht stimmberechtigt. l war der älteste des gremiums und hatte, bevor a die partei und den staat übernahm, einmal die funktion ausgeübt, die d jetzt ausübte. l war schmied gewesen, bevor er revolutionär wurde. er war gross und breitschultrig, ohne fett angesetzt zu haben. sein gesicht und seine hände waren derb, seine grauen haare waren noch dicht und kurz geschnitten. er war immer unrasiert. sein dunkler anzug glich dem sonntagskleid eines arbeiters. er trug nie eine krawatte.>

wirkt diese sprache nicht fantasielos, armselig? wie mager der wortschatz, stereotyp der gebrauch des verbs, uninspiriert jeder vergleich. das sitzungszimmer lang und breit, die wände getäfelt, teils ungetäfelt, die sitzordnung geregelt, das fenster hoch und ohne vorhänge, derbe hände, graue haare, keine krawatte. und alles immer verbunden mit dem blossen hilfsverb sein. zur not mit haben. dieser schreibstil zieht sich durch die ganze erzählung. blutleere aufzählung ohne einen funken geist. und sprachlich nicht einmal fortgeschritten, als plagte sich ein deutschschweizer schüler zum ersten mal mit den primitivsten wendungen der schriftdeutschen sprache. hölzerne konstruktionen, die nächstbesten, tausendmal gehörten ausdrücke. platitüden, nirgends tempo, steigerung, drosselung, kein risiko ausser dem, sich lächerlich zu machen:

<n bewunderte dagegen d's haltung. bei all dessen macht innerhalb der partei und bei all dessen politischer intelligenz empfand die ‚wildsau', wie ihn a bezeichnete, sicher auch furcht, sollte die nachricht von o's nichterscheinen zutreffen, doch d beherrschte sich. er verlor seine lockerheit nie. der parteisekretär blieb auch in der gefahr gelassen. aber seine lage war ungewiss. o's verhaftung (falls sie nicht ein blosses gerücht war, das durch sein nichterscheinen verursacht wurde) konnte einen angriff auf d einleiten, weil o in der partei d unterstand, sie konnte jedoch auch auf den sturz des chefideologen g hinzielen, als dessen persönlicher schützling o galt: dass o's liquidierung (falls sie eintraf ) d und g zugleich bedrohte, war an sich möglich, doch kaum wahrscheinlich.>

ein dichter ist dürrenmatt gewiss nicht, schon gar nicht zu gut für den nobelpreis, welch ein vergleich! eintönige schilderung, nicht einmal schilderung, blosse aufzählerei durchzieht die erzählung. schablone, biedereste wortwahl, plakative behauptung. weder farbe noch stimmung, nichts künstlerisches, nicht einmal eloquentes. tiefschürfendes ist nirgends auszumachen. wirken solche sätze nicht fast schon hilflos:

<er war auch ausserhalb der partei einflussreich und kannte nichts als seine aufgabe. das machte ihn mächtig. er war nicht treulos, doch ging er keine bindung ein, auch persönlich war er junggeselle geblieben.>

<sein deutsch, sein englisch, sein französisch, sein russisch, sein italienisch waren perfekt, seine studie über mazarin und seine darstellung der frühindischen grossstaaten in viele sprachen übersetzt, ebenso sein essay über den chinesischen zahlenbegriff. auch kursierten übersetzungen von rilke und stefan george von ihm. am berühmtesten war jedoch seine <umsturzlehre>, weshalb man ihn auch den clausewitz der revolution nannte....>

von überbordenden einfällen keine spur, rein nichts poetisches, weder sprachlich noch gedanklich - gehörts nicht sowieso zusammen? - werden da grenzen gesprengt, wird neues erschlossen, kommt überhaupt stimmung auf. die handlung irgendwie abgespult, flach, banal. eine atmosfäre kann sich nicht entfalten. nichts, was einem den atem verschlüge, ja was überhaupt geringen literarischen ansprüchen genügte.

‚ich gehöre zu den gedankenschlossern und -konstrukteuren, die sich mühsam zur sprache bringen müssen', hat dürrenmatt einmal geschrieben. so ist es. mühsam. wenn die gedanken wenigstens was taugten! doch der plott wirkt einfach zu abgedroschen:

<die parteimuse öffnete die handtasche und puderte sich. der aussenhandelsminister studierte akten, der minister für schwerindustrie seine fingernägel, der landwirtschaftsminister starrte vor sich hin, der chefideologe machte notizen, und der minister für transport l schien das zu sein, als was man ihn bezeichnete, ein unbewegliches denkmal.>

kein zweifel, dürrenmatt beherrscht seine mittel. aber die sind bestenfalls durchschnittlich. jeder zeitungsfritze schreibt doch so. und was dem leser an dramaturgischem geboten wird, an charakteren auch, entspricht dem täglichen brot jeder liebhaberbühne aus der provinz. die soll selbstverständlich auch leben dürfen. und sie wird ihre zuschauer auch unterhalten. nur grosse (schweizer) literatur des 20. jahrhunderts kann das nicht sein.
sie benennen sich staatstante, genie, wildsau, parteimuse, denkmal, schuhputzer undsoweiter, schenken sich aus angst voreinander teure importweine und pornostreifen aus dem westen. alles nicht gerade originell. und die dialoge, in indirekter rede, gewiss zuweilen eine reizvolle spezialität dürrenmatts, überzeugen ebensowenig. man kann sich nicht vorstellen, dass mächtige so miteinander reden und umgang pflegen - einfach unglaubwürdig, zu dick aufgetragen, oft nicht mehr als das gerede am stammtisch.
stellen wie diese sind typisch, es gibt wenig schlechtere und nirgends bessere:

<a hatte seine pfeife ausgeklopft, was immer als zeichen galt, dass er die sitzung des politischen sekretariats für beendet hielt und keine diskussion wünschte, als der transportminister l das wort ergriff, ohne sich vorher gemeldet zu haben. der transportminister erhob sich mühsam. seine trunkenheit hatte offenbar zugenommen. er wies darauf hin, leicht lallend und zweimal ansetzend, dass o fehle und dass darum die sitzung des politischen sekretariats noch gar nicht habe beginnen können. es sei schade um a's prächtige rede, aber satzung sei satzung, auch für revolutionäre. alle starrten das denkmal entgeistert an, das über den tisch geneigt, die arme aufgestützt und trotzdem schwankend, a kampflustig musterte, das gesicht mit den weissen bartstoppeln, bleich und maskenhaft. l's einwand war unsinnig, wenn auch formell richtig. der unsinn lag darin, dass der einwand überflüssig war, durch a's ausführliche rede hatte die sitzung schon begonnen, und er lag darin, dass der transportminister mit seinem protest so tat, als wisse er nichts von o's und seiner eigenen möglichen verhaftung.>

undsoweiter. dutzendsprache, wortwiederholungen, anspruchslose wortwahl. überbordende einfälle, wahrer kunstverstand? quatsch.
da bemerkt einer trocken, lügt schamlos, der andre trommelt mit der faust auf den tisch und setzt sich dann, ‚stumm vor wut'. dann hält er ein wenig später eine rede ‚voller ungeheuerlicher sätze', indes ein anderer gelassen dasitzt und pfeife raucht, ein gerissener taktiker ‚war' und niemand ‚seinen verblüffenden schachzügen im spiel um die macht' gewachsen ist. nirgendwo aber verblüffende konstruktion, fintenreicher dialog, sprachpsychologische entsprechung des bloss behaupteten, kontraste, ambiente. fad, vordergründig, bloss aufgesetzt, dekorativ das ganze, uninspiriert, nichts vermag zu packen, mitzureissen. keine komik, nur witzelei. kein stil, nur geklotze. kein sog und schon gar keine sprachmelodie.

klammerbemerkungen im original:
<früh in der partei, wurde er verspottet, nie ernst genommen, auf vielerlei arten gedemütigt, als lakai eingesetzt, bis er doch hochkam (was viele büssen mussten), weil er keinen stolz hatte (den er sich nicht leisten konnte), sondern nur ehrgeiz, und nun war er zu allem fähig. er verrichtete die schmutzigsten arbeiten (die blutigsten), blind im gehorsam, bereit zu jedem verrat, in vielem der durchaus schrecklichste der partei, schrecklicher noch als a, der schrecklich durch seine taten, aber bedeutend durch seine person war. a war nicht deformiert, weder durch den kampf, noch durch die macht. a war, wie er war, ein stück natur, ein ausdruck seiner mächtigen gesetzmässigkeit, durch sich selbst geformt und nicht durch andere. f war nur schrecklich, die unwürde war ihm geblieben, er konnte sie nicht abschütteln, sie blieb an ihm haften, selbst die beiden gin-gis-khane wirkten neben ihm aristokratisch, selbst a, der ihn doch brauchte, nannte ihn öffentlich nicht nur schuhputzer, sondern auch den arschlecker; darum war jetzt auch seine furcht grösser als die furcht der andern. f hatte alles getan, um nach oben zu kommen. nun, am ziel, sah er durch die wahnwitzigen ausfälle l's seine unmenschlichen und unwürdigen anstrengungen gefährdet, seine grotesken selbstverleugnungen sinnlos und seine schamlosen kriechereien vergeblich geworden....>

schrecklich, schrecklich das alles! mir kommt die geschichte vor wie ein gerüst zu einer geschichte, die erst noch geschrieben werden müsste. die ‚wahnwitzigen ausfälle', die ‚ungeheuerlichen sätze'? bitte sehr:

<er sei ein alter revolutionär, schrie er, sich wieder in die höhe stemmend, seine frau sei zwar im spital, das wüssten alle, aber sie habe die operation gut überstanden, er gehe nicht in die falle. von anbeginn sei er in der partei gewesen, vor a, vor c und vor b, die nur erbärmliche emporkömmlinge seien. er habe schon in einer zeit für die partei gewirkt, wo es gefährlich gewesen sei, in ihr zu sein, lebensgefährlich. er habe in erbärmlichen, stinkenden zuchthäusern gesessen, wie ein tier angekettet, und ratten hätten nach seinen blutigen fussgelenken geschnappt. ratten, schrie er immer wieder, ratten! seine gesundheit habe er ruiniert im dienste der partei, er sei um ihretwillen zum tode verurteilt worden. ‚das erschiessungskommando war schon aufmarschiert, genossen', heulte er, ‚es stand mir schon gegenüber'. nach seiner flucht, lallte er weiter, sei er untergetaucht, bis die grosse revolution gekommen sei, bis er an der spitze der revolutionäre mit einem revolver und einer handgranate den palast gestürmt habe. ‚mit einem revolver und einer handgranate habe ich geschichte gemacht, weltgeschichte', brüllte er und war nicht mehr zu bändigen, seine verzweiflung und seine wut hatten etwas grossartiges....>

die sprache dürrenmatts entschieden nicht.
seine prosa wirkt flach, transparenzlos, sie tut quasi nur dergleichen, kennt keine höhen, keine tiefen. nichts greift über den logischen sinn des gesagten hinaus, und der ist an manchen stellen und insgesamt nicht einmal überzeugend, das beziehungsgeflecht der personen wirkt gekünstelt und unecht. alles bloss mitteilung, nicht ausdruck. rein beschreibende prosa, nichts gestalterisches. man liest das so durch und vergisst es gleich wieder. wer hier den atem anhält, tut es nicht der sprache, sondern dürrenmatts marktwerts wegen. wenn da dauernd alles ‚schrecklich' ist, voll furcht, unmenschlich, unwürdig, grotesk, ‚blind im gehorsam', bereit zu jedem verrat, so müsste doch die sprache es bezeugen. sie bleibt aber konstatierend, aneinanderreihung, geklapper.
wiedertgekäute formeln und frasen: da wird die revolution um ihre früchte gebracht, das land mit agenten durchsetzt, mit einem revolver weltgeschichte gemacht, etcetera etcetera. schlagzeilen der boulevardpresse. kein eigener gedanke, keine neue formulierung, nur geistloser abklatsch. es gibt ‚die notwendigkeit der disziplin', und aus ‚der notwendigkeit der disziplin' folgert - ‚die notwendigkeit des vertrauens'. dann wird ‚dieses notwendige vertrauen' ohne ‚notwendigkeit verletzt'.

erbarmen!

das alles soll den anschein einer farce erwecken, einer karikatur. aber es ist nur stümperhafte kritzelei. reine routine, abziehbild. pseudointelligent. frasen, ungelenke schreibe, die flüssigkeit nur vortäuscht, indem sie das immergleiche schema von aneinanderreihung bedient. an keiner stelle hat die erzählung gehalt. die ansammlung von intrigen, verleumdungen, die bizarren machtkämpfe, der sturz des diktators und seine ermordung - unglaubwürdiger quatsch.

über den ‚sturz' schrieb urs jenny seinerzeit in der süddeutschen zeitung:
<die partie hat bravour. dürrenmatt setzt pointen, retardierende momente, anekdotische glanzlichter usw. mit der gelassenheit des grossmeisters, der es nicht nötig hat, eindruck zu schinden.>

ach wo! die partie langweilt doch nur. retardiert ist da nur die auffassungsgabe jennys. statt glanzlichter peinlichkeiten. nichts grossmeisterliches, purer dilettantismus. usw.

ein anderer kritiker, werner weber, schrieb in der neuen zürcher zeitung:
<wir sehen da friedrich dürrenmatt in einer souveränität des denkens und des formens, die aus mühe und sorgfalt herkommt - und alles mühsame hinter sich gelassen hat. spricht er von sowjetrussland? spricht er von hitler-deutschland? von welcher diktatur sonst? manches, was er zeigt, sieht aus wie zitat. aber in der geschichte ‚der sturz' beschäftigt sich friedrich dürrenmatt nicht mit varianten des totalitarismus; ihn beschäftigt das wesen des totalitarismus, das wesen des funktionärs - das schicksal des falschen mannes am falschen platz, der gerade dadurch so brauchbar werden kann.>

man vergleiche und prüfe:
<d's stunde war gekommen. a's sturz vollzog sich nüchtern, sachlich, mühelos, gleichsam bürokratisch. die widsau befahl, die türen zu verschliessen. das denkmal erhob sich schwerfällig, verschloss zuerst die türe hinter dem schuhputzer und dem jüngeren der gin-gis-khane und dann die hinter dem teeheiligen und der ballerina. darauf warf er die schlüssel zwischen die wildsau und lord evergreen auf den tisch. das denkmal setzte sich wieder. alle sassen, die aktentaschen vor sich auf dem tisch. a schaute von einem zum andern, lehnte sich zurück, zog an seiner pfeife. er hatte das spiel aufgegeben. die sitzung gehe weiter, sagte die wildsau, es wäre interessant, zu erfahren, wer nun o eigentlich habe verhaften lassen. die staatstante entgegnete, es könne sich nur um a handeln, auf der liste sei o nicht angeführt, und er als chef der geheimpolizei sähe überhaupt keinen grund, o, der doch nur ein zerstreuter wissenschaftler sei, zu verhaften. o sei ein fachminister und unersetzlich, ein moderner staat brauche die wissenschaftler mehr als die ideologen. das müsse sogar der teeheilige langsam kapieren. nur a kapiere es anscheinend nie. der teeheilige verzog keine miene. ‚die liste!' verlangte er sachlich, ‚sie wird uns klarheit bringen.' die staatstante öffnete seine aktentasche. er reichte ein papier zuerst lord evergreen, der es nach kurzem überlesen dem teeheiligen zuschob. der teeheilige erbleichte. ‚ich bin auf der liste', murmelte er leise, ‚ich bin auf der liste. dabei bin ich doch immer ein linientreuer revolutionär gewesen. ich bin auf der liste', und dann schrie der teeheilige plötzlich auf: ‚ich war der linientreuste von euch allen, und nun soll ich liquidiert werden. wie ein verräter!' die linie sei eben krumm geworden, entgegnete d trocken. der teeheilige gab die liste der ballerina, der, da sein name offensichtlich nicht draufstand, sie sofort an das denkmal weiterleitete. das denkmal starrte auf sie, las sie immer wieder, um endlich aufzuheulen: ‚ich bin nicht darauf, ich bin nicht darauf. nicht einmal liquidieren will mich das schwein, mich, den alten revolutionär!' n überflog die liste. sein name stand nicht darauf. er gab sie an den chef der jugendgruppen weiter. der blasse parteimensch stand verstört auf, als befände er sich in einem examen, reinigte seine brille. ‚ich bin zum generalstaatsanwalt befördert worden', stotterte er. alle brachen in ein gelächter aus. ‚setz dich, kleiner', meinte die wildsau gutmütig, und der schuhputzer fügte bei, sie würden den braven tugendbold der jugendgruppen nicht auffressen.>

souveränität des denkens? souveräne impotenz! souveränität des formens? doch höchstens grundschulreif. mühe? ja. sorgfalt? nein. wesen des totalitarismus? totaler kitsch. etwas im kopfe vorfabriziertes lustlos zu papier gebracht. die sprache führt kein eigenleben, greift nicht ins geschehen ein, keine ader für die magie, die kunst, die musik des wortes. reduziert auf die aussage, eignet dem text etwas kolportagehaftes, die politische analyse, meinetwegen entblössung des machtapparates ist doch nur selbstzufriedenes geschwätz. lauter halbwissen, viertelbinsen, zusammengefasste propaganda westlicher schnorrer und demagogen. dürrenmatt legt einzig sorgfalt darauf, gängige ansichten bündig niederzuschreiben. eigene denkleistung erspart er sich und dem leser. nichts als bestätigungsliteratur.

doch schauen wir uns noch etwas weiter um. 1950 erschien sein erster kriminalroman, ‚der richter und sein henker'. im ganzen wesentlich besser geschrieben, weniger plump, recht locker gar und ambitioniert, liest sich der text spannend, die story zuweilen süffig, einfallsreich. ein achtbares niveau für einen krimi, die konstruktion eine solide leistung des noch jungen autors. grosse literatur indes kriegen wir auch hier nicht vorgesetzt. dürrenmatt vermag keinem grossen schriftsteller das wasser zu reichen. nichts geht unter die haut, kann erregen, in bann schlagen. gute unterhaltungsliteratur zur abendlichen entspannung, und das ist ja nicht wenig. aber zu oberflächlich, um bedeutend zu sein.
ich verzichte auf die zusammenfassung des inhalts. der roman ist berühmt, wurde verfilmt. wer ihn nicht kennt und gerne leichte krimis liest, dem kann ich ihn empfehlen.
die schilderung eines begräbnisses zweiffellos eine der interessantesten stellen. ähnlich wie bei der darstellung seiner fressorgien, auch diesbezüglich kommt man auf seine kosten, hebt dürrenmatt zu einem grossen wurf an. die passage sei in voller länge hier zitiert. zeigt sich doch am deutlichsten an natur- und landschaftsschilderungen, ob einer zum dichter taugt.

<bärlach schwieg, und lutz, der gern gestritten hätte, spähte aufs neue durch die scheiben. der regen hatte etwas nachgelassen. sie waren schon in der allee. der schosshaldenfriedhof schob sich zwischen den dampfenden stämmen hervor, ein graues, verregnetes gemäuer. blatter fuhr in den hof, hielt. sie verliessen den wagen, spannten die schirme auf und schritten durch die gräberreihen. sie brauchten nicht lange zu suchen. die grabsteine und die kreuze wichen zurück, sie schienen einen bauplatz zu betreten. die erde war mit frischausgehobenen gräbern durchsetzt, latten lagen darüber. die feuchtigkeit des nassen grases drang durch die schuhe, an denen die lehmige erde klebte. in der mitte des platzes, zwischen all diesen noch unbewohnten gräbern, auf deren grund sich der regen zu schmutzigen pfützen sammelte, zwischen provisorischen holzkreuzen und erdhügeln, dicht mit schnellverfaulenden blumen und kränzen überhäuft, standen menschen um ein grab. der sarg war noch nicht herabgelassen, der pfarrer las aus der bibel vor, neben ihm, den schirm für beide hochhaltend, der totengräber in einem lächerlichen frackartigen arbeitsgewand, frierend von einem bein auf das andere tretend. bärlach und lutz blieben neben dem grabe stehen. der alte hörte weinen. es war frau schönler, unförmig und dick in diesem unaufhörlichen regen, und neben ihr stand tschanz, ohne schirm, im hochgeschlagenen regenmantel mit herunterhängendem gürtel, einen schwarzen, steifen hut auf dem kopf. neben ihm ein mädchen, blass, ohne hut, mit blondem haar, das in nassen strähnen hinunterfloss, die anna, wie bärlach unwillkürlich dachte. tschanz verbeugte sich, lutz nickte, der kommissär verzog keine miene. er schaute zu den andern hinüber, die ums grab standen, alles polizisten, alle in zivil, alle mit den gleichen regenmänteln, mit den gleichen steifen, schwarzen hüten, die schirme wie säbel in den händen, fantastische totenwächter, von irgendwo herbeigeblasen, unwirklich in ihrer biederkeit. und hinter ihnen, in gestaffelten reihen, die stadtmusik, überstürzt zusammengetrommelt, in schwarz-roten uniformen, verzweifelt bemüht, die gelben instrumente unter den mänteln zu schützen. so standen sie alle um den sarg herum, der dalag, eine kiste aus holz, ohne kranz, ohne blumen, aber dennoch das einzige warme, geborgene in diesem unaufhörlichen regen, der gleichförmig plätschernd niederfiel, immer mehr, immer unendlicher. der pfarrer redete schon lange nicht mehr. niemand bemerkte es. nur der regen war da, nur den regen hörte man. der pfarrer hustete. einmal. dann mehrere male. dann heulten die bässe, die posaunen, die waldhörner, kornetts, die fagotts auf, stolz und feierlich, gelbe blitze in den regenfluten; aber dann sanken auch sie unter, verwehten, gaben es auf. alle verkrochen sich unter die schirme, unter die mäntel. es regnete immer mehr. die schuhe versanken im kot, wie bäche strömte es ins leere grab. lutz verbeugte sich und trat vor. er schaute auf den nassen sarg und verbeugte sich noch einmal.
‚ihr männer', sagte er irgendwo im regen, fast unhörbar durch die wasserschleier hindurch: ‚ihr männer, unser kamerad schmied ist nicht mehr.'
da unterbrach ihn ein wilder, grölender gesang:
‚der tüfel geit um,
der tüfel geit um,
er schlat die menscher alli krumm!'
zwei männer in schwarzen fräcken kamen über den kirchhof getorkelt. ohne schirm und mantel waren sie dem regen schutzlos preisgegeben. die kleider klebten an ihren leibern. auf dem kopf hatte jeder einen zylinder, von dem das wasser über ihr gesicht floss. sie trugen einen mächtigen, grünen lorbeerkranz, dessen band zur erde hing und über den boden schleifte. es waren zwei brutale, riesenhafte kerle, befrackte schlächter, schwer betrunken, stets dem umsinken nah, doch da sie nie gleichzeitig stolperten, konnten sie sich immer noch am lorbeerkranz zwischen ihnen festhalten, der wie ein schiff in seenot auf und nieder schwankte. nun stimmten sie ein neues lied an:
‚der müllere ihre ma isch todet,
d' müllere läbt, sie läbt,
d' müllere het der chnecht ghürotet,
d' müllere läbt, sie läbt.'
sie rannten auf die trauergemeinde zu, stürzten in sie hinein, zwischen frau schönler und tschanz, ohne dass sie gehindert wurden, denn alle waren wie erstarrt, und schon taumelten sie wieder hinweg durch das nasse gras, sich aneinander stützend, sich umklammernd, über grabhügel fallend, kreuze umwerfend in gigantischer trunkenheit. ihr singsang verhallte im regen, und alles war wieder zugedeckt.
‚es geht alles vorüber,
es geht alles vorbei!'
war das letzte, was man von ihnen hörte. nur noch der kranz lag da, hingeworfen über den sarg, und auf dem schmutzigen band stand in verfliessendem schwarz: ‚unserem lieben doktor prantl.' doch wie sich die leute ums grab von ihrer bestürzung erholt hatten und sich über den zwischenfall empören wollten, und wie die stadtmusik, um die feierlichkeit zu retten, wieder verzeweifelt zu blasen anfing, steigerte sich der regen zu einem solchen sturm, die eiben peitschend, dass alles vom grabe wegfloh, bei dem allein die totengräber zurückblieben, schwarze vogelscheuchen im heulen der winde, im prasseln der wolkenbrüche, bemüht, den sarg endlich hinabzusenken.>

ich denke, die stelle gehört zu den höhepunkten dürrenmattscher prosa. was er hier zeigt, kann er nicht überbieten, dann und wann, in andern passagen und werken, egalisieren.
was nicht gefallen kann: zuviele stereotype sätzanfänge. der regen hatte nachgelassen. sie waren schon in der allee. der schosshaldenfriedhof...sie verliessen den wagen...sie brauchten nicht lange zu suchen...die grabsteine...die erde...die feuchtigkeit...
das wirkt langweilig. ein könner schlüge andere bögen, legte sich anders ins zeug, besässe die mittel, die sätze vielgestaltig ineinanderfliessen zu lassen. das plumpe, aufzählerische, die starre diktion seiner sprache zeigt sich auch hier. dürrenmatt bleibt durchschnitt, er kanns nicht besser, schöner, poetischer sagen. die bilder und metafern gelingen gewiss hier, und andernorts, nicht schlecht, dürrenmatt haut nicht daneben. doch bleiben sie fast immer konventionell, übernommen, ausgeborgt. sprachschöpferisch betätigt sich dieser autor nun einmal nicht. das wäre aber gerade ein zeichen grosser literatur, dichterisches gütesiegel. dürrenmatt wird im allgemeinen weit überschätzt.
die dampfenden stämme, ein graues, verregnetes gemäuer, die schmutzigen pfützen und die schnellverfaulenden blumen - nicht überragend, zu bekannt. ‚dieser unaufhörliche regen'. naja. das haar, das in nassen strähnen hinunterfloss, gefällt mir schon besser. aber es bleibt singulär. der kommissär verzieht dann gleich wieder keine miene. schirme wie säbel zwar in den händen, aber schon wieder ‚dieser unaufhörliche regen', immer mehr, immer unendlicher. dann heulen die bässe und die übrigen instrumente auf, stolz und feierlich. wie das gehen soll, verschliesst sich meinem hörvermögen. feierlich aufheulen? stolz? schade um des satzes zweiten teil, der hätte mir sehr gefallen. wie auch der lorbeerkranz, der wie ein schiff in seenot zwischen den zwei männern auf und nieder schwankt. ein köstliches bild. dass aber die beiden brutalen, riesenhaften kerle dem regen schutzlos preisgegeben sind, passt schlecht zusammen. schlächter wirken auch im regen nicht schutzlos. oder sie wirken nicht wie schlächter. und die gigantische trunkenheit wirkt gar nicht gigantisch. die letzten sätze, wie überhaupt zuweilen der abschnitt, haben sogar tempo, eine rare sache bei dürrenmatt. aber melodiös sind auch sie nicht, dürrenmatt weiss nichts vom wohlklang der vokale, vom zusammenspiel der konsonanten.
zuvieles kommt aus zweiter hand. doch kann ich nicht umhin, solche sätze zu mögen:

<blatter fuhr nun schneller. der regen hatte nachgelassen, ja, plötzlich am muristalden wurde bärlach für augenblicke in ein blendendes licht getaucht: die sonne brach durch die wolken, verschwand wieder, kam aufs neue im jagenden spiel der nebel und der wolkenberge, ungetüme, die vom westen herbeirasten, sich gegen die berge stauten, wilde schatten über die stadt werfend, die am flusse lag, ein willenloser leib, zwischen die wälder und hügel gebreitet. bärlachs müde hand fuhr über den nassen mantel, seine augenschlitze funkelten, gierig sog er das schauspiel in sich auf: die erde war schön.>

dürrenmatts glanzlicht, der satz. das hat einen hauch von grösse, von genie. aber solche sätze sind nicht typisch, sie gelingen zu selten, nirgends so häufig noch wie in dieser frühen arbeit. in späterer prosa verschwinden sie nahezu vollständig.
unglaubwürdig leider aber auch hier etliche dialoge, manche figuren am rande, wie etwa der nationalrat und oberst von schwendi. der anklang zur politik ziemlich billig, klischeehaft, wie immer bei dürrenmatt. unplausibel auch das eifersuchtsmotiv des mörders tschanz, aufgesetzt, wie übergestülpt. ebenso erscheinen die sorgen und nöte des polizeipräsidenten lutz etwas gesucht, die arschkriecherei vor schwendi aus den fingern gesaugt. stimmig die figur des kommissärs, ein sympatischer, knorriger vertreter seines fachs, wenn auch aus vorlagen anderer autoren entlehnt, ich denke etwa an glauser. das soll einer tun können, man darf sich von vorbildern auch inspirieren und leiten lassen. nur genial, originär ist es dann eben nicht mehr. sein gegenpart gastmann zu sehr kopfgeburt dürrenmatts, um ebenbürtige figur zu sein, psychologisch blass, unausgegoren. wie auch die filosofie des ganzen romans.

< 'ein jahr hast du noch zu leben', fuhr der andere fort, ‚und vierzig jahre hast du mir wacker nachgespürt. das ist die rechnung. was diskutierten wir denn damals, bärlach, im moder jener schenke in der vorstadt tophane, eingehüllt in den qualm türkischer zigaretten? deine these war, dass die menschliche unvollkommenheit, die tatsache, dass wir die handlungsweise anderer nie mit sicherheit vorauszusagen, und dass wir ferner den zufall, der in alles hineinspielt, nicht in unsere überlegungen einzubauen vermögen, der grund sei, der die meisten verbrechen zwangsläufig zutage fördern müsse. ein verbrechen zu begehen nanntest du eine dummheit, weil es unmöglich sei, mit menschen wie mit schachfiguren zu operieren. ich dagegen stellte die these auf, mehr um zu widersprechen als überzeugt, dass gerade die verworrenheit der menschlichen beziehungen es möglich mache, verbrechen zu begehen, die nicht erkannt werden könnten, dass aus diesem grunde die überaus grösste anzahl der verbrechen nicht nur ungeahndet, sondern auch ungeahnt seien, als nur im verborgenen geschehen. und wie wir nun weiterstritten, von den höllischen bränden der schnäpse, die uns der judenwirt einschenkte, und mehr noch, von unserer jugend verführt, da haben wir im übermut eine wette geschlossen, eben da der mond hinter dem nahen kleinasien versank, eine wette, die wir trotzig in den himmel hinein hängten, wie wir etwa einen fürchterlichen witz nicht zu unterdrücken vermögen, auch wenn er eine gotteslästerung ist, nur weil uns die pointe reizt als eine teuflische versuchung des geistes durch den geist.' >

die stelle erreicht das niveau der begräbnisszene nicht mehr. kein poetisches feuer. der moder der schenke, der qualm der zigaretten, die höllischen brände der schnäpse vermögen doch nicht mitzureissen. und die verführung durch die jugend. als wäre sie ein lockendes weib. das sind doch längst alles klischees, waren es auch vor 30 jahren schon. keine massgabe für rechtschaffene poeten. der mond, der hinter kleinasien versinkt? wo monde nicht überall versinken! gutes imitat, aber nichts patentes. und die wette in den himmel gehängt? achgott. mir ist voller geigen. geigen der jugend. und die teuflische versuchung des geistes durch den geist macht auch nichts besser. nur christlicher.

< so lebten wir denn. du ein leben unter deinen vorgesetzten, in deinen polizeirevieren und muffigen amtsstuben, immer brav eine sprosse um die andere auf der leiter deiner bescheidenen erfolge erklimmend, dich mit dieben und fälschern herumschlagend, mit armen schluckern, die nie recht ins leben kamen, und mit armseligen mörderchen, wenn es hochkam, ich dagegen bald im dunklen, im dickicht verlorener grossstädte, bald im lichte glänzender positionen, ordenübersät, aus übermut das gute übend, wenn ich lust dazu hatte, und wieder aus einer anderen laune heraus das schlechte liebend. welch ein abenteuerlicher spass! deine sehnsucht war, mein leben zu zerstören, und meine war es, mein leben dir zum trotze zu behaupten. wahrlich, eine nacht kettete uns für ewig zusammen!>

wahrlich, wir nähern uns den tiefen menschlichen sehnens. oder doch nur dem schwulst?. so ist es.
es gibt zweifellos viel kitschigere filosofien, die in krimis verbreitet werden. hier: aus einer laune heraus das schlechte lieben und den teufel geben. ein requiem auf den kriminalroman! auch als filosof, als der er sich gebärdet, hat dürrenmatt keine potenz. nur futter für den intellektuellen mittelstand.
doch ist diese geschichte klar besser geschrieben als ‚der sturz', der kaum das papier wert, auf dem er gedruckt. sie ist sprachlich sorgfältiger erarbeitet und literarisch deutlich anspruchsvoller. von der dürrenmattschen mühe, sich zur sprache zu bringen, merkt man hier noch nichts. doch bleibt sie zu sehr der logik, dem rationalen verhaftet, um wirklich dichterisch zu sein. sinnlichen reiz, berückende atmosfäre, verwandlung, musikalische bögen finden wir keine, zu fest bleibt sie konstatierend, behauptend, formelhaft. dürrenmatts vorliebe fürs makabere, kolossale, dämonische vermag nicht zu darüber hinwegzutäuschen: seine sprache verrät ihn als durchschnittlich. als sogar dilettantisch andernorts, im ‚sturz', wie wir gesehen haben.

alles in allem, glaube ich, entdecken wir in diesen zwei werken die volle spannbreite seiner erzählerischen prosa. einiges andere neigt zur schlechtern, manches zur bessern seite. für mich hat dürrenmatt nur in einem grösse: in etlichen seiner essays, die ganz dem logischen gedankenspiel verhaftet sind, dialektischen fantastereien - geniale eulenspiegeleien. sie zu lesen macht richtig spass, den anspruch, in sich schlüssige systeme zu erfinden und ins kosmische zu übertragen, löst er ein mit bravour.

weltliteratur hat er aber nie geschrieben.

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