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schandfleck.ch_textkritik/2006/september
daniel costantino
 

günter grass: beim häuten der zwiebel

auf seite 7, ganz am anfang des ersten kapitels, behauptet grass: 'auf engem raum wurde meine kindheit beendet, als dort, wo ich aufwuchs, an verschiedenen stellen zeitgleich der krieg ausbrach'. er schreibt: 'mit ehernen worten wurde in einer parterrewohnung, die teil eines dreistöckigen miethauses im langfuhrer labesweg war, das ende meiner kinderjahre ausgerufen.' und er sagt: 'sogar die uhrzeit wollte unvergesslich sein.'
mit dem ersten satz rennt er natürlich sämtliche ihm offenstehenden türen ein. nur wird nichts davon sich bei weiterer lektüre bewahrheiten, ich garantiere: nichts! da tischt er schon zu mächtig auf. die 'ehernen worte' des zweiten satzes grenzen schon an patetischen kitsch. als wäre der trommler des zaren in der wohnung gestanden. dasselbe beim lesen einer boulevardschlagzeile: kauft man, vom fettgedruckten marktschrei angetörnt, das blatt, ist das erwartete keineswegs im artikel zu finden, hat die schlagzeile mehr ausgesagt als der text, ja überhaupt einen text suggeriert, den es garnicht gibt. und dass die uhrzeit unvergesslich sein wollte - also meine will nur immer mit mir ins bett. ehrenwort.
auf seite acht die frage: 'warum überhaupt soll kindheit und deren so unverrückbar datiertes ende erinnert werden, wenn alles, was mir ab den ersten und seit den zweiten zähnen widerfuhr, längst samt schulbeginn, murmelspiel und verschorften knien, den frühesten beichtgeheimnissen und der späteren glaubenspein zu zettelkram wurde, der seitdem einer person anhängt, die, kaum zu papier gebracht, nicht wachsen wollte, glas in jeder gebrauchsform zersang, zwei hölzerne stöcke zur hand hatte und sich dank ihrer blechtrommel einen namen machte, der fortan zitierbar zwischen buchdeckeln existierte und in weissnichtwieviel sprachen unsterblich sein will?' ja, warum? warum soll man ausgerechnet grass lesen, diese ineinandergemurksten rattenkönigsätze, nicht? erste übung für fortgeschrittene: bring diesen satz in gutes deutsch! zweite übung: stell keine fragen, die du nicht zu beantworten gedenkst. deine sprache sei wahr, klar, knapp, kraftvoll - wa-kla-kna-kra! ab den ersten zähnen!
weiss einer, was das heissen soll: 'weil vorlaut auffallend etwas fehlen könnte'? hat einer löcher gesehen, die in den brunnen gefallen sind? hat einer das wachstum in den brunnen fallen sehen? oder den sprachverkehr? grass hats zu bieten: 'weil wer wann in den brunnen gefallen ist: meine erst danach überdeckelten löcher, mein nicht zu bremsendes wachstum, mein sprachverkehr mit verlorenen gegenständen.' echt kunst, was?
dass die erinnerung das versteckspiel der kinder liebt - geschenkt. dass sie allerdings dem gedächtnis widerspricht - das ist schon höherer grass. und wenn ihr endlich 'mit fragen zugesetzt wird, gleicht die erinnerung einer zwiebel, die gehäutet sein möchte, damit freigelegt werden kann, was buchstab nach buchstab ablesbar scheint: selten eindeutig, oft in spiegelschrift oder sonstwie verrätselt.' stringenter vergleich, buchstab nach buchstab und doch verrätselt. wer hälts am längsten aus, ohne zu weinen? das beste am satz ist der verleger, der sich noch getraut, freigelegt statt frei gelegt zu drucken! wer hackt die zwiebel, bevor er sie häutet? ein nobelpreisträger: 'die zwiebel hat viele häute. es gibt sie in mehrzahl. gehackt treibt sie tränen. kaum gehäutet, erneuert sie sich. erst beim häuten spricht sie wahr.' fertig mit kaffeesatzlesen! was klopft mit tatsachen an und verlief schlimmer als gewollt? 'was vor und nach dem ende meiner kindheit geschah, klopft mit tatsachen an und verlief schlimmer als gewollt.' hättste nicht gedacht, wie?
mit solchem kram speist er mich ab, und erst drei seiten sind gelesen. natürlich schreibt jeder schriftsteller nicht nur herausragende sätze, vergreift sich mal im bild, im ton, in der aussage. aber doch nicht andauernd! grass schreibt nicht einmal zweitrangig, bei weitem nicht.
hingegen liebt er die relativsätze: 'als bei anhaltend schönem spätsommerwetter in danzig und umgebung der krieg ausbrach, sammelte ich - kaum hatten die polnischen verteidiger der westerplatte nach vier tagen widerstand kapituliert - im hafenvorort neufahrwasser, der mit der strassenbahn über saspe, brösen in kurzer zeit erreicht werden konnte, eine handvoll bomben- und granatsplitter, die jener junge, der anscheinend ich war, während einer zeitspanne, in deren verlauf der krieg nur aus sondermeldungen im radio zu bestehen schien, gegen briefmarken, farbige zigarettenbilder, zerlesene wie druckfrische bücher, darunter sven hedins reise durch die wüste gobi, weissnichtwasnoch eintauschte.' na, beim ersten durchgang geschafft? und in parentese: vergegenwärtigt sich einer noch den eingangssatz: 'auf engem raum wurde meine kindheit beendet, als dort, wo ich aufwuchs, an verschiedenen stellen zeitgleich der krieg ausbrach'? mit ehernen worten...! und sammelt munter zigarettenbilder...
wie feingeistig aber: 'wer sich ungenau erinnert, kommt manchmal dennoch der wahrheit um streichholzlänge näher, und sei es auf krummen wegen.' wem stösst die erinnerung das knie wund, wem hat sich ertastbar die haarspange der mutter erhalten? jawohl, erraten. es handelt sich um grass. wir sind am ende der vierten romanseite. gleich darauf erfahren wir etwas über die ihm begehrenswertesten bilder. und dass er früh falsch aussprechen lernte. und dass ihm das nackte rückenfleisch einer liegenden frau mit dem namen des malers velázquez verkuppelt gewesen. wir sind erstens im krieg und zweitens bei gestelzten wendungen angekommen. grass wendet nicht blatt um blatt, sondern 'blatt nach blatt'. er sagt nicht, zerlesene und druckfrische bücher: viel zu gewöhnlich! zerlesen wie druckfrisch müssen sie schon sein. in der sammlung seiner zigarettenbilder ist er 'auf vollständigkeit aus'. er unterscheidet nicht wie normalsterbliche auf den ersten, sondern 'auf ersten blick'. hat man schon gehört, dass gleichungen fix im kopfrechnen sein können? lest das buch, seite 14! 'fix im kopfrechnen, gingen auf dem papier meine gleichungen mit zwei unbekannten nur selten auf.' die antworten wünschen abgefragt zu werden: 'auf wunsch abgefragt von der mutter...kamen des sohnes antworten treffsicher.' der krieg hat seine kindheit auf einen tag, einen schlag beendet. doch er sammelt fleissig bildchen, seitenlang. seine sorge, dass es langsam an nachschub mangelt: 'nach kriegsbeginn verebbte der gutscheinsegen. aus zivilen rauchern wurden soldaten, die weit weg von zu hause ihre juno oder r6 pafften. einer meiner zuverlässigsten lieferanten, ein kutscher der aktien-bierbrauerei, fiel beim kampf um die festung modlin.' wahrscheinlich beim paffen einer r6. dafür kamen dann gleich 'andere serien in umlauf: tiere, blumen, glanzbilder'...wie tröstlich. die aussage, auf seite 16 wiederholt, seine kindheit sei mit dem beginn des krieges beendet gewesen, ist doch nichts als schaumschlägerei. man fragt sich schon hier, im ersten kapitel, in welche windungen dieses undichters man beim lesen wohl gerät. bekömmliche sinds keinesfalls.
er will uns erzählen, die deutsche einheit habe ihre ersten spuren schon hinterlassen, als sie gerade begann. doch er belegt diese erstaunliche behauptung mit nichts. er schreibt ziemlich gestelzt, unbeholfen, er schreibt zuweilen unmöglich, manchmal närrisch, oft grossspurig. gewiss gibt es schlechtere und bessere passagen, gute aber keine. mehr als aufzählerisches geklapper findet man nicht. ein kollege wird mitglied des jungvolks. er, klein günter selbst, ist nicht besonders begeistert, aber macht mit. nicht nur die uniform lockte. zeltlager, geländespiele, strandwälder. der anführer ein pfundskerl. günter will weg vom vater, weg vom mief. auf den zwischenbrettern stapeln sich bücher. seine nische links, die der schwester rechts. der wechsel von der volksschule zur oberschule. undsoweiter. alles irgendwie hingekritzelt, nicht einmal erzählt, nur information. er hat keinen sinn für stimmung, für ambiente. 'ich kam treppauf, treppab in mietshäuser, in denen es von stockwerk zu stockwerk anders roch. der geruch, der garender weisskohl freigibt, wurde vom gestank kochender wäsche übertönt. ein stockwerk höher roch es vordringlich nach katzen oder kinderwindeln. hinter jeder wohnungstür miefte es besonders. säuerlich oder brenzlig, weil die hausfrau gerade ihre locken mit brennscheren gedreht hatte. der duft älterer damen: mottenkugeln und uralt lavendel. der schnapsatem des verwitweten rentners.' bislang die beste passage überhaupt. aber auch das hat keinen schmiss, keine tiefe, keinen zauber und kein empfinden. langeweile pur. die im suff prügelnden väter, die gestelzt hochdeutsch schimpfenden verwaltungsbeamten, die verstummten oder stotternden kinder, die liebe zu hunden und kanarienvögeln, die in höchster tonlage keifenden mütter - mehr als klischee bringt grass nicht zustande. und wo er eigene stilistische wege beschreitet, wirds gleich peinlich.
der roman, kein zweifel, ist eine fleissarbeit. inneres erleben, mitteilbare empfindung und dichterische gestaltung gehen ihm aber vollends ab. geschichten, 'deren triebwerk die treulosigkeit war' und 'tränen verschiedener grösse' und das vermögen, 'die zeit rückläufig werden (zu) lassen' - hilflose, manchmal lächerliche, manchmal ärgerliche bemühungen, sich interessant zu machen. konturloses hüttundhott, kulturlose sprache. so endet das erste kapitel. versuchen wirs noch mit dem zweiten.
schulden und schuld - zwei wörter, 'so fest im nährboden der deutschen sprache verwurzelt.' 'die nachweisbare wie die verdeckte oder nur zu vermutende schuld' - was tut sie? 'immerfort tickt sie und ist selbst auf reisen ins nirgendwo als platzhalter schon da.' sie sagt aber auch 'ihr sprüchlein auf'. und plötzlich, wie durch ein konsubstanzielles wunder, steckt sie natürlich auch in der zwiebel, die nachweisbare wie die verdeckte oder nur zu vermutende: '...und steht dann doch, sobald die zwiebel pelle nach pelle geschrumpft ist, dauerhaft den jüngsten häuten eingeschrieben.' und zwar 'mal in grossbuchstaben, mal als nebensatz oder fussnote, mal deutlich lesbar, dann wieder in hieroglyfen...' keine schlechte leistung einer schuld, einer zwiebel als fussnote oder hieroglyfe zu dienen. man prüfe die zwiebeln im supermarkt! folgerichtig muss dann klein günter dem alten grass beim häuten der zwiebel helfen. das geht nämlich so: 'sobald ich mir den jungen von einst, der ich als dreizehnjähriger gewesen bin, herbeizitiere, ihn streng ins verhör nehme und die verlockung spüre, ihn zu richten, womöglich wie einen fremden, dessen nöte mich kaltlassen, abzuurteilen, sehe ich einen mittelgrossen bengel in kurzen hosen und kniestrümpfen, der ständig grimassiert. er weicht mir aus, will nicht beurteilt, verurteilt werden. er flüchtet auf mutters schoss. er ruft: ich war doch ein kind nur, ein kind...'
seitenlange spiegelfechtereien solcher art. und dann der dauernde, närrische wechsel vom ich zum er und zurück: 'aber wo war ich, wenn ich anwesenheit nur vortäuschte? welch entlegene richtung bezog der grimassierende junge, ohne das wohn- oder klassenzimmer zu verlassen?' und dann gleich: 'in der regel war ich zeitabwärts unterwegs.' aha. die zeit läuft nicht zurück bei grass, sie muss abwärts laufen. vermutlich durchs 'wohn- oder klassenzimmer'. je nach laune des zimmers, wies grad heissen 'will'. ja gewiss, abwärts, denn günterchen ist 'unstillbar hungrig nach den bluttriefenden inereien der geschichte'. ist das ironie? nein, quatsch. und natürlich auch 'vernarrt ins stockfinstre mittelalter'. oder 'in die barocke zeitweil eines dreissig jahre währenden krieges.' ach wie putzig! zwar war ihm 'die gegenwart mit ihren führerreden, blitzkriegen, u-boothelden und hochdekorierten fliegerassen samt militärischen einzelheiten abfragbar geläufig....aber zugleich bewegte ich mich im heerwurm der kreuzfahrer in richtung jerusalem, war knappe der kaisers barbarossa...' ein roman halt voll barocker zeitweil. und voller grimassen, immer wieder. was stand am anfange? 'auf engem raum wurde meine kindheit beendet, als dort, wo ich aufwuchs, an verschiedenen stellen zeitgleich der krieg ausbrach'. was also soll nun das alberne geplapper! wem übrigens fiele es ein, einen dreizehnjährigen zu verurteilen, wie grass die ganze zeit intendiert! scheinheiliges gequassel um nichts! die schuld, immerfort tickt sie undsoweiter, dauerndes geraune deshalb im zweiten kapitel. welch ein eiertanz!
'ihr verlangsamtes reden glich abgestandener dickmilch, auf die sie geriebenes schwarzbrot, gemischt mit zucker, streuten.' ganz schön unortodox der vergleich, nicht wahr? anderes reden gliche dann wohl einer cola? langsam tickt nicht nur meine schuld, die nachweisbare wie die verdeckte undsoweiter, langsam beginnt bei der lektüre mein hirn anders zu ticken, fürchte ich.
dann folgt allerhand pseudoselbstkritisches zum tema jungnazi, klar muss da die zwiebel wieder helfen, lispelnd diesmal. dann soll mich interessieren, dass er pubertäre pickel bekämpfte, dass ihm der hl. geist fasslicher als gott erschien und dass er ein dummer junge war. dass er einem turnlehrer unverschämt frech geworden und dass er in seife gebissen und dass seine mutter auf das figurenkritzelnde söhnchen stolz gewesen. ei der dauss! 'mit ehernen worten'! schicht um schicht lagert nämlich 'die zeit. was sie bedeckt, ist allenfalls durch ritzen zu erkennen. und durch solch einen zeitspalt, der mit anstrengung zu erweitern ist, sehe ich mich und ihn zugleich.' alles klar?
es gelingt mir nicht, eine andere psychologie in grass' buch zu erkennen als grossspurige geschwätzigkeit. grass schreibt über alles und nichts. will er wichtig tun, schreibt er gespreizt. will er erzählen, langweilig und belanglos, schablonenhaft, klischiert. er besitzt nicht das geringste sprachgefühl. von anschaulichkeit, von eloquenz keine spur. am ehesten ist diese literatur einem treppenhausgequatsche verwandt. mit ein paar pseudoknüllern zur marktförderung. wems gefällt, der solls lesen. man hätte ebensogut den nächstbesten groschenroman am kiosk kaufen können. man wird gleich alles wieder vergessen.
unter lauter gerümpel wartet - 'eines undatierten tages' - ein koffer auf ihn.
'lag er unter verschlissenen matratzen?
tippelte auf dem leder gurrend eine taube, die sich durch die dachluke verflogen hatte?
hinterliess sie, von mir aufgescheucht, frischen taubenmist?
wurde der verknotete bindfaden sofort aufgedröselt?
griff ich zum taschenmesser?
hielt mich scheu zurück?
trug ich den eher kleinen koffer treppab und überliess ihn brav der mutter?
weitere möglichkeiten bieten sich an, sind....'
genug! killekille für schwachköpfe!
was tut grass, 'wann immer mein anderes hilfsmittel, die imaginierte zwiebel, nichts ausplaudern will oder ihre nachrichten mit kaum zu entschlüsselnden lineaturen auf feuchter haut verrätselt'? er greift, man glaubt es kaum, zum bernstein! 'hier, dieses honiggelbe stück, das durchsichtig und nur zum krustigen rand hin milchig eingetrübt ist. wenn ich es lange genug gegen licht halte, das ständige ticktack in meinem kopf abstelle und auch sonst durch nichts, keinen tagespolitischen oder sonstwie gegenwärtigen einspruch abzulenken, also ganz und gar bei mir bin, erkenne ich anstelle des eingeschlossenen insekts, das soeben noch eine zecke sein wollte, mich in ganzer figur: mein penis, der im ruhestand noch knabenhaft ist, vergleichbar dem des amor, den ein genialer, doch auch der mordtat fähiger künstler für eines meiner zigarettenbilder gemalt hat, will als erwachsen gelten, soblad er sich aus blossem mutwillen oder nach kurzem gefummel versteift und die eichel freigibt.'
das ist grass! meingott...welch ein ticktack! wahrscheinlich bildet er sich auf einen solchen satz noch einen kuckuck ein. keinen tagespolitischen oder sonstwie gegenwärtigen einspruch, das zeug ist zum fortschmeissen. dass kein gnädiger korrektor wenigstens den penis im ruhestand verbessert hat! heiliger penis emeritus! grass vergleicht die 'pein erster liebe' mit zahnweh. vergleicht sie mit einer marter von 'an- und abschwellendem, sich ziehendem, hinziehendem schmerz.' und zwar war die erste liebe 'weder schön noch hässlich', rapportiert er. dafür plaudert immerhin der bernstein beichtgeheimnisse aus. ich vernehme mit glühenden ohren, dass der verfasser des romans 'wuchs und wuchs'. dass er schon mit sechzehn als ausgewachsen galt. dann beschäftigt mich ebenso wie den autor die brenennde, eminent wichtige frage, ob er nicht doch erst 1.72 mass, als er soldat wurde. werweiss, werweiss...
doch, wer hätts gedacht, 'diese frage kümmert weder zwiebel noch bernstein.' glück gehabt. das hätt seitenlang werden können.
was wehtäte, 'immer noch?' man erfährt es nicht. man wird es nie erfahren. weder von scham noch von betroffenheit das geringste, nichts ist empfunden, nahegebracht, überhaupt interessant in diesem buch. jedenfalls in den zwei ersten kapiteln. es sieht nicht danach aus, als hätte ich die beispiele, den roman schlechtzumachen, mühsam zusammensuchen müssen. es geht leider im dritten kapitel so weiter. geschwollenes und aufgeblähtes: 'nun fehlen die gelenkstücke eines vorganges, den niemand aufhielt, dessen verlauf nicht rückgängig zu machen war und dessen wegspur kein radiergummi löschen kann.' der dichter wird also historisch. kategorie radiergummi: freiwillig zum dienst mit der waffe gemeldet. 'wann? warum? da ich kein datum weiss und weder das damals schon wechselhafte wetter erinnern noch aufzählen kann, was gleichzeitig zwischen eismeer und kaukasus und an den übrigen fronten geschah, wollen sich vorerst nur zu vermutende umstände zu sätzen fügen, die meinen entschluss gefüttert, angestossen, schliesslich auf den dienstweg gebracht haben.'
zu vermutende umstände füttern einen entschluss. der entschluss auf dem dienstweg. gottlob hat er das wetter vergessen von dunnemals.
gibs auf, günter!
diese krude schreibe schreibt der mann. er sagt, er wolle 'nichts verwinzigen'. er tut es aber fortlaufend. alles in seiner umgebung, sagt er, habe mit den nazis sympatisiert oder geschwiegen. und das trüge nicht zur entschuldbarkeit bei? bei einem kind? 'keine selbst eingeredete schuld, etwa zweifel an der unfehlbarkeit des führers, verlangte danach, durch freiwilligen eifer abgegolten zu werden.' grass'sche kompliziertheit pur. dann tischt er zur entschuldigung oder nichtentschuldigung die enge der zweizimmerwohnung auf. das tönt dann so, in richtig schönem deutsch: 'jedes zweite wochenende war dienstfrei. wir durften, so hiess es, <zu muttern> nach hause. und jedesmal kappte die enge der zweizimmerwohnung die spitzen meiner vorfreude auf den besuch.' ich erinnere: 'auf engem raum wurde meine kindheit beendet, als dort, wo ich aufwuchs, an verschiedenen stellen zeitgleich der krieg ausbrach'. und nun beklagt er die engen verhältnisse der zweizimmerwohnung! und schnabuliert von den gekappten 'spitzen der vorfreude'! irgendwie knicken bei solchem geschnorre die spitzen meiner hirnlappen. das fehlende bad, das klo im gang. das zweizimmerloch. die falle der herkunft. dass er auf der couch schlafen musste. wie inhuman! das geflüster der eltern, die schmatzlaute, allen ernstes. so war das nämlich. jawoll. logisch, geht man dann am liebsten gleich selbst hin in den krieg. als soldat stört einen nämlich nicht einmal der mannschftsdonnerbalken. das nimmt man dann eben heldenhaft hin. zuhause ja doch nur streit mit dem alten. dieser friedfertige familienmensch. 'und doch können die mir unerträglich gewordene zweizimmerwohnung und das vierfamilienklo auf der zwischenetage nicht als einzig ursächlicher anlass dafür herhalten, dass ich mich eines unbestimmten tages freiwillig gemeldet habe.' was also noch? wir vernehmen, dass nach stalingrad die frontlage rückläufig war. dass allenfalls das verbündete japan erfolge melden konnte. die schwarzweiss geschönten wahrheiten der wochenschau. ein bollwerk gegen die rote flut. ein volk im schicksalskampf. undsoweiter. er will nichts verwinzigen. er bläht tatsächlich alles auf, ob von belang oder nicht. nur bezieht er niemals, niemals position. er ist nicht zu fassen, und damit füllt er die seiten. er geht jeder antwort aus dem weg. er spricht von schuld, die niemand behauptet. dort, wo sie allenfalls wäre, verklärt er den krieg, distanzlos, unbekümmert und ohne mitleid. er schiebt mal den fünfzehnjährigen jungen, mal den kriegsbegeisterten ss-soldaten vor. er tut dergleichen, schreibt von bollwerk und rache und schicksalskampf, 'gingen meine wünsche etwa in diese richtung?' stichelt er. doch was kommt jetzt, wo der hammer kommen müsste: 'nichts gibt auskunft darüber, was in einem fünfzehnjährigen vorgeht...'
da kannste noch lange deine zwiebel häuten. aber ohne mich. wäre grass als schriftsteller wirklich erste reihe, kämen mir jetzt die tränen über den zustand der deutschen dichtung. aber so ist es ja nicht.
ich habe einfach fertig nach knapp neunzig seiten. ich habe nichts gelernt und nichts verpasst. die fernseh- und feuilletondebatten darüber, ob man grass jetzt, nach diesem roman, anders lesen sollte - zum lachen, nichts weiter. ich habe dem ganzen brimborium über moral und schuld nur diese zeilen beizufügen:

ach lasst doch das getue!
ein dichter war er nie.
gönnt ihm die letzte ruhe,
und euch ein junggenie.

denn nicht zuletzt, so heisst es:
der mensch sei ein denkendes wesen!
und soll, zur pflege des geistes,
nicht grass - sondern krass anders lesen!

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