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schandfleck.ch_textkritik/2007/mai
daniel costantino

max frisch und die konvention

Kurze Anmerkung zu Costantinos "max frisch und die konvention" david manuel kern mai 07 >>>

auf ein wort - kurze replik daniel costantino mai 07 >>>

'max frisch ist ein dichter, das hat er schon mit seinen dramen und tagebüchern bewiesen. dieser roman ist sein erstes meisterwerk. er hat jetzt sprache, proportionen, seine figuren erregen teilnahme, sie leben; leben noch lange in der fantasie des lesers, beschäftigen und bedrängen ihn mit den neugestellten alten menschheitsfragen.'
thilo koch

'es gelang frisch, sein tema ganz in dichterisches dasein umzuwandeln, und zwar so stichhaltig, so von welt erfüllt, so faszinierend, so unbestechlich kritisch, dass sein werk einer der besten deutschsprachigen romane unserer zeit wurde.'
rino sanders ('die welt')

es liessen sich leicht ein paar dutzend derartiger hymnen über werke max frischs zitieren, wie sie hier dem roman 'stiller' gelten. frischs sprache hat aber überhaupt keinen glanz, nichts in seiner prosa vermag mitzureissen, kann anspruch auf tiefgang und seelenspannung, auf stimmung und brisanz erheben. er ist ein geübter erzähler, der zuweilen flott, amüsant, locker parliert. er beherrscht das handwerk, einen roman aufzubauen, die szene zu wechseln und den blickwinkel, er vermag die dinge ineinander übergreifen zu lassen, dies sei unbestritten. aber er schreibt viel zu routiniert, zu stumpf, rein rational und farblos, um bedeutend, ein dichter zu sein. weder besonders kritisch auf die gesellschaftlichen probleme bezogen noch besonders interessant in der sprachlichen und stilistischen gestaltung. alles medioker, mitunter banal, im rahmen des massvollen, sprachlich wie analytisch. er vertritt auf allen ebenen die intellektuelle mitte, den geistigen mittelstand, er wagt sich keinesfalls irgend auf die äste hinaus. im menschlichen und politischen mag dies ein vorzug sein, im künstlerischen ist es der tod.
beleuchten wir anhand einiger längerer textpassagen gerade seinen in mancher hinsicht bestgelobten, tematisch interessanten roman, den 'stiller', der auch heute noch als vorzeigestück moderner deutscher sprachkunst gilt. inhaltsangaben finden sich zu hunderten im internet, ausserdem ist der roman weitherum bekannt, weshalb ich hier auf inhaltliche zusammenfassung verzichte - geht es mir doch bei der beurteilung sprachlichen könnens um das wie und nie um das was, um die frage, ob das, was ein schriftsteller zu erzählen hat, durch die sprachliche form überzeugt oder nicht. ich lege also einen rein künstlerischen massstab an, ohne andere aspekte, die sich nebenher ergeben, samt und sonders in meinen betrachtungen ausser acht zu lassen. es kann daher im folgenden nicht um erörterungen gehen,
inwieweit etwa das tema identität im 'stiller', die beziehungen zwischen den geschlechtern oder gar 'die schweiz' haupttemen des gesellschaftlichen diskurses oder der heutigen zeit wären. ob der eine maler das richtigere bild malt, wenn er den sturm auf die bastille darstellt oder aber jener, der eine blumenvase auf dem tisch zeigt - die kunst zeigt sich erst an der art und weise, wie er es tut. die bastille kann völlig konventionell, imitiert, verpfuscht sein, die blumenvase grosse kunst und umgekehrt. dies gilt für mich auch in der literatur, und ich bin der letzte, der einen autor seiner temen wegen angriffe, aber auch nicht der, ihn deshalb zu loben, weil er die 'richtigen' zur sprache bringt. sollen die germanisten streiten, was sie den schülern vorsetzen, damit die vernunft annähmen.

fleisch an den knochen! wie schreibt der mensch?

> Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die Wüste. Beispielsweise die Wüste von Chihuahua. Ich sehe ihre grosse Öde voll blühender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blüht, Farben des glühenden Mittags, Farben der Dämmerung, Farben der unsäglichen Nacht. Ich liebe die Wüste. Kein Vogel in der Luft, kein Wasser, das rinnt, kein Insekt, ringsum nichts als Stille, ringsum nichts als Sand und Sand und wieder Sand, der nicht glatt ist, sondern vom Winde gekämmt und gewellt, in der Sonne wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl, Mulden voll Schatten dazwischen, die bläulich sind wie diese Tinte, ja wie mit Tinte gefüllt, und nie eine Wolke, nie auch nur ein Dunst, nie das Geräusch eines fliehenden Tiers, nur da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter, aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht - all dies sehe ich mit offenen Augen, wenn ich es auch nie werde schildern können, traumlos und wach und wie jedesmal, wenn ich es sehe, betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. Wieviel Wüste es gibt auf diesem Gestirn, dessen Gäste wir sind, ich habe es nie vorher gewusst, nur gelesen; nie erfahren, wie sehr doch alles, wovon wir leben, Geschenk einer schmalen Oase ist, unwahrscheinlich wie die Gnade. Einmal, irgendwo unter der mörderischen Glut eines Mittags ohne jeglichen Wind, hielten wir an; es war die erste Zisterne seit Tagen, die erste Oase auf jener Fahrt. Ein paar Indianer kamen heran, um unser Vehikel zu besichtigen, wortlos und schüchtern. Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase. Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heissen Motor kümmern zu müssen. Ein Esel stand im Schatten unter einem verrosteten Wellblech, Abfall einer fernen und kaum noch vorstellbaren Zivilisation, und um die fünf Hütten aus ungebranntem Lehm, fensterlos wie vor tausend oder zweitausend Jahren, wimmelte es natürlich von Kindern. Gelegentlich fuhren wir weiter. In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen sie nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte, konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt oder nicht fährt. Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; dass wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergrosse Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst. Wir fuhren, was unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewusstsein, dass unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu.
Ich werde die Wüste nie vergessen! >

kein vogel, kein wasser, kein insekt. eine wüste, wie es viele gibt. mal dunst, mal keiner. zu matt gezeichnet, um einprägsam zu sein, zu stimmungslos, um mitzureissen, alles viel zu korrekt und routiniert geschildert. schon die wiederholungen gleich zu anfang:

Ich sehe ihre grosse Öde voll blühender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blüht, Farben des glühenden Mittags, Farben der Dämmerung, Farben der unsäglichen Nacht. Ich liebe die Wüste.

wirken stumpf und einfallslos. nichts steigert oder verdichtet sich, wie die wiederholung dergleichentut, und hebt zu klingen an. der glühende mittag weissgott längst nicht mehr poetisch, zu abgewetzt, die unsägliche nacht gar leicht peinlich. 'ich liebe die Wüste' - soll mans glauben? das ist doch reine retorik!

die fortsetzung:

Kein Vogel in der Luft, kein Wasser, das rinnt, kein Insekt, ringsum nichts als Stille, ringsum nichts als Sand und Sand und wieder Sand, der nicht glatt ist, sondern vom Winde gekämmt und gewellt, in der Sonne wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl, Mulden voll Schatten dazwischen, die bläulich sind wie diese Tinte, ja wie mit Tinte gefüllt, und nie eine Wolke, nie auch nur ein Dunst, nie das Geräusch eines fliehenden Tiers, nur da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter, aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht - all dies sehe ich mit offenen Augen, wenn ich es auch nie werde schildern können, traumlos und wach und wie jedesmal, wenn ich es sehe, betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins.

bringt auch nichts berückendes, keine musik, kein rechtes erleben. frisch sprache bleibt vollkommen unpersönlich, unpoetisch. sie hat einen stich ins läppische, verknullert belehrende - vogel in der luft, wasser, das rinnt, sand, der nicht glatt, sondern vom winde gekämmt ist, mulden und schatten bläulich wie diese tinte (welche denn eigentlich? aha! der autor sitzt nämlich am tische und schreibt, hört!), das dreifache 'nie' ebenso stereotyp wie zuvor das 'kein', wie die 'farben' im auftakt - stilmittel zum herzerweichen, ein bluff und nichts mehr, weil absolut nichts dazwischen mitreissen kann in dieser prosa.

da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter

etwas wie originalität, endlich! doch wird der eindruck gleich zunichte gemacht:

aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht

der funken poesie erstickt gleich wieder in dieser unerotischen diktion, diesem säuerlichen, lehrbuchhaften kontext. solange die sonne scheint! ja, ein dichter nimmts halt ganz genau!
frisch findet gute vergleiche hier, das wäre schon was, aber er hat nicht das vermögen, mehr als aneinanderreihung damit zustandezubringen. echtes empfinden klingt anders.
ich sehe alles mit offenen augen. aber ich erlebe nichts. deshalb bin ich auch nicht wie offenbar der autor 'betroffen von der unwahrscheinlichkeit unseres daseins.'
einen literaturpreis für den satz!
damit und mit vielem andern rennt er natürlich die türen der bildungsbürger mit uptodate-kulturgeschmack reihenweise ein. er fällt sozusagen mit patetischer platitüde ins haus. und hat das bemühen des dichters nicht etwas rührendes, so richtig christmenschelndes hier:

Wieviel Wüste es gibt auf diesem Gestirn, dessen Gäste wir sind, ich habe es nie vorher gewusst, nur gelesen; nie erfahren, wie sehr doch alles, wovon wir leben, Geschenk einer schmalen Oase ist, unwahrscheinlich wie die Gnade.

das ist doch sentimentaler krimskrams für strickende lesezirkel...

Einmal, irgendwo unter der mörderischen Glut eines Mittags ohne jeglichen Wind, hielten wir an; es war die erste Zisterne seit Tagen, die erste Oase auf jener Fahrt. Ein paar Indianer kamen heran, um unser Vehikel zu besichtigen, wortlos und schüchtern. Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase. Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heissen Motor kümmern zu müssen. Ein Esel stand im Schatten unter einem verrosteten Wellblech, Abfall einer fernen und kaum noch vorstellbaren Zivilisation, und um die fünf Hütten aus ungebranntem Lehm, fensterlos wie vor tausend oder zweitausend Jahren, wimmelte es natürlich von Kindern.

die mörderische glut, der mittag ohne jeglichen wind, die erste zisterne seit tagen, die erste oase - nicht schlecht, aber zu oberflächlich, um sehr gut zu sein. und viel zu konventionell. so schreibt gar mancher erbsenzähler. genauso.

Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase.

immerhin bündig zusammengefasst. auch etwas. und jetzt, gebt acht, wirds bedeutsam:

Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heissen Motor kümmern zu müssen.

jaja, man fragt sich, was der mensch auf erden macht. mancher fragt sich das täglich. und ebenso alltäglich ist die frage hier eingebettet, in einlullende dutzendmusik, kommerzklappe, konfektionsware. allesinallem allbekannter sound, gott, wir wissens! und wie pseudonaiv und pötisch-plötzlich: pamm! der retorische knalleffekt!
nichts bedeutendes, nichts neuformuliertes also. hat einer seiner lobenden kritiker jemals auch nur mit einem einzigen zitat belegt, wo frischs sprache denn von welt erfüllt wäre, wo faszinierend und dichterisch? ohne sich lächerlicher zu machen als der gepriesene? in diesen bereich stösst frisch nicht vor, man kann getrost das ganze buch lesen und suchen. man fragt sich schlechthin, was der mensch auf dieser erde eigentlich macht! haben wir hier sowas wie eine 'neugestellte alte menschheitsfrage', wie?
man ist froh, sich um den motor kümmern zu müssen. das wellblech als symbol einer fernen, kaum noch vorstellbaren zivilisation. dümmliche flunkerei! aber hütten wie vor zweitausend jahren. das kann man sich denn doch immerhin noch vorstellen, klaro. und 'natürlich' wimmelt es wie damals von kindern.
(nein sowas: nicht mal kondome!)

der schluss dieser künstlerisch völlig verpufften passage:

> Gelegentlich fuhren wir weiter. In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen sie nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte, konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt oder nicht fährt. Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; dass wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergrosse Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst. Wir fuhren, was unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewusstsein, dass unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu.
Ich werde die Wüste nie vergessen! >

In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen sie nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte, konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt oder nicht fährt.

kartengruss von tante ottilie und onkel ernst aus tunesien.
wo frisch, so scheint mir, künstlerisch gestalten will, kommen platitüden, kommt hundertmalgehörtes oder gleich kitsch heraus.
die berge kommen nicht näher, mein gott!
am besten schreibt er, wenn er figuren vorstellt, ihre bewegungen zeichnet, psychologisiert. manche passagen im buch geraten erzählerisch nicht schlecht, doch bleiben sie dem rein rationalen verhaftet, dem bloss gedanklichen. was nicht schlecht, aber auch nicht kunst ist.
wir befinden uns noch in der wüste, tema naturschilderung!

Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; dass wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergrosse Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst.


stümperhaft und unfreiwillig komisch: dass wir noch lebten, zeigte uns nur noch der wechsel der tageszeit. nein, wie glaubwürdig! wers nicht kann, greift oft zu hoch und damit auch daneben. es klingt einfach nichts zusammen. nichts kann mich in erregung versetzen. und mittelmässig die gedanken und einfälle: das tageslicht wurde dünner. das leere all - dabei ist unser gestirn doch eine schmale oase nur...der übergrosse mond, dämmerung ohne dunst... undynamische, hülsenhafte flunkerei. nichts bildnerisches, ästetisches, alles trockenfutter, völlig keimfrei und ohne risiko. weder subtiles noch komplexes, nur brav aus dem alltag geklaubt und lustlos hingenagelt.

Wir fuhren, was unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewusstsein, dass unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewusstsein der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu.

eine lächerliche passage vom charakter eines esoterischen traktätleins. man lese sie nochmals im notfall und mache sich statt des grossen augenrollens einen eigenen gedanken dazu.
in diesem zusammenhang ist die pointe mit dem geplatzten pneu kaum noch halbwegs lustig.

Ich werde die Wüste nie vergessen!

ich schon. -

wie steht es um die schilderung der beziehung stillers mit seiner julika? um frischs kenntnis des seelenkrams? schauen wir näher hin:

> Stiller, einmal im Reden, kam noch mit einer ganzen Reihe von Vorwürfen dieser Art, lauter Bagatellen, eine kleinlicher als die andere; Julika konnte nur staunen.
"Du schweigst in dich hinein wie immer!" sagte er, "du hältst dich für die Liebe und die Hingabe in Person, ich weiss, ich halte dich für den Narzissmus in Person. Und für den Hochmut in Person! Das vor allem. Ich bin vor dir auf die Knie gefallen, Julika, ich habe vor dir geheult, wie ein Mann unter gewissen Umständen heult, ich habe mich vor dir geschämt, ich habe vor dir bereut, und du hast verziehen, gewiss, du hast mir ja am laufenden Band verziehen, ich weiss, ohne eine Minute der Erschütterung, ohne eine Minute wirklich zu denken, dass vielleicht auch du mich kaputt machst, und wirklich zu zittern. Wieso denn auch? Du bist die Dulderin, das wissen alle unsere Bekannten, ein nobles Wesen, das keine Vorwürfe brüllt, nein, die Vorwürfe hatte ich mir schon selber zu machen. Damit hast du dich nie beschmutzt. Aber überlege es dir: Hast du mich einmal davon befreit, wenn ich glaubte mir Vorwürfe machen zu müssen? Du hast verziehen. Und damit ist ja der Vorwurf anerkannt, das vor allem. Es gibt eine Satanie im weiblichen Verzeihen, meine Liebe, die dir ferne ist, versteht sich, alles ist dir ferne; ich empfand es nur so in meiner Mimosenhaftigkeit, und daran kann man genauso zugrunde gehen wie an einer Tuberkulose... Ich rede und rede, Julika, und du bläst den Schnee von der Decke!" <

ich kann mich des eindrucks nicht erwehren, hier werde geistiges dosenfutter verabreicht, vorgekautes, abgesichertes, scheinbar einfürallemalrichtiges mehr aufgezählt als geschildert und gewiss nicht verdichtet oder auf eine seelische, irrationale, künstlerische ebene gehoben. weder gedanklich noch sprachlich dringt die sache ins filosofisch relevante und poetisch bedeutende vor. man wird mehr belehrt denn eingesponnen, die eindimensionalität des textes, gedankliche fertigware, ist nicht zu verkennen. einiges lässt sich leichthin goutieren, anderes wirkt bieder, wenig durchdacht. frisch scheut das intellektuelle risiko wie der teufel das weihwasser, und seine sprachlich geringe potenz vermag nicht darüberhinwegzutäuschen. so entsteht keine atmosfäre, höchstens vielleicht sowas wie die aura einer intellektuellen übereinkunft linksbürgerlicher façon. das ist wohl für eine gläubige herde was, aber nichts für ein lebenshungriges individuum. die grenzen sind eng gesteckt, es herrscht die konvention.

Du schweigst in dich hinein wie immer!" sagte er, "du hältst dich für die Liebe und die Hingabe in Person, ich weiss, ich halte dich für den Narzissmus in Person. Und für den Hochmut in Person! Das vor allem.

die wortwahl wirkt ebenso abgedroschen wie unpersönlich. die ganze stelle etwas geklotzt und unglaubwürdig:

Ich bin vor dir auf die Knie gefallen, Julika, ich habe vor dir geheult, wie ein Mann unter gewissen Umständen heult, ich habe mich vor dir geschämt, ich habe vor dir bereut, und du hast verziehen, gewiss, du hast mir ja am laufenden Band verziehen, ich weiss, ohne eine Minute der Erschütterung, ohne eine Minute wirklich zu denken, dass vielleicht auch du mich kaputt machst, und wirklich zu zittern.

und sehr klischiert. grosse worte, die grad zur hand, auf die knie fallen, heulen, schämen, bereuen, verzeihen, und vergleiche, die der ganzen stelle etwas unbeholfenes, läppisches verleihen: wie ein mann unter gewissen umständen, am laufenden band verzeihen, die minute der erschütterung - wer das für literatur hält!

auch der schluss der passage:

Aber überlege es dir: Hast du mich einmal davon befreit, wenn ich glaubte mir Vorwürfe machen zu müssen? Du hast verziehen. Und damit ist ja der Vorwurf anerkannt, das vor allem. Es gibt eine Satanie im weiblichen Verzeihen, meine Liebe, die dir ferne ist, versteht sich, alles ist dir ferne; ich empfand es nur so in meiner Mimosenhaftigkeit, und daran kann man genauso zugrunde gehen wie an einer Tuberkulose... Ich rede und rede, Julika, und du bläst den Schnee von der Decke!"

ohne brisanz und spannung, und das liegt an der dürftigkeit der frisch'schen sprache, die es nicht vermag, das geschehen seelisch zu verdichten. sollte es frischs absicht gewesen sein, stiller hier zu karikieren, ist sie misslungen, denn auch zur karikatur bedarf es einer prägnanteren feder.

die szene geht folgendermassen weiter:

> Stiller fuhr fort:
"Ja, ich frage mich manchmal, warum ich in all diesen Jahren nie aufgesprungen bin und dir kurzerhand eine Ohrfeige versetzt habe. Im Ernst, es ist ein Fehler, der nicht mehr nachzuholen ist; ein Fehler, davon bin ich überzeugt. Wieviel hätte es uns beiden erspart! Beispielsweise deine unselige Reise nach Landquart, glaube ich. Natürlich wusstest du von vornherein um deinen Zusammenbruch irgendwo auf der Strecke, aber du scheust keinen Preis mehr, um dir mein schlechtes Gewissen zu sichern. Du irrst dich! Und dabei ist es wieder das Fürchterliche: in einem ganz andern Sinn, siehst du, ist es wirklich mein Verschulden, dass du jetzt in diesem Sanatorium liegst. Aber da hast du mir nichts mehr zu verzeihen. Ich denke jetzt oft: Hätte ich dich nicht zu meiner Bewährungsprobe gemacht, wärest du auch nie auf diese Idee gekommen, mich durch dein Kranksein zu fesseln, und wir hätten einander auf natürliche Weise geliebt, ich weiss es nicht, oder uns auf natürliche Weise getrennt. Du hättest damals einem Mann begegnen sollen, der kein falsches Gewissen hat und doch viel Geduld, freie Geduld, einem Mann jedenfalls, der nur durch natürliche Liebe zu gewinnen und zu halten ist. Wer weiss, meine liebe Julika, wie gesund du hättest sein können - schon immer!..."
Stiller schwieg.
"Und jetzt?" fragte sie.
Stiller glotzte sie an.
"So also siehst du mich!" sagte Julika. "Du hast dir nun einmal ein Bildnis von mir gemacht, das merke ich schon, ein fertiges und endgültiges Bildnis, und damit Schluss. Anders als so, ich spüre es ja, willst du mich jetzt einfach nicht mehr sehen. Nicht wahr?"
Stiller steckte sich eine Zigarette an.
"Ich habe in letzter Zeit auch über vieles nachgedacht", sagte Julika und blies die Schneekristalle von ihrer Kamelhaardecke auch dann, wenn sie selbst das Wort führte, " - nicht umsonst heisst es in den Geboten: du sollst dir kein Bildnis machen! Jedes Bildnis ist eine Sünde. Es ist genau das Gegenteil von Liebe, siehst du, was du jetzt machst mit solchen Reden. Ich weiss nicht, ob du's verstehst. Wenn man einen Menschen liebt, so lässt man ihm doch jede Möglichkeit offen und ist trotz allen Erinnerungen einfach bereit, zu staunen, immer wieder zu staunen, wie anders er ist, wie verschiedenartig und nicht einfach so, nicht ein fertiges Bildnis, wie du es dir da machst von deiner Julika. Ich kann dir nur sagen: es ist nicht so. Immer redest du dich in etwas hinein - du sollst dir kein Bildnis machen von mir! Das ist alles, was ich dir darauf sagen kann."
Stiller rauchte vor sich hin. <

sprachkunst, glaube ich, sucht ins atmosfärische, irrationale vorzudringen. seelische ballung, verdichtung, innerer spannungsaufbau, musikalität sind ihre zeichen. gedanklich kann das adäquat nur heissen, nichtgedachtes, neugedachtes zu finden, das denken an die grenzen, darüberhinauszutreiben, überhaupt nicht das vorgefertigte hinzustellen, sondern die eigenen worte für die vorgänge zu finden, die persönliche sensibilität ins spiel zu bringen. sonst kann alles letztlich nur wie abklatsch wirken, bestenfalls konvention genannt werden.
es fehlt frischs sprache diesbezüglich an allem. originär ist nichts bei ihm, nicht einmal originell. gewandtheit ist kein ersatz dafür.

Ja, ich frage mich manchmal, warum ich in all diesen Jahren nie aufgesprungen bin und dir kurzerhand eine Ohrfeige versetzt habe. Im Ernst, es ist ein Fehler, der nicht mehr nachzuholen ist; ein Fehler, davon bin ich überzeugt. Wieviel hätte es uns beiden erspart!

wirkt diese sprache nicht knochentrocken, saft- und fleischlos? und trägt sie nicht deshalb etwas strapaziertes, geklotztes zur schau, gerade wenn es um gefühle geht? glaubt man stiller die emotion? kurzerhand eine ohrfeige... im ernst, es ist ein fehler... wieviel hätte er erspart... in diesem kontext doch viel zu ungefähre wendungen, floskeln. es fehlt frisch entschieden am vermögen, eine aura, echte stimmung zu erzeugen. das ist alles zu gestelzt und zu gekünstelt, um gut zu sein.

Und dabei ist es wieder das Fürchterliche: in einem ganz andern Sinn, siehst du, ist es wirklich mein Verschulden, dass du jetzt in diesem Sanatorium liegst. Aber da hast du mir nichts mehr zu verzeihen. Ich denke jetzt oft: Hätte ich dich nicht zu meiner Bewährungsprobe gemacht, wärest du auch nie auf diese Idee gekommen, mich durch dein Kranksein zu fesseln, und wir hätten einander auf natürliche Weise geliebt, ich weiss es nicht, oder uns auf natürliche Weise getrennt.

es ist etwas insgeheim wichtigtuerisches im sprachlichen duktus des max frisch. die kursiv gesetzten wendungen sperren den zugang zum seelischen, zum bewegenden, es sind reine rationalisierungen, die über die buchstaben hinaus keine atmosfäre verströmen. ihre häufigkeit entwerten eine solche prosa ungemein. was soll da ein wort von der 'natürlichen' liebe, was eines von der 'natürlichen' trennung - blosses geplapper!
wer hält was von einem falschen gewissen, wer kennt die freie geduld - irgendwas wird frisch schon meinen mit diesen schlagworten. wenn du leser fleisch um den knochen willst, wickle es selber drum. allerdings wird so auch jedwede poesie, jeder höhere anspruch an literatur totgeschlagen. tema stichhaltig in dichterisches dasein umgewandelt? welcher mensch schreibt eine solche kritik zu diesem buch? die natürliche liebe überzeugt den autor so sehr, dass er sie gleich noch einmal bringt. tönt halt einfach irgendwie gut, nicht wahr.
und jetzt? jetzt kommt frischs lieblingsfilosofie, die er in diversen büchern unter die leute bringt, derart viel hält er von ihr:

"So also siehst du mich!" sagte Julika. "Du hast dir nun einmal ein Bildnis von mir gemacht, das merke ich schon, ein fertiges und endgültiges Bildnis, und damit Schluss. Anders als so, ich spüre es ja, willst du mich jetzt einfach nicht mehr sehen. Nicht wahr?"

ein fertiges bildnis, und damit schluss. so einfach ist das. nein, anders will man den andern gar nicht mehr sehen, wenn man sich ein fertiges bildnis macht. endgültig. genau das gegenteil von liebe, ja. wer hat es nicht schon dutzendmal erlebt! nicht einmal dichterisch wäre es, fertige bilder zu machen! da wollen wir doch hübsch die leserschaft mit halbfertigen vergnügen. so wirkt das alles schön poetisch-halbfertig. so halbfertig, dass frisch sogar die bibel zum zeugen nehmen muss. ich weiss nicht, ob es frisch selber versteht. aber so ists und nicht anders. oder soll ich sagen, es ist nicht so?
staunen, ja, das wollt ich noch sagen, das ist es, was ich darauf sagen kann.
ich staune und rauche vor mich hin. -

gesetzt den vorwurf, ich hätte in böser absicht speziell spröde, steife, verunglückte passagen zitiert, so halte ich entgegen: wo wäre in diesen doch für eine rezension ungewöhnlich langen auszügen eine zeile dichtung auszumachen, ein funken poesie erkennbar? ist das vorgeführte nicht etwas mager für einen vertreter 'moderner schreibkunst', spricht etwas dafür, frisch für einen grossen schriftsteller des 20. jahrhunderts zu halten?
das pferd lässt sich auch vom andern ende aufzäumen. es seien im folgenden wendungen zitiert, die sich auf wenigen zusammenhängenden seiten finden. ich nehme eine passage vom anfang des romans, dem für jeden schriftsteller, für jedes buch bedeutungsvollen auftakt, häufig sorgsam erarbeitetes aushängeschild, werbung für die ganze sache.

der roman beginnt auf seite 9.

auf seite 17 steht:

und wenn es draussen windig ist, so dass die Strassenlampe schaukelt, könnte man irrsinnig werden vor schaukelnden Gitterschatten.

treffendes verb, so gut, dass die wiederholung sich rechtfertigt?

Jeder Zeitungsleser scheint hier zu wissen, wer Stiller gewesen ist. Das macht es fast unmöglich, etwas Genaueres zu erfahren; jedermann tut, als müsste man's wissen, und weiss selber nur Ungefähres.

stringente logik. scheinen die zeitungsleser nun zu wissen oder wissen sie nun bloss ungefähres? was denn nun?

seite 18:

Und unter Tatsachen, glaube ich, versteht mein Verteidiger insbesondere Ortsnamen, Daten, die man nachprüfen kann, beispielsweise Angaben über Beruf oder sonstiges Einkommen...

der beruf ein einkommen?

Vor mir geht ein Dicker mit glänzender Glatze (wie ich) und mit fetten Falten am Nacken, mit rudernden Armen, wenn er gehen muss...

wohl klar, dass die arme nicht rudern, wenn der kerl nur rumsteht. und dass er geht, hat stiller nun doppelt gesagt. so hält's wohl besser. und immer rudern die dicken. komisch. ich selbst bin dick und rudere nie...
dass ihm gleich darauf das umherblicken 'leibliche mühe' macht, versteht sich auch von selbst. so sind sie nun mal, die dicken. gleich darauf, alles auf seite 19, 'die linkische leutseligkeit eines intellektuellen'. und dass der oberwärter, 'ein sehr korrekter Mann', aufs 'persönlichste beleidigt' ist, wann immer 'sich etwas Unkorrektes ereignet' - jajaja, man kann sich das alles vorstellen, man kennt die schablone zur genüge.
wirkt das nicht sehr ausgelaugt, mürbe, alles in allem?
frischs figuren erregten teilnahme, sie lebten? lebten noch lange in der fantasie des lesers?
nun, an kleinen ansprüchen gemessen...
im gefängnishof, beim pausengang, entsteht eine spontane kickerei der gefangenen mit einer kartoffel. der wärter schreitet dagegen ein und will wissen, 'woher die kartoffel' (seite 20):

Wir schweigen im Kreis, grinsen. Der Oberwärter, die geschundene Kartoffel in der Hand, schreitet von Mann zu Mann, Aug in Auge. Jeder zuckt die Achsel. Der Oberwärter hat den Augenblick versäumt, die Kartoffel einfach wegzuwerfen; gegen seinen Wunsch ist die Sache plötzlich wichtig geworden, grundsätzlich.

die geschundene kreatur namens kartoffel. aug in auge im kreis von mann zu mann schreiten, immerhin eine ausholende, raumgreifende gangart. im kreis! und was oberwärter (zur erinnerung: oberwärter!) nicht für fromme wünsche haben...
kein sprachdebakel, zugegeben. aber sprachkunst?

gleich darauf:

Plötzlich meldet sich mein Jude. Allgemeines Gelächter! Sogar der Oberwärter merkt, dass dieses Geständnis (er hat noch nie einen Juden gesehen, der Fussball spielt) nur ein Hohn sein kann, was schlimmer ist als Diebstahl einer ungekochten Kartoffel. Der Jude muss austreten, seinerseits bleich vor Erregung.

weshalb der jude gerade stillers jude wäre, geht aus dem kontext nicht hervor, ebensowenig, dass er seinerseits bleich vor erregung wäre, denn es steht nichts davon, der oberwärter sei bleich oder dergleichen. dieses (einzige) geständnis und kein andres - das demonstrativpronomen etwas forciert. dass juden fussball spielen, wer hat denn schon sowas einmal erlebt, nicht wahr? er hätte eine gekochte kartoffel klauen sollen. das wäre, werweiss, weniger schlimm gewesen als eine ungekochte zu mausen.

alles nicht gerade berauschender intellekt, hochstehendes deutsch.
und nichts entweicht dem klischee.
im folgenden, seite 21, korresponidert 'das Geläute des Münsters, ein metallisches Dröhnen' etwas merkwürdig mit einem 'klanglosen Beben', einem 'Gerausch, wie wenn man von einem zu hohen Sprungbrett ins Wasser gesprungen ist'.
dass der boden nicht selber klingt - ja, ich will nicht ins grübeln kommen. aber rauscht er deshalb? und welches sprungbrett wäre zu hoch? erzeugte ein zu niederiges nicht doch auch noch ein bisschen - gerausch, wenn einer davon ins wasser springt? gibt es ein zu niedriges sprungbrett überhaupt?
kleinigkeiten? immerhin recht gehäufte unzulänglichkeiten. deshalb typisch für frischs sprachpflege. für seine vorstellungskraft. für die alles in allem eben ungenügende gedankliche präzision.
jeder gute autor greift mal daneben, auch der beste. aber doch nicht dermassen gehäuft!
auf derselben seite schweigt stiller 'vor Hoffnungslosigkeit'. sein verteidiger ein mann 'rechtschaffen bis in die Kleidung'. ausserdem ist er 'gerecht bis in die Nebensächlichkeit', auch gerecht 'zum Verzweifeln'.

'Vielleicht ist es nur seine Temperamentlosigkeit, was mich so masslos reizt, seine Korrektheit, seine Mässigkeit.'

vielleicht gilt dasselbe nicht nur stillers verteidiger, sondern ebenso frischs sprache.
stiller findet solche leute 'grässlich', sein verteidiger bringt ihn 'jedesmal zum Platzen', stiller schweigt 'bis zur Unflätigkeit'.

je nun, ich finde an dieser schriftstellerei weder originelles noch berauschendes.
wir erreichen die seite 22. und vernehmen, dass stundenlanges verlesen von akten in der gefängniszelle auch 'eine art von Folterung' sei. gutgut, das kann man so sagen. gefängisinsassen sind es bestimmt gewohnt, von verteidigern 'stundenlang' in ihren zellen in die mangel genommen zu werden. wir wollen das nicht allzugenau überprüfen. das klischee der (akten)folterung findet frisch so toll, dass er seinen stiller gleich darauf noch einmal von folterung reden lässt:

" - ich komme gerade von Mexiko", wiederholte ich, "und Sie können mir glauben, die berühmten Menschenopfer der Azteken, die menschliche Herzen aus dem lebendigen Leibe schnitten, um sie den Götzen zu opfern, sind ein Kinderspiel, verglichen mit der Behandlung an der schweizerischen Grenze, wenn ein Mensch ohne Papiere kommt - oder mit falschen Papieren - ein Kinderspiel!"

immer noch rosinen gepickt, könnte man gegen meine demontage einwenden. aber kaum noch, sie seien nicht zahlreich verstreut.
der roman, sagte ich, beginnt in meiner ausgabe auf seite 9. vielleicht hätte ich absichtlich mit der seite 17 begonnen, weil 8 seiten lang nichts zu kritteln gewesen wäre?

allons! neun bis sechzehn!

seite 9 sei geschenkt, ich gehe über gestelzte formulierungen wie 'ansonst', unbestechlich sein 'bis zur Grobheit', noch einmal 'ansonst' und 'die schlichte und pure Wahrheit' hinweg.

seite 10, mitte:

'trotz meiner ebenso deutlichen wie höflichen Warnung'
'mit der Miene eines gesetzlich geschützten Hochmuts'
eine mütze rollt über den bahnsteig 'weiter als erwartet'
'aus den Fenstern hingen die Winkenden'
'auf eine wutlose Art einfach entgeistert'
es kam ihm 'die begreifliche Wut'

solche formulierungen kann man goutieren, aber doch nicht als dichtung durchgehen lassen. dafür wirken sie allesamt zu ausgelaugt.
dass aber die winkenden aus den fenstern hingen - das ist schlecht. man hänge einmal aus dem fenster und winke noch dazu!

seite 11:

Es war merkwürdig: ich folgte ihm wie unter einem Zwang von Anstand. Durchaus wortlos und ohne mich anzufassen, was gar nicht nötig war, führte er mich auf die Wache, wo man mich fünfzig Minuten lang warten liess.

Ein anderer Fahrgast, ein Schweizer, hatte mich angesprochen. Als Augenzeuge meiner Ohrfeige war er auch zugegen, dieser Reisende, der mir seit Paris auf die Nerven ging. Ich weiss nicht, wer er ist. Ich habe diesen Herrn nie zuvor gesehen. In Paris kam er ins Abteil, weckte mich, indem er über meine Füsse stolperte, und verstaute sein Gepäck...

kein funken poesie, nirgends. keine musikalität. routiniert, konventionell, nur gedankliches konstrukt. keine zeile mitreissend, keine überdurchschnittlich gut. von den kursiv gesetzten stellen ganz abgesehen. gewiss, keine hohlen sprachexperimente. aber auch kein besonderer, persönlicher stil. kunst ist was anderes. flüssig, aber zu mechanisch; versiert, aber zu stumpf. und nie brillant.
keine glut, kein feuer und nichts, was den rahmen sprengt. modern, im positiven sinne, kann diese sprache niemals sein. sie ist altbacken und oft gewunden, sie tendiert nicht selten ins patetische, protzige und klingt immer etwas geschraubt und zuweilen verknorzt. und wo sie das alles nicht ist, bleibt sie konventionell. nett, sauber, putzig wie die schweiz.

seite 12, auszug:

> Hinter uns standen bereits zwei Beamte, ein Zöllner und ein anderer, der einen Stempel in der Hand hielt. Ich gab den Pass. Ich spürte jetzt, dass ich zuviel getrunken hatte, und wurde mit Misstrauen betrachtet. Mein Gepäck, klein genug, war in Ordnung. Ist das ihr Pass? fragte der andere. Erst lachte ich natürlich. Wieso nicht? fragte ich, nachgerade ungehalten: Wieso ist dieser Pass nicht in Ordnung? Es war das erste Mal, dass mein Pass in Zweifel gezogen wurde, und all dies nur, weil dieser Herr mich mit einem Bild in seiner Illustrierten verwechselte...
"Herr Doktor", sagte der Kommissär zu eben diesem Herrn, "ich will sie nicht länger aufhalten, jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Auskünfte."
In der Türe, während der dankbare Herr die Klinke hielt, nickte er, dieser Herr, als würden wir uns kennen. Es war ein Herr Doktor, wie es sie zu Tausenden gibt. Ich hatte nicht das mindeste Bedürfnis zu nicken. Dann kam der Kommissär zurück, wies abermals auf den Sessel:
"Bitte", sagte er, "wie ich sehe, Herr Stiller, sind sie in einem ziemlich betrunkenen Zustand -"
"Stiller?" sagte ich, "ich heisse nicht Stiller!"
" - ich hoffe", fuhr er unbekümmert fort, Sie verstehen trotzdem, was ich Ihnen zu sagen habe, Herr Stiller."
Ich schüttelte den Kopf, und dazu bot er Rauchwaren an, sogenannte Stumpen. <

was kann an solcher schilderung auch nur talentiert sein? ein schriftsteller, wie es sie zu tausenden gibt...
lebt da was, bewegt da was, weckt da was?
ein meisterwerk?
das ist doch nachgerade übertrieben...mit flottem parlieren geht diese sprache über alles hinweg, was poesie ausmacht. der angekreideten wendungen wegen knickt sie da und dort ins gar nicht mehr so flotte ab: sie kriegt krücken.
gewiss, es gibt bebuchverpreiste dilettanten, die noch magerer, die erbärmlich schreiben. aber im ernst von grösse, von dichterischer bedeutung frischs zu reden, verbietet sich doch einigermassen redlichen geistern.
frisch schreibt unerotisch, merkwürdig unsensibel für nuancen und finessen, immun gegen alles magische, schillernde, irrationale der sprache. somit entfaltet sich kein rechtes leben, weist nichts über das proklamierte, hingeklotzte, rein argumentativ-logische hinaus. der eindruck, hier konstruiere einer etwas hilflos an der mechanik der deutschen sprache herum, drängt sich schnell einmal auf, man braucht gar nicht viel davon zu lesen.
frisch schreibt eine sprache, die sich von der alltagssprache nur dadurch unterscheidet, dass eine spürbare ambition dahintersteckt, gewichtig zu sein, mehr zu sagen, als er vermag, als seine sprache hergeben kann. dadurch entsteht ein gewisser effekt, ein künstlicher raum, auch ein bestimmter, unverkennbarer sound. ich sollte wohl eher sagen, ein gekünstelter, ein konstruierter raum, denn mit kunst hat das nichts zu tun. die wäre viel organischer. es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als gehabe, um pseudokunst im eigentlichen sinne. frisch mimt eine pose, die sich bei näherer betrachtung als etikettenschwindel erweist. was er über die alltagssprache hinaus vermag, ist nichts als brimborium, das gilt fürs stilistische ebenso wie für die intellektuelle leistung.
er schreibt mit variabel dosierter schwulst.
wo sie wegbleibt, erkennt man biedere gedanken, allgemeinplätze, anerzogene, aber uninteressante (bildungs-)eloquenz, einen habituellen fluss, der weissgott nichts mitreissendes an sich hat. wo er flunkert und klotzt, ist seine schreibe als beitrag zur höheren literatur abzulehnen. das kann für einen bildungshungrigen jungen menschen, der vielleicht in der schule mit frischs werk konfrontiert wird, heissen: frisch stopft ihm die kanäle zu, statt dass er sie erweitert. ja, das ist es: frisch stumpft ab. er kann nur gut wegkommen in der differenz zu noch schlechterem (schulischem) lesestoff, von dem es allerdings ausreichend gibt. eine gewisse verderbliche wirkung kann also eintreten und den zugang zur sprachkunst von anfang an coupieren. kein trost, dass dieser vorgang auch in andern disziplinen gangundgäbe ist.

ich sagte unerotisch: (seite 13)

Selbstverständlich lehnte ich ab, da er sie offenkundig nicht mir, sondern einem gewissen Herrn Stiller anbot. Auch blieb ich, obschon der Kommissär sich wie zu einer ausgiebigen Unterredung niederliess, meinerseits stehen.

weil zu korrekt, gesichtslos, aschfahl. es fehlt am wortschatz, es mangelt am risiko, es harzt mit der schlankheit, der sprachlichen ökonomie, zuviele zufällige, zuviele umständliche wendungen ergeben zuwenig ertrag.

ich sagte, merkwürdig unsensibel für nuancen und finessen:

Es war nichts zu machen: die Verwechslung lag vor, und alles, was ich jetzt sagte, wirkte nur noch wie Ziererei oder echte Bescheidenheit.

"Ich verstehe nichts von solchen Sachen", sagte er, "aber dieser Herr Doktor, der sie erkannt hat, scheint ja eine sehr hohe Meinung von ihnen zu haben."

Er nahm es fast gemütlich, rauchte seinen etwas stinkigen Stumpen, die beiden Daumen in seine Hosenträger gehängt, denn es war ein schwüler Nachmittag, so dass der Kommissär, zumal er mich nicht länger für einen Ausländer hielt, seine nicht eben zweckmässige Jacke etwas zugeknöpft hatte, dieweil er mich musterte, ohne im mindesten zu hören, was ich sagte.

wie froh wäre man endlich, schon nach 13 seiten, um etwas stimmung, farbe, um etwas ungewohntes, gewagtes, verrücktes oder immerhin tiefes oder sprachschöpferisches oder wenigstens zweidimensionales, warum nicht modernes, was einen aus diesem stumpfen, lust- und saftlosen sprach- und sprechtrott hinweghöbe!
um frischs treuen fans, deren es zahllose in meinem land gibt, nicht allen mut zu nehmen: ich lasse, entgegen meiner ankündigung, die seiten 14-16 aus. denn da, gerade da, entfaltet sich eine ungemein dichte, dichterische atmosfäre, hat frisch alles, aber auch wirklich alles zu bieten, was ein poet seinem publikum nur bieten kann. das will ich hier aber nicht weiter ausführen, denn gnadenlos will ich brandmarken hier, niederreissen, stänkern und verleumden. ich ertrage einfach keinen grossen neben mir, ehrenwort. aber ich gebe jenen den rat: holt nicht das buch hervor und lest die paar seiten dichtung. tut es nicht; es glaubt sich, wie im katolizismus, besser, wenn man die bibel nicht studiert! und weshalb sollte es, ihr frommen schafe, nach dem gesagten und wie ich glaube erhärteten und demonstrierten nicht möglich sein, dass da einer zwischendurch plötzlich und leichthin übers wasser ginge wie jesus, der sich ansonst auch ein leben lang mühsam durch die wüste geschleppt?

im ganzen verbreiten frischs bücher eine aufgeklärt-spiessige gesinnung, das gilt besonders auch für seine politischen, gesellschaftskritischen schriften. weder einschlägige notizen in seinen 'tagebüchern' noch sein 'wilhelm tell für die schule' noch etwa seine letzte schrift, 'schweiz ohne armee', können doch einen erwachsenen hund hinterm ofen hervorlocken. hingegen hatte er stets eine anzahl auguren hinter sich versammelt, die ihn in ihr politisches garn einspannen, der sich freilich auch gern bauchpinseln liess. eine wechselbeziehung auf guter geschäftsbasis.
von werner weber stammt die ulkige analyse, frisch erlange 'das schöne, indem er an kunst weniger tut, als er vermöchte - aus dem bedenken heraus, das wort selber presse der sache eine maske auf, statt dass es die sache melde...'
interessante windung, wie?

abschliessend noch einige zitate frischs zum vorgang des schreibens und der situation des schriftstellers:

Man hält die Feder hin, wie eine Nadel in der Erdbebenwarte, und eigentlich sind nicht wir es, die schreiben; sondern wir werden geschrieben. (tagebuch)

durch den heiligen geist wohl?

Ich gebe Zeichen von mir, Signale... ich schreie aus Angst, ich singe aus Angst vor meinem Alleinsein im Dschungel der Unsagbarkeiten. (rede)

die rede wurde kurz nach der publikation des romans 'stiller' gehalten. aber bitte, wo wären schreie, wo gesang zu vernehmen gewesen darin?

Auch Euch, junger Mann, verbleiben noch immer die Kontinente der eigenen Seele, das Abenteuer der Wahrhaftigkeit. Nie sah ich andere Räume der Hoffnung. (chinesische mauer)

passt doch genau zu den schwülstigen passagen

Mein Schreibrecht kann nur in seiner Zeitgenossenschaft begründet sein. (tagebuch)

tönt doch engagiert, nicht? aber was meint er eigentlich damit? ich vermute, ziemlichen quatsch.

Man gibt Aussagen, die nie unser eigentliches Erlebnis enthalten, das unsagbar bleibt; sie können es nur umgrenzen, möglichst nahe und genau, und das Eigentliche, das Unsagbare, erscheint bestenfalls als Spannung zwischen diesen Aussagen. (tagebuch)

das zitat passt zum technokratendeutsch frischs. gute sprache ist erlebnis. und genaue abbildung ist eben nicht ein künstlerisches tema. künstlerische sprache ist neuschöpfung, erzeugnung von leben. und nicht ein mehr oder weniger genauer abklatsch dessen, was wir sonst erleben. hinwiederum: die präzision kommt schon zum tragen, aber anders, als frisch es sich vorstellt. ohne präzision vermag die sprache nicht ins bildnerische vorzudringen. und vermag sie keine bedeutenden gedanken zu äussern. und auch: die erlebnisfähigkeit dringt durch die struktur der sprache, wenn die sprache erlebnisecht ist. und erlebnis ist nun wirklich keine rationale kategorie. rationale sprache ist per se unkünstlerische sprache.

Was wichtig ist, das Unsagbare, das Weisse zwischen den Worten, und immer reden diese Worte von den Nebensachen, die wir eigentlich nicht meinen...unser Streben geht vermutlich dahin, alles auszusprechen, was sagbar ist; die Sprache ist wie ein Meissel, der alles weghaut, was nicht Geheimnis ist, und alles Sagen bedeutet ein Entfernen. Es dürfte uns insofern nicht erschrecken, dass alles, was einmal zum Wort wird, einer gewissen Leere anheimfällt. Man sagt, was nicht das Leben ist.

wohl lässt sich das zum 'stiller' sagen: frischs sprache haut alles weg. die des dichters bewirkt das gegenteil.

Kurze Anmerkung zu Costantinos "max frisch und die konvention"
schandfleck.ch_textkritik/2007/mai
david manuel kern
Max Frisch - Stiller
Max Frisch stellte seinem ersten Roman Stiller ein Zitat Kierkegaards voran: Sieh, darum ist es so schwer, sich selbst zu wählen, weil in dieser Wahl die absolute Isolation mit der tiefsten Kontinuität identisch ist, weil durch sie jede Möglichkeit, etwas anderes zu werden, vielmehr sich in etwas anderes umzudichten, unbedingt ausgeschlossen wird.
In diesem Satz steckt die gesamte Problematik und ihre Wiederholung des Romans; es ist eine literarisch verpackte Realitätskonstruktion des Individualitätsproblems, das Frisch in seiner gesamten dichterischen Laufbahn verfolgte. Anklänge im Homo Faber, ausgelebt in Mein Name sei Gantenbein.
Ein gewisser Mr. White, der Ich-Erzähler der Geschichte, wird beim Grenzübertritt in die Schweiz festgenommen und fortan für den seit sieben Jahren verschollenen und wegen einer Affäre verdächtigten Bildhauer Ludwig Anatol Stiller gehalten. Der Roman nun entfaltet eine teilweise verwirrende narrative Konstruierung aus, was den ersten Teil betrifft, berichthaften, tagebuchähnlichen Aufzeichnungen des Protagonisten aus der Untersuchungshaft. In sieben "Heften" wird die amerikanische Geschichte des Mr. White, dessen Namen an ein ungeschriebenes weißes Blatt Papier erinnert, und die frühere schweizer Geschichte des Stiller und sein in die Gesellschaft integriertes Bild von sich selbst ausgebreitet. Frisch aber begnügt sich nicht mit seiner Identitätskrise. Er führt den Leser in einer fürchterlich geschwätzigen Art und Weise ein in das bröckelnde Liebesleben zweier Paare, die sich überdies in einem dubiosen Vierecksverhältnis ihrer mühsamen Wege kreuzen.
Dieser Fünfhundertseitentext ist gekennzeichnet durch die Ambivalenz, die er dem Leser vermittelt. Ein Drittel des Romans zeichnet sich durch ein sehr kraftvolles Insprachesetzen Frisch'scher Ichunklarheit aus, ein Erzählen durch die Vergangenheit und Mutmaßungen und Hoffnungen in die Zukunft. An gewissen Stellen vermag der Autor zu packen, vermag eine Geschichte aufzurollen, die dem Leser durch geistvollen Perspektivenwechsel eröffnet wird. Durch das Protokollieren, Notieren, Nachdenken des vermeintlichen Mr. White entsteht ein roter Faden, der, wenn er um die Frage nach der eigenen Identität kreist und ringt, ein wunderbares Sinnieren aufseiten des Lesers erzeugt: Er fühlte sich ein anderer, mit Recht, er war ein anderer als jener Stiller, wofür man ihn sofort erkannte, und davon wollte er jedermann überzeugen; das war das Kindische. Wie aber sollen wir darauf verzichten können, wenigstens von unseren Nächsten erkannt zu werden in unserer Wirklichkeit, die wir selbst nicht kennen, sondern bestenfalls nur leben können? Es wird nie möglich sein ohne die Gewißheit, daß unser Leben von einer übermenschlichen Instanz gerichtet wird, ohne wenigstens die leidenschaftliche Hoffnung, daß es diese Instanz gebe. Wie Gantenbein scheitert Stiller in seinem Wunsch und seiner Sehnsucht, eine andere Identität anzunehmen, um die äußerliche Objektivität zu vernichten. Frisch aber begibt sich auf einen leichten Weg und löst das Problem mit der möglichen Existenz einer übergeordneten "Instanz", einem gottähnlichen Wesen. Dieser banale Reaktionismus aber ist es, das dem Buch Enttäuschung anhaftet. Insofern stimmt es völlig mit Kierkegaard überein, dessen Resignation schließlich das Auftauchen einer religiösen Notwendigkeit unverhinderlich macht.
Die restlichen zwei Drittel des Buches ist eine krampfhafte Auseinandersetzung mit dem Liebesfreud und -leid der beschriebenen Protagonisten. Sybille und Stiller, Rolf und Sybille, Stiller und Julika. Stillers Beziehung zur todkranken Julika bleibt unerfüllt, Stiller scheitert in zweifacher Hinsicht. Mehr sei nicht zu sagen, mehr sei nicht vonnöten. Denn die perspektivenwechselnde Sichtweisen der Schwierigkeit und Unmöglichkeit einer Liebe zwischen Mann und Frau kann man in vollen Zügen genießen bei der Lektüre mehrfacher Kundera Romane. Dazu brauche ich keinen Frisch.
Im Folgenden möchte ich noch ein paar sprachliche Anmerkungen zu Costantinos Text "max frisch und die konvention" in Beiläufigkeit verlieren.
Frisch hätte "überhaupt keinen glanz", gar "nichts in seiner prosa vermag mitzureissen". Dieser gewagten Unterstellung möchte ich entgegentreten und so mit dem Gegenbeweis antreten: Mit silbernen Rändern schmilzt das Gewölk vor der Sonne, und Wäldchen heben sich inselhaft aus einem metallischen Gleißen, sie wandern über ein Ried, und einmal, beim Sprung über einen murmelnden Graben, steckt ihr Schuh plötzlich im zähen Morast; sie seiltänzelt mit einem bloßen Strumpf, die junge Frau, so daß der junge Mann sie halten muß. Sie küssen einander zum erstenmal. Hinter den Wäldchen gibt es Seen von Kühle, Schattenschnee zwischen rötlichen Weiden. (...) wie eine blinkende Sense liegt wieder der See, und über den Alpen steht lautlose Brandung des Gewölkes, ein leuchtendes Geschäum. (...) An den Scheiben summt eine Fliege, Wolken von Glück, der Traurigkeit nahe, umfangen und tragen die Stunde, das seltsame Dasein und Wachsein, das Unerwartet-Gemeinsame (...)."
Unbemerkt wie Schnappschüsse tauchen in Stiller immer wieder sprachliche Lichtblicke auf, deren Einfühlsamkeit und narrative Gefangenheit eine Verwunderung verursacht, die im Hinblick auf die ärmlichen restlichen Zeilen unglaubwürdig und in das falsche Buch verirrt erscheinen.
Ja, Costantino hat Recht, wenn er meint, alles sei "mitunter banal", Frisch vertrete die "intellektuelle mitte, den geistigen mittelstand". Der geistige Mittelstand, das ist der Umgang mit der Frage der Identität, banal, das ist die sprachliche Benommenheit, die ein Liebesunglück zu schildern drängt, Unzulänglichkeiten wie betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. Kann ich Frisch noch ernst nehmen?
Viele Passagen, vor allem jene Gespräche zwischen Julika und Stiller wirken tatsächlich abgedroschen, "unoriginell". Manches gar erinnert an die Trivialität verführerischer Heftchenromane.
"jetzt kommt frischs lieblingsfilosofie, die er in diversen büchern unter die leute bringt, derart viel hält er von ihr." Die Ironie dieser Worte impliziert einen Hauch von Lächerlichkeit, der fehl am Platz ist. Max Frisch sollte dennoch, obwohl uns dieser erste Roman vorliegt und die Umsetzung einer philosophischen Problematik misslang, nicht unterschätzt werden. Der Zusammenhang von Wirklichkeit und Sprache, die stets nur Möglichkeiten der Wirklichkeit erörtern kann, die Diskrepanz zwischen faktischer und tatsächlich erlebter Wirklichkeit, die "Kluft zwischen Welt und Wahn" (Mein Name sei Gantenbein), all dies relevante philosophische Erdichtungen, die teilweise Entsprechungen finden beispielsweise im Sartreschen Existentialismus.
"frisch schreibt eine sprache, die sich von der alltagssprache nur dadurch unterscheidet, dass eine spürbare ambition dahintersteckt, gewichtig zu sein, mehr zu sagen, als er vermag, als seine sprache hergeben kann. dadurch entsteht ein gewisser effekt, ein künstlicher raum, auch ein bestimmter, unverkennbarer sound. ich sollte wohl eher sagen, ein gekünstelter, ein konstruierter raum, denn mit kunst hat das nichts zu tun." Costantinos Intention, Frisch hier gar kunstlos erscheinen zu lassen, nährt sich wohl aus der Lust zur Vernichtung: "will ich brandmarken hier, niederreissen, stänkern und verleumden". Die Behauptung, Frisch schreibe reine Alltagssprache, erscheint durch die Lektüre seiner Romane, seiner Tagebucheintragungen als unsinnig und unhaltbar. Die oftmals misslungene Sprache im Stiller darf nicht dazu vergewaltigt werden, Frisch vollends abzulehnen. Natürlich kann man hier grundsätzlich von höchster Kunst sprechen, von durchdachter Sprache, die mit einem Alltag im Entferntesten nichts zu tun hat. Ein zweites und letztes Mal zitiere ich:
Später wird alles noch farbiger; die Wolkenkratzer ragen nicht mehr als schwarze Türme vor der gelben Dämmerung, nun hat die Nacht gleichsam ihre Körper verschluckt, und was bleibt, sind die Lichter darin, die hundertausend Glühbirnen, ein Raster von weißlichen und gelblichen Fenstern, nichts weiter, so ragen oder schweben sie über dem bunten Dunst, der etwa die Farbe von Aprikosen hat, und in den Straßen, wie in Schluchten, rinnt es wie glitzerndes Quecksilber. Rolf kam nicht aus dem Staunen heraus: Die spiegelnden Fähren auf dem Hudson, die Girlanden der Brücken, die Sterne über einer Sintflut von Neon-Limonade, von Süßigkeit, von Kitsch, der ins Grandiose übergeht, Vanille und Himbeer, dazwischen die violette Blässe von Herbstzeitlosen, das Grün von Gletschern, ein Grün, wie es in Retorten vorkommt, dazwischen Milch von Löwenzahn, Firlefanz und Vision, ja, und Schönheit, ach, eine feenhafte Schönheit, ein Kaleidoskop von Kindertagen, ein Mosaik aus bunten Scherben, aber bewegt, dabei leblos und kalt wie Glas, dann wieder bengalische Dämpfe einer Walpurgisnacht auf dem Theater, ein himmlischer Regenbogen, der in tausend Splitter zerfallen und über die Erde zerstreut ist, eine Orgie der Disharmonie, der Harmonie, eine Orgie von Alltag, technisch und merkantil über alles, zugleich denkt man an Tausendundeine Nacht, an Teppiche, die aber glühen, an schnöde Edelsteine, an kindliches Feuerwerk, das auf den Boden gefallen ist und weiterglimmt, alles hat man schon gesehen, irgendwo, vielleicht hinter geschlossenen Augenlidern bei Fieber, da und dort ist es auch rot, nicht rot wie Blut, dünner, rot wie die Spiegellichter in einem Glas voll roten Weines, wenn die Sonne hineinscheint, rot und auch gelb, aber nicht gelb wie Honig, dünner, gelb wie Whisky, grünlich-gelb wie Schwefel und gewisse Pilze, seltsam, aber alles von einer Schönheit, die, wenn sie tönte, Gesang der Sirenen wäre, ja, so ungefähr ist es, sinnlich und leblos zugleich, geistig und albern und gewaltig, ein Bau von Menschen oder Termiten, Sinfonie und Limonade, man muß es gesehen haben, um es sich vorstellen zu können, aber mit Augen gesehen, nicht bloß mit Urteil, gesehen haben als ein Verwirrter, ein Betörter, ein Erschrockener, ein Seliger, ein Ungläubiger, ein Hingerissener, ein Fremder auf Erden (...).

Meine Intention wiederum, hier eine kleine Anmerkung zum Frisch-Verriss Daniel Costantinos aufzubreiten, kam in jenem Moment zustande, in dem ich eine gewisse Undankbarkeit verspürte gegenüber des großen Schweizers. Es kam zum sofortigen Erwerb und Lektüre des Stillers, das sich bald als schleppend erwies. Das Gefühl der Empörtheit wich schnell einer schamvollen Einsicht: Mein Vorredner hat in den meisten Punkten Recht. Nichtsdestotrotz wäre es ein literarisches Vergehen, aufgrund dieses Romans ein völliges Ausblenden und Ignorieren Max Frischs erfolgen zu lassen. Der grandiose Roman Mein Name sei Gantenbein, der nicht minder ausgezeichnete Roman Homo Faber, die aufschlussreichen, in Buchform erhältlichen Tagebucheintragungen, die Stücke. All dies Hinterbliebenheiten einer großen Sprachkunst, auch wenn manchmal die Kontinuität zu stocken droht.

auf ein wort - kurze replik von daniel costantino
schandfleck.ch_textkritik/2007/mai
david manuel kern

auf ein wort - kurze replik

ich weiss schon, woher die verwunderung rührt über frischs schnappschussartige sprachliche lichtblicke: sie haben sich in der tat ins falsche buch verirrt und in die falsche zeit. es handelt sich um imitationen. alles aus zweiter, dritter hand. wie könnte ich mich von einem blender mitreissen lassen? plötzlich, überfallartig, von diesem trockenen, rationalen, überaus intellektuell sich gebärdenden autor von inselhaften wäldchen, von romantischen wanderungen übers ried und murmelnden gräben zu lesen, macht stutzig. ich spüre da eine regredierung in die märchenwelt, die frisch kaum selber hat ernstnehmen können - er war nun mal keine solche seele. die poetischen anwandlungen dieser stelle entkräften sich selbst durch gekünstelte alliteration und misslungene, nicht durchgehaltene rytmisierung, als fiele ein musiker aus dem takt. verräterisch die seen voll kühle, die fliege, die summt wie an andrer stelle die wespe, die wolken von glück, der traurigkeit nahe. hach, das dasein und wachsein! das unerwartet-gemeinsame! muss ich noch sagen, wie oft ich von blinkenden sensen schon gelesen, vom gewölk vor der sonne, von rötlichen weiden, metallischem gleissen und lautloser brandung?
das misstrauen gegen solche passagen ist überaus berechtigt. -
doch auf einmal höchste kunst, als erwüchsen meinem albernen scherz von der dichterischen atmosfäre auf seiten 14-16 unversehens flügel im spätern verlauf? wie bitte, die ragenden wolkenkratzer? die farbe der aprikosen, das glitzernde quecksilber gar? herbstzeitlosen und neon-limonade! das grün von gletschern und das grün von retorten! firlefanz und vision! rot, aber nicht rot, sondern rot, bengalische walpurgisnächte, bunte scherben, aber bewegt, dünn, dünner, gelb, aber nicht gelb wie honig. ja, eine schönheit, wenn sie tönte!
am besten man schliesst die augen wie beim fieber. die aber glühen - leblos und albern zugleich. -

ich warne vor sämtlichen gantenbeinen und tagebuchnotizen dieses autors!

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