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schandfleck.ch_textkritik/2007/dezember
daniel costantino
 

ein nachmittag mit heine

so. nun wird er geprüft, beklopft, gewogen, dieser letzte dichter der romantik, wie die rede geht, ihr herkulischer künder und überwinder zugleich, dieser multitalentierte, siebengescheite, scharfzüngige und herzenswarme in einem, der die alltagssprache lyrikfähig gemacht, wohlklang, scharfsinn und stil dem stumpfen deutschen sprach- und zeitgeist eingeimpft haben soll bis zum heutigen tag, dessen bissige, witzigen werke voller poesie, bahnbrechereien auf dichterischer linie allesamt, das moderne, auch feuilletonistische, auch politische mass aller dinge.
gesellschaften, denkmäler, universitäten tragen seinen namen, portale, preise und ganze jahre. vertont, übersetzt, in aller munde. die vita, der werdegang, seine wirkung lückenlos erforscht. als junger mann ein tuchgeschäft, das nicht florierte, dafür brachte er die deutsche sprache zum blühen. seht, so:

In mein gar zu dunkles Leben
Strahlte einst ein süßes Bild;
Nun das süße Bild erblichen,
Bin ich gänzlich nachtumhüllt.

Wenn die Kinder sind im Dunkeln,
Wird beklommen ihr Gemüth,
Und um ihre Angst zu bannen,
Singen sie ein lautes Lied.

Ich, ein tolles Kind, ich singe
Jetzo in der Dunkelheit;
Ist das Lied auch nicht ergötzlich,
Hat's mich doch von Angst befreit.

mit diesem gedicht beginnt der lange zyklus 'die heimkehr' aus dem 'buch der lieder', herausgegeben 1827, das heines ruhm begründet hat und sich bis heute grosser beliebtheit erfreut. es wird ihm nachgerühmt, er habe den nerv seiner zeit damit getroffen. nun, bei licht besehen, kann dies weder für gestern noch für heute etwas gutes heissen.

In mein gar zu dunkles Leben
Strahlte einst ein süßes Bild;
Nun das süße Bild erblichen,
Bin ich gänzlich nachtumhüllt.

hier schon der kitsch, der seither schule gemacht, zum grossen verderben der kunst. recht seicht und substanzlos, ziemlich erbärmlich dieser auftakt, dekoration, vorgefertigte attrappe. das gar zu dunkle leben: wie so dunkel ahndevoll wird mir! verschworen wohlfeil, lüstern schwülstig kommt die strofe daher, bedeppert herzensbrecherisch, alles ringelt sich, schon da wie im ganzen zyklus, ums tausendmalbekannte süsse bild, zur mystifikation des biedersinns, wie ein lorbeerkranz der göttin artigkeit aufs haupt, triumf der hausordnung über die kunst. und weils einmal so schön und augenzwinkernd passt, das süsse adjektiv, seis uns grad nochmals vergönnt, jedes knullerige väterlein, jedes lesende mütterlein wirds verstehn und den gutkalkulierten knullertränenhandel eingehen. die spottende jugend weicht aus scham vor versündigung gegen die kindliche seele und respekt vor dem wort eines dichters zurück. nach lektüre des zyklus', wenn mans beim kaufe des buches nicht schon gewesen, wird man geistig genau so sein wie der dichter da: nachtumhüllt. tönt halt so schaurig gruselig romantisch schön! dabei enthält die strofe nur reiz, nur den stoff, den das spiessige alltagsleben bietet. darin sehen kreti und pleti, sehen professoren und literaten und solche, dies werden wollen, schon die ganze kunst. und ist doch alles das gegenteil davon.

Wenn die Kinder sind im Dunkeln,
Wird beklommen ihr Gemüth,
Und um ihre Angst zu bannen,
Singen sie ein lautes Lied.

welch ein niedergang der gedichtkultur! da ist nichts aus der sprache heraus gestaltet, in der sprache selbst gefunden, zu ihr erfunden, alles blasses, ignorantes trallalla, wurmstichig, seelisch verdorben, verdreht. wörter, die jeder kennt, die soviel besagen, wies jeder grad braucht, sätze, die nirgendwohin tragen, die man goutiert, weil eh keiner denkt, der sogenannte dichter zuletzt, der fertigt warme semmeln zum discount. die sprachliche umstellung der ersten zwei zeilen

Wenn die Kinder sind im Dunkeln,
Wird beklommen ihr Gemüth,

gilt hier als dichterisches gütesiegel, dabei bedeutet sie hilflosigkeit, versagen vor den simpelsten voraussetzungen künstlerischen wirkens, lächerliche attitüde. es gibt nichts in diesen zwei strofen, das der reimerei wert, des versuchs überhaupt einer lyrischen wiedergabe. keine fäden spinnen sich, keine klarheit tritt über die nasenspitze hinaus zutage, nichts untergründiges, hintergründiges, geheimnisvolles bahnt sich seinen weg, alles dergleichengetan, leere hülse, leierkasten.

Ich, ein tolles Kind, ich singe
Jetzo in der Dunkelheit;
Ist das Lied auch nicht ergötzlich,
Hat's mich doch von Angst befreit.

der erlebnisgehalt des elenden rests ist wie im vorausgegangenen gleich null, das tolle kind, das nichtergötzliche lied, die befreiung 'von angst' pure information, behauptung, plattitüde, eins unbesehen aufs nächste geklatscht und immer so weitervertratscht, sprachlich in hohem masse uninspiriert. von subjektiver, im engern sinne künstlerischen empfindung zu sprechen verbietet der elementarste intellektuelle anstand. das gedicht ist eine totgeburt.

Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai;
Ich stehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Bastei.

Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in stiller Ruh';
Ein Knabe fährt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.

Jenseits erheben sich freundlich,
In winziger, bunter Gestalt,
Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,
Und Ochsen, und Wiesen, und Wald.

Die Mädchen bleichen Wäsche,
Und springen im Gras' herum;
Das Mühlrad stäubt Diamanten,
Ich höre sein fernes Gesumm'.

Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhäuschen steht;
Ein rothgeröckter Bursche
Dort auf und nieder geht.

Er spielt mit seiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er präsentirt und schultert -
Ich wollt', er schösse mich todt.

nummer drei des zyklus' - als parodie herzlich willkommen. der verfasser sein eigener teufel des spotts. anleitung zum gedichteversalzen: vom anfange dieses gedichts, vom traurigen herz bis zum wunsch der letzten zeile, totgeschossen zu sein, darf sich garnichts zusammenreimen, es führe kein weiterer gedanke, kein strang, weder poetische noch irgendgeartete kreative, künstlerische energie vom anfangssatze zum letzten. das traurige herz bleibe leere versprechung, nichts folge, was die aussage bekräftigt, verlebendigt, unterstriche, nur der abrupte und völlig zusammenhangslose schlussatz nehme daraufhin einen längst verpufften bezug. ein blosser einfall, der garnicht ernstgenommen, garnicht weiter ins spiel gebracht wird, zu flau, zu substanzlos, zu nichtig noch für eine flunkerei. und fertig ist die feldwaldundwiesensuppe, brühe ordinaire. und man lache und staune, wer diese verseschmiederei für kunst oder überhaupt der rede wert hält. ich halte jedoch für der rede wert, über das kunstverständnis einer verdummten gesellschaft zu sprechen.

Mein Herz, mein Herz ist traurig,
Doch lustig leuchtet der Mai;
Ich stehe, gelehnt an der Linde,
Hoch auf der alten Bastei.

Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in stiller Ruh';
Ein Knabe fährt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.

es gibt im ganzen gedicht keine einzige stelle, die seinem verfasser aus innerer notwendigkeit, aus seelenspannung in die feder hat fliessen müssen. geistloser, schablonenhafter anfang: trauriges herz und lustig leuchtender mai. das ist viel zu platt und zu plump, um nicht erfolgreich zu sein. effekthascherische anmache für leser desselben schlags. auf konfektionsware stehen sie alle, nur keine massschneiderei, ramsch und kein kostbarer stoff, ausverkauf stark wertreduzierten krams. also, traurig-lustiges wollen wir heute verbraten. traps traps. man stelle einen poeten in die malerische, fixfertig dekorierte landschaft, lehne ihn an die berühmte linde, die halten seit vogelweides zeiten sowieso alle schon für poesie an und für sich. man hätte auch eine kuh ins gras stellen können, genauso. ja, und dann kann man noch beschreiben, was sich halt so sagen lässt über die landschaft, was grad so gang und gäbe, irgendwas blaues fliesst, und es fliesst natürlich ruhig, ein kahn passt auch noch gut hin und der sich stabreimende knabe dazu, es hätte auch ein mädchen sein können, wenn einem statt des kahns ein wort mit m eingefallen wäre. aufs meer hätt das mädchen gepasst, je nun, ein andermal. und nun ein bisschen ausdruckspalette, was haben wir denn so: freundlich, winzig, bunt. das macht sich immer gut, wollen die semmeln ja auch verkaufen und keinen mit kunst vor den kopf stossen. dann müssen zu den adjektiven noch ein paar substantive hin, wir geben schliesslich deutsch, bildung, kultur, was hätten wir denn da einigermassen romantisches zu bieten: lusthäuser, gärten, menschen, ja, die stehen irgendwie auch immer in so gegenden herum, na, geben wir noch ochsen, wiesen und wald dazu, und fertig ist die dritte strofe:

Jenseits erheben sich freundlich,
In winziger, bunter Gestalt,
Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,
Und Ochsen, und Wiesen, und Wald.

c'est le lied. und in dieser munteren aufzählung fahren wir weiter, hübsch beschaulich, übersichtlich, ordentlich, damit nichts, garnichts, zuletzt so etwas entartetes wie kunst geschehen kann.

Die Mädchen bleichen Wäsche,
Und springen im Gras' herum;
Das Mühlrad stäubt Diamanten,
Ich höre sein fernes Gesumm'.

genauso dichten sie noch heute in foren und zonen, büchern und blättern, die bildungsmenschen, leithammel, kulturapostel, solch kleinkarierter pennälergeist leuchtet ihnen als (kritisches!) vorbild, hier haben sie das rezept, das ihnen nie vollständig gelingt, weil heine auf ihrem spiesserniveau doch der talentiertere spitzbube bleibt. und nehmen sich ernst oder nur halb und wursteln sich durchs leben oder wenigstens halb, halb und ernst, humorig und halb, am besten, es ernstet einer zuerst und vor ihnen zum zeichen für alle oder grinst den einsatz. dann kann nichts schiefgehen, und der vorgrinser, -runzler, -beter erkennt, wenns hochkommt, die satire ihres niveaus, das niveau ihrer satire, der aber abzuschwören ihm selbst ebensowenig gelingt, der hirte ist eben teil der herde. dichterlegendchen, denkerlegendchen, heiligenlegendchen aus kinderzeiten. etwas austauschbareres, bildungsfeindlicheres, unbrisanteres gibt es überhaupt nicht.
und nun, trara! die kurve ins tragische!

Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhäuschen steht;
Ein rothgeröckter Bursche
Dort auf und nieder geht.

Er spielt mit seiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenroth,
Er präsentirt und schultert -
Ich wollt', er schösse mich todt.

das ist ein schluss, ein schuss! wer hätts gedacht? und wer glaubt den quatsch? irgendwer erregt, irgendwo ergriffen, irgendwie bekloppt? naja, die einen. die wissen, dass die andern sie für dumm halten. die andern, die fortan glauben, mitsamt heine für klug gehalten zu sein.
so unpersönlich rechenschieberisch, holzschnittartig, abgewetzt ihre grosse dichtung, so unausstehlich unglaubwürdig, so penetrant verkitscht, verquatscht, verzuckert ihr eigenes leben. applaus ihr schafe, wildes glocken- und herdengebimmel! wir haben uns alle so gern!
wie sieht nun die rezeption eines solchen gedichts in der schule aus? oder mit andern worten: wie züchtet man durch bildung schafe? oder noch anders: wie geht die anleitung zum kunstmord? damit von anregung, aufregung, aufklärung, revolte in den jungen köpfen nichts mehr übrigbleibt?
man kriegt an den kopf geschmissen, das gedicht enthalte elemente der traditionellen romantischen dichtung, aber heine suche den übergang zu einer realistischeren darstellungsweise. (man bedenke das wort!)
er stelle harmonie und disharmonie einander gegenüber. man redet den jungs und mädels vom reimschema, kunst, kunst! flötend. man verweist auf den 'stadtgraben' und den geistreich eingebauten bruch mit der metrik.

Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in stiller Ruh';

was bewusst eingebaute störung, unruhe, drohung bedeuten solle.
und, noch subtiler:

Ein Knabe fährt im Kahne,
Und angelt und pfeift dazu.

angeln und pfeifen gehe nicht zusammen, man verhält sich ruhig beim fischen, und das sei nun die berühmte heinsche ironie, ein hauch davon, der angedeutete bruch mit der idylle. der feingeistige zweifel an der harmonie. filigran gesponnen, was? die aufzählung von ochsen, wiesen, wald usw. verstärke die bildhaftigkeit. der leser gewinne so eine bessere übersicht 'über die szene'.
die ochsen notierens säuerlich in ihre hefte.
lusthäuser, wer weiss was drüber? aha, assoziieren eher etwas anrüchiges, sündiges. gut, mein kind, schreib ins heft: berühmte heinsche ironie. wer weiss was von der ironie? hier lernt ihrs. bitte? das sonnenroth? das sonnenroth! ja, starker verweis auf das drohende, schicksalshafte, das ende des tags, was sag ich: der tage! zusammen mit dem ersten vers bildet dieser abschluss einen rahmen. mittelteil ironie, ironie, ironie. anfangs perfekt scheinende gedanken werden wieder verworfen. (perfekt scheinende gedanken: gegenteil von kunst, aber das sage nur ich, keinesfalls der lehrer. selbst dann, wenn sie nicht nur schienen). der sagt, das gedicht kennzeichne eben den übergang von der romantik zum realismus. dann lässt er vielleicht eine arbeit schreiben, seis über heine oder einen andern ähnlich gelagerten gesellen. deutet doch vielleicht schon von anfang an etwas daraufhin, dass der sprecher so zerfallen ist mit der welt, dass er sich den tod wünscht? was fehlt dem sprecher zum glücklichsein? überlegt euch folgende interpretationshypotese: es geht um den überraschenden todeswunsch einer ich-figur. der sprecher ist unglücklich, obwohl die welt, die er wahrnimmt, harmonisch wirkt. welche motive werden verwendet? wie ist das gedicht aufgebaut? man kann gleich das ganze gedicht noch einmal hinschreiben, dann hat man alle antworten auf korrekt. und den literaturgeschichtlichen zusammenhang hat der lehrer ja erklärt. welche perspektive auf die welt hat der sprecher? eine traurige, natürlich, die den lustigen mai verfinstert. eine traurige, natürlich, der stadtgraben ist schmutzig und nicht blau, leider leider, es gibt keine romantik mehr. kein mensch angelt da, schon gar kein pfeifender knabe. berühmte heinsche ironie. und kein mühlrad stäubt diamanten, das ist eben auch irgendwie anders gemeint. man wage ruhig das wort sarkasmus. echt deftig, der olle heine.
nur lyrik, dichtung, poesie ist es nicht. viel zu aufgesetzt, rein rationales konstrukt. keine sprachschöpfung, kein spiel der sinne, nichts von atmosfäre. welche intensionen also mag der verfasser haben, sein tema so zu präsentieren?
tja, fragen über prüfungsfragen. entsinnlichung auf der ganzen linie. einordnung, lernstoff, objektivität.
und man wundert sich, dass die jugend keine gedichte mehr lesen will.
unsre kinder brauchen eine gute bildung!

er mag als journalist seine meriten haben, der honorige harry, es bleibe dahingestellt. als poet wirkt er bieder, gefallsüchtig, idiotisierend, also ganz recht so, wie man ihn brauchen kann, wie es jemanden geben muss, den die meschuggene masse ans goldene herz drücken darf. herrschaft der ordnung über die stimmung, des dauernden, bestätigten, abgekarteten über das momentane, gewagte, lebendige. genauso diese verslein, diese sprache, ihr humor, ihr ganzes gehabe. genauso dressiert man ein kind, engherzig, schal im gefühl, selbstzufrieden und kriegt es klein. damit nichts leidenschaftliches, aufgewühltes, chaotisches übrigbleibe.

Die Nacht ist feucht und stürmisch,
Der Himmel sternenleer;
Im Wald, unter rauschenden Bäumen,
Wandle ich schweigend einher.

Es flimmert fern ein Lichtchen
Aus dem einsamen Jägerhaus';
Es soll mich nicht hin verlocken,
Dort sieht es verdrießlich aus.

Die blinde Großmutter sitzt ja
Im ledernen Lehnstuhl dort,
Unheimlich und starr, wie ein Steinbild,
Und spricht kein einziges Wort.

Fluchend geht auf und nieder
Des Försters rothköpfiger Sohn,
Und wirft an die Wand die Büchse,
Und lacht vor Wuth und Hohn.

Die schöne Spinnerin weinet,
Und feuchtet mit Thränen den Flachs;
Wimmernd zu ihren Füßen
Schmiegt sich des Vaters Dachs.

wir sind bei nummer 5 des zyklus' angelangt. ein musterbeispiel uninspirierter reimerei. eine suade netter, kichriger, schröcklicher dinge.

Die Nacht ist feucht und stürmisch

genau. damit jeder grad merkt, worum es geht. aufregend, nicht? poesie!

Der Himmel sternenleer

so. jeder schreit doch nach den sternen, wenns stürmt: unverschämtheit, keine sterne! sternenleer. gedankenleer.

Im Wald, unter rauschenden Bäumen

nicht zu vergessen, zu verachten: rauschen. w-a-l-d-e-srauschen! will man die kluft zwischen romantik und 'realistischerer darstellung' eben darstellen (fällt mir jetzt auch kein andres wort ein!), hier die fixfertigen zutaten zum ersten punkt des rezepts.
und jetzt schleicht sich schrecken ein, gewagtes, realität:

Es flimmert fern ein Lichtchen
Aus dem einsamen Jägerhaus';
Es soll mich nicht hin verlocken,
Dort sieht es verdrießlich aus.

ja, das ist poesie, feinste! so zarte worte, den schrecken noch abzufedern, so brisant diese heimlich aufgebaute spannung, kann garnicht jeder, nein nein! da laufen ganze filme vor dem geistigen auge ab!
was für fade fetzen kitschs. lichtchen, wie niedlisch. wie kindisch. so rührend der apostrof des jägerhaus', weil in der vierten zeile kein reim gefunden und dennoch der romantisch wirkende dativ-e dem verklärten publikume geboten werden muss. ironisch, ironisch, klaro, machts ja eher noch bedeutender so, denker auch noch, denker, ja, grosser könner heine eben. hinverlocken. soll nicht. nicht hinverlocken. deucht mich schön geheimnisvoll. gefühle transportieren, darum geht es nämlich, gefühle, jaa! darauf stehen sie alle, die tumben und toren des publikums. auch verdriessliche, gewiss, soll ja übergang markieren die schreibe, fertig lustige romantik. quod erat demonstrandum.
der setzkasten des dichters. worte in faule hirne gelettert und gestanzt, der boden dazu ist in den ganglien schon ausgehoben, sehr fruchtbarer boden, die ausdrücke sind hier wie dort schon vorgebildet. bildung eben. bildbedienung, fernbedienung. bildzeitung? auf den punkt: service publique.

na, ist ja ironisch das alles, ironisch. sieht man von weitem, blinde grossmutter, steinbild und kein einziges wort und so, das fluchen zeigts ja auf, der rotköpfige sohn, die schöne spinnerin plötzlich, und seht, das wort flachs grad doppeldeutig verwendbar.

Die schöne Spinnerin weinet,
Und feuchtet mit Thränen den Flachs;
Wimmernd zu ihren Füßen
Schmiegt sich des Vaters Dachs.

that's the german spirit. deutscher humor: aus erfahrung gut. ja, so ist er, der heine, klüger als ich dachte. nur: was soll dieser gutbezahlte flachs, was reimelt der mensch, statt wirklich zu dichten oder dem volke wenigstens einmal die leviten zu lesen. conditio sine qua non der poesie? damit selbst der humor ins lächerliche gezogen? ich denke, anderes tut heine nicht. wie weit kann diese oberflächenironie schon tragen! bis zur aufklärung jedenfalls nicht, sie erteilt ihr noch eine absage. nichts sprachschöpferisches, nichts von innen her, ein andauerndes, penetrantes: seht, seht! der weiss einfach, ist zwar kitsch, was ich schreibe, aber anderes kann ich nicht. wenn ich das ironisiere, meint nun jeder, ich stünde darüber. und hält mich für gut und schick und apart. und wollen doch schauen, dass die kirche im dorfe bleibt. wollen doch keinen ärger säen, keinen wirklichen zwist aufkommen lassen. schadet höchstens dem geschäft.
leider entsteht so auch keine kunst. werden so nur die reihen der schickimickeria geschlossen. und die lässt sich von keinem wahren denker und von keinem echten künstler was vormachen! alles gut konsumierbare schinkchen die verse, kitzeln die eitelkeit, steigern den gefühlshaushalt, verletzen keine seele und touchieren weder stimmung noch esprit, nur den dernier cri.
man wird mit diesem humor keinen einen bessern belehren. aus der alten masche verstrickt er sich höchstens in die neue, hält sich nun plötzlich für aufgeklärter, als er in wahrheit ist und bleibt. oder pendelt zwischen den fronten, wie heine selber, hin und her, wies der moment grad will, her und hin. es dominiert die eitelkeit, die selbstüberhebung, es treiben konsens und herdenbildung ihr trauriges spiel, es regieren überheblichkeit und banausentum, gewinnt das geistig massvolle, nicht das revolutionäre, der konsens, nicht die kunst. jeder kann heine für sich vereinnahmen, für die aufklärung, für den herzschmerz, für die romantik, gegen sie und gegen alles. ein tüchtiger verseschmied, eine zuweilen freche zunge, andernorts voller regression und animosität. aber dahinter steckt nie was profundes, nur parates, nichts kostbares, höchstens köstliches, keine tiefe empfindung, nur selbstgefällige zynik.

kleines heine-quiz:
(patent angemeldet samt idee zu einer fernsehshow)

was reimt sich auf abendschein?
für fortgeschrittene texter: abendscheine?
heine, ja. weiter?
seine. oder alleine. ginge auch auf -schein: allein, sein, usw.
freund hein (den lassen wir mal beiseite. aber gute idee!)
was erglänzt nun im abendschein(e)? na?
das meer.
gut! das ist romantisch genug. nehmen wir das meer.

Das Meer erglänzte weit hinaus,
Im letzten Abendscheine;

nicht wahr, das hat was! klingt doch echt gut, oder? subtil, ausdrucksstark, angenehm zu lesen. wenn man nur den anfang mal hat, der rest geht von alleine. ich hatte doch ein mädchen im sinn, welches zum meere passt... gut, ich sitz dort mit ihm - alleine, das hab ich ja auch schon.
muss sich noch was auf 'hinaus' reimen.
maus?
nein.
graus.
hm, könnt gehen.
oder fischerhaus?
yes!

Das Meer erglänzte weit hinaus,
Im letzten Abendscheine;
Wir saßen am einsamen Fischerhaus,
Wir saßen stumm und alleine.

manchmal hat es da so nebel. und viel wasser eben.
was tuts? es schwillt?
also: es schwoll in dem falle.
gut, schon goethe hat darauf 'liebevoll' gereimt, dann kanns nicht falsch sein. die liebevollen augen des mädchens, die sich aufs 'wasser schwoll' reimen...ich versuchs mal:

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Eine Möve flog hin und her;

das geht metrisch nicht. aber die möve gefällt mir: DIE!

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Die Möve flog hin und her;

perfekt. und dann eben:

Aus deinen Augen, liebevoll....

hm. quollen die tränen?

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Die Möve flog hin und her;
Aus deinen Augen, liebevoll...

schwollen - quollen? ja, aber...
nein, so: sie rinnen herab. hinundher die möven. herab die tränen.
oder: fallen nieder, ginge auch.
bingo: möve fliegt nicht hin und her, sondern hin und wieder!

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Die Möve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Thränen nieder.

und so macht man das, step for step, am schluss hat einer einen ganzen zyklus zusammen. hier also ein weiteres exemplar:

Das Meer erglänzte weit hinaus,
Im letzten Abendscheine;
Wir saßen am einsamen Fischerhaus,
Wir saßen stumm und alleine.

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Die Möve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Thränen nieder.

Ich sah sie fallen auf deine Hand,
Und bin auf's Knie gesunken;
Ich hab' von deiner weißen Hand
Die Thränen fortgetrunken.

Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib,
Die Seele stirbt vor Sehnen; -
Mich hat das unglücksel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thränen.

versatzstücklyrik. entstammte sie tiefen gedanken, echter stimmung, die sich ihre sprache erst formt, da keine worte gleich paratlägen wie geschenke unterm tannenbaum, es wäre nicht zu dieser kunterbunten mischung, dieser aus beliebten flügellahmen wendungen bestehenden anhäufung operettenhafter trällerei gekommen.

Das Meer erglänzte weit hinaus,
Im letzten Abendscheine;

solche bilder verkaufen sich gut. den posterabdruck kriegt jeder verkitschte esel schon mit der muttermilch ins gemüt geschmiert.

Wir saßen am einsamen Fischerhaus,
Wir saßen stumm und alleine.

die wiederholung des verbs eine retorische leerformel, weil nichts für die integrität der aussage spricht, zwitter von falschem patos und volkstümelnder melodei.

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Die Möve flog hin und wieder;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Thränen nieder.

anleihe bei goethen. was hier klingt wie ein fauler witz, geht im original so:

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach der Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.

hier haben wir echte lyrik, sprache voller erotik, verführung, spiel der sinne, des betörenden klanges, der lust. ein meister spielt die klaviatur. heine bietet nur ein mechanisches ersatzinstrument, den immergleichen, groben anschlag, immergleiche, indifferente betonung. vom intendierten volksliedcharakter bleibt kein rest übrig, billiges schnäppchen der ersten strofe, zeilen drei und vier.

Ich sah sie fallen auf deine Hand,
Und bin auf's Knie gesunken;
Ich hab' von deiner weißen Hand
Die Thränen fortgetrunken.

ein plötzliches, pseudopatetisches du, die faust aufs auge. man kann die strofe immer noch für humor halten, dem aber wie immer die grundierung fehlt, das rückgrat, das fundament. weicher, seichter, hässlicher pflotsch. man kann sie für subtil und gehaltvoll halten, nicht wenige werden es tun. und man kann sie für formal perfekt, grandios halten, wenn einem grad quadratisch zumute, für gelungenen gefühlstransport, akademisch genug gesprochen, der verschiedene deutungswelten eröffnet.
für jeden etwas.

Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib,
Die Seele stirbt vor Sehnen; -
Mich hat das unglücksel'ge Weib
Vergiftet mit ihren Thränen.

ein gemischtwarenladen. die idee, ein du anzusprechen, war auch nur ein so unpassender einfall, dass ihm schnell wieder entsagt wird. nun laute klage über das weib, demonstrativ exhibitionistischer liebesschmerz, wichtigtuerei von gift und gram und galle. vorlage für manchen bescheuerten schlager seitdem.
geschenkidee für den tannenbaum, für diesen anlass das richtige: kauft die sammlung und schlagt im trauten kreis heiligabend das spiel vor, die verslein gegeneinander auszutauschen, ihr werdet sehn, wie flott es geht, dass ihr selber, wer hätts gedacht, kunst machen könnt.

es liesse sich noch lange in pfützen stochern mit diesen gedichten. echt gut find ich keins, und von den billigsten klamotten hab ich noch gar nicht gesprochen. pars pro toto noch ein letztes, eines der berühmtesten des dichterlings überhaupt, und bestimmt nicht sein schlechtestes:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar
Ihr gold'nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold'nes Haar.

Sie kämmt es mit gold'nem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh'.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.

die loreley.
dem losen volk ein lied ins maul.
hernach singen und klingen die abgelebten seelen wie frische kinder.
(abgesehen von silchers eins-vier-fünf-geschrummel: es gibt zahlreiche grosse vertonungen auf der grundlage heinescher werke, vielleicht ist heine gar der meistvertonte romantische gedichtemacher. gute musik überstrahlt halt alles. heines verse geben nur den text ab zur musik.)

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

bewährter, formelhafter beginn. das kann man so machen. das darf man so machen. traditionelle beschwörung, nichts sinnliches noch, aber nichts dagegen.
auch die zwei nächsten zeilen sind noch gut, arbeitsgerüst, tadellose introduktion:

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;

man kann nur vom schlusse her die plattheit des anfangs erspüren. er hätte durchaus den raum offengelassen für ein gutes gedicht, für substantielle sprache, für echte poesie. noch wär nichts verloren gewesen, wenn auch noch nichts gewonnen. jetzt aber müsste etwas entsprechendes kommen. stattdessen aber kommt:

Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

ein jodleridyll. eine heimatzähre. ach, ein herzhupf hoch und hehr. was kann man weiteres erwarten ausser einem frommen betrug?

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar
Ihr gold'nes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr gold'nes Haar.

nichts schiefgegangen. nur das 'wunderbar' klingt etwas angenagt, wegen der vorherigen strofe. selber schuld. und sonst: die volkssage widergegeben. nicht mehr, nicht weniger. wollen sies in geschenkpapier eingewickelt?

Sie kämmt es mit gold'nem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

alles geschliffen, alles perfekt. nur nichts poetisches, es werden glasierte stückchen geboten. nichts wirklich sinnliches, kein mensch hört eine wundersame melodei, die atmosfäre knistert nicht im ernst, alles ist so recht und rechtschaffen und im gewöhnlich-pseudolyrischen trott, dass man das eigentlich unpassende des adjektivs gewaltig fast überhört, weil nichts abstumpfender wirkt als eine solche reissbrettpoesie, eine solche monoton summende und schrummende kopiermaschine. ja, und wenn wunderbar so wunderbar ging, so perfekt pittoresk, so aalglatt geschmeidig, dann wird wundersam nicht schlechter gehn. eher noch besser.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh'.

irgendwas müssen sie ja zu singen und zu beissen haben, die freizeitchöre und gelegenheitsromantiker. irgendwas schönes die liebespärchen, was auf vorgedruckten kartengrüssen steht. ironie, schon wieder, pieps pieps? wohl nicht mehr. eine schmunzelschunkeldramödie. eine volksverarschung? dafür wohl zu ernst gemeint. eine hilflosigkeit, geradezu peinlich die vierte zeile. wie füllmaterial. ergibt am schluss ein ausgestopftes vakuum. o wildes weh! o stolze höh'! mit apostrof!

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lore-Ley gethan.

ebenso prosaisch und bündig, spröde und plötzlich, abrupt:

Ich glaube, den Heine verschlingen
Am Ende Schmierstoff und Tran;
Und das hat mit seinem Singen
Der Heine selbst getan.

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