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schandfleck.ch_textkritik/2006/dezember
daniel costantino
 

rose, meer und sonne

betrachtungen zur deutschen lyrik

 

ich gestehe frank, von der poesie nichts zu verstehen. ich foutiere mich um rezeption und soziologie. ich verkenne teorien und epochen. ich schere mich keinen deut um würdigungen und medaillen. ich bin so dumm, dass mich das lirumlarum der kunst- und literaturkritiker nur ermüdet. sie zählen zeilen und strofen. sie wissen von berührungspunkten und affinitäten. sie reden vom jetzt und vom kommenden, von der räumlichen distanz des ichs zum du, von konfigurationen und paradoxen, von zuordnung und auflösung, von zirkeln und konsequenzen und begriffen. sie picken wie graue möwen nach den brosamen hingestreuten futters, das sie in grauen wälzern ihrer kollegen finden und in den broschüren prosperierender verlage und da und dort im selbstlob der autoren. sie bestätigen einander die reine lehre wie katolische bischöfe ihre anrüchigen exegesen der sexualmoral, sie kolportieren von generation zu generation den spiessigsten quatsch und machen damit schule. sie sind die schule selbst und walten ihres amts wie eines pontifikats und verbiestern heerscharen von lehrern und schülern. aber sie verraten mir keinen ihrer gedanken. es ist nicht herauszukriegen, ob ihnen ein gedicht zum beispiel gefällt oder nicht. sie verweigern meinung und persönliche stellungnahme. und dann und wann halten sie mir vor, ich erhöbe meine meinung zum absolutistischen mass. monieren sie, eine kritik müsse berechenbar sein wie das kunstwerk selbst. es sei nicht angängig, meine meinung überhaupt zum mass zu erheben.
nun, ich glaube, ich bin als leser tatsächlich das mass der dinge. ich kann an einem autor scheitern; er aber auch an mir. er ein mass, ich ein mass. eine einszueinssituation. er erzählt mir was, und ich schreibe auf, was mir dazu einfällt. ich werde einen teufel tun und mir einen maulkorb umbinden, nur damit die herrschenden verhältnisse, also die verlogenheit, keinen schaden erleidet. so will ich euch denn die tore öffnen meines absolutistischen königreichs, das nur der eigenen dummheit untertan.
(pikierte germanisten brauchen ja nicht weiterzulesen.)

Rose, Meer und Sonne

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Fasst mein ganzes Leben ein.

Aller Glanz, ergossen,
Aller Tau der Frühlingsflur
Liegt vereint beschlossen
In dem Kelch der Rose nur.

Alle Farben ringen,
Alle Düft' im Lenzgefild',
Um hervorzubringen
Im Verein der Rose Bild.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Fasst mein ganzes Leben ein.

Alle Ströme haben
Ihren Lauf auf Erden bloss,
Um sich zu begraben
Sehnend in des Meeres Schoss.

Alle Quellen fliessen
In den unerschöpften Grund,
Einen Kreis zu schliessen
Um der Erde blüh'ndes Rund.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Fasst mein ganzes Leben ein.

Alle Stern' in Lüften
Sind ein Liebesblick der Nacht,
In des Morgens Düften
Sterbend, wann der Tag erwacht.

Alle Weltenflammen,
Der zerstreute Himmelsglanz,
Fliessen hell zusammen
In der Sonne Strahlenglanz.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Fasst mein ganzes Leben ein.


dies gedicht von friedrich rückert (1788-1866) ist charakterlos wie ein frömmelnder priester und daher bestens geeignet, es zum kulturbestand der deutschen sprache zu zählen. es atmet nicht, es duftet nicht, es zündet keinen funken poesie. es ist so erotisch wie der heilige geist und genau so sinnlich, wie es nach dem unnatürlichen knigge der ehrbaren christenheit noch sein darf. es ist reine bestätigungslyrik und benutzt die bequemsten klischees. unverkennbar hat es etwas gebetsmühlenartiges und bezieht diktion und intension von den vorbildern morbider religiöser literatur. ausgetrocknete, zur behauptung erstarrte leidenschaft, eine unsinnliche und wohlfeile anhäufung gefälliger vokabeln und vergleiche. für ein echtes kunstwerk viel zu forciert, zu gemacht, zu geprotzt. und wenn einer einwendet, die sprache sei halt veraltet und der heutigen zeit nicht mehr gemäss, so sei ihm entgegnet, dass es derlei fromme gebetlein schon immer gegeben, dass die damalige zeit ebenso verknullert, verspiessert, seelisch verkrüppelt gewesen wie die heutige und dass man durchaus ehrbares handwerk vom kitsch zu allen zeiten unterscheiden kann. was sich im grossen durchsetzt, war alleweil der massengeschmack, ein braves, gegängeltes, in vielerlei hinsicht malträtiertes und bevormundetes haustierchen. und man hat seit einführung der schulpflicht den jungen diese magere kost vorgesetzt und ihnen als opladen angedienert - wenige ausnahmen bestätigen nur die regel. wie schaut es denn heutzutage aus? wird man unsre fernsehprogramme, die schlagerparaden, den ramsch der zeitungen, die predigten der bischöfe und die sonntagsreden der politiker in zweihundert jahren ebenso mit dem argument der damaligen zeit schönreden? gewiss. wird einer noch rufen: kitsch! betrug! dummacherei! oder wird er sich sagen lassen müssen, er könne das nicht beurteilen und sein eigenes mass gelte hier nicht? und man wird den blechtrommler verehren, weil man ihm schon heute huldigt, dürrenmatt bedenkenlos für einen dichter halten und hesses lyrik preisen als wie die meisen immerdar. man wird die präsidenten loben, weil sie heute regieren, und den siegern huldigen, weil sie heute die grosse kohle machen. und in amt und würden sind sie alle, weil die welt betrogen sein will. und kommt es etwa an den tag, dass eine stelle der bibel gefälscht oder dass sie die gewalt verherrliche - nun, die sprache der zeit, die blumigen übertreibungen des orients, die irrtümer heiliger seelen!

zurück zum gedicht.
rückert weigert sich, nach wahrheit zu suchen. er täuscht verzückung nur vor.

Rose, Meer und Sonne
Sind ein Bild der Liebsten mein,
Die mit ihrer Wonne
Fasst mein ganzes Leben ein.

die liebste mit ihrer wonne. wie peinlich das wörtchen 'mit', wie entlarvend. ist das berückend etwa, 'mit einer wonne' jemandes ganzes leben 'einzufassen'? als mit einer wanne? oder einem leichentuche? und der reim sonne-wonne alles andre als gut, der erste beste. wie viel zärtlicher, inniger, poetischer zumal etwa die verse walthers von der vogelweide, jahrhunderte zuvor. aber hier: ganz dicke aufgetragen, aller glanz, aller tau, alle farben, alle düft', immerzu alle, alle, alle. alle-lujah! nun muss ich wirklich der beste sein, schriebe ich solche liebesbriefe! kann man sich das verdatterte mädchen vorstellen, das ich damit kirrte? und die biedere, vergitterte, stinklangweilige ehe, die daraus erwüchse? und erst die abdankung, nachdem der tod sie geschieden!

Aller Glanz, ergossen,
Aller Tau der Frühlingsflur
Liegt vereint beschlossen
In dem Kelch der Rose nur.

Alle Farben ringen,
Alle Düft' im Lenzgefild',
Um hervorzubringen
Im Verein der Rose Bild.

das ist so recht mit den symbolen gewuchert. riecht das nach was? ergibt das ein bild, einen ton, eine stimmung? blutleere wortspielereien. eine todesannonce. die leidenschaft ist leider gestern früh verstorben. wir tragen ein ehrendes gedenken. und trauern sehr. und war doch voller düft' im lenzgefild'!
à propos: über den zusammenhang gehäuft auftretender metrischer apostrofe mit freund kitsch wäre mal eine dissertation zu schreiben. bei allen düft' im lenzgefild'!
rose, meer und sonne....in den sechzigerjahren sang ralf bendix 'sonne, mond und sterne' - nebst seinem babysitter-boogie. gleicht dies gedicht nicht auch einem schlager, wettbewerb für schöngesinnte kunstbeflissne? die noch wahren idealen sich verschreiben und nicht dem tand er mode!
rose, meer und sonne, wie passend zusammen. aber gewiss kein ehrlich liebender, kein tiefergriffner hat das erfinden können. da hat sich mancher christliche wälzer von dunnemals und manch gesalbtes hirtenwort, eine ganze zeigefingrige erziehung und verblödung, verödung zwischen den schreiber und seine leidenschaften gelegt. ich stelle mir eine karikatur wilhelm buschs dazu vor: 'ein dichterling der holden art, der sprach und strich sich seinen bart...'
also, das sind ganz brave, wackere aufzählungen, fortgesetzte superlative, entsprechend den erwartungen eines geneigten publikums. man setze sich mit dem gedicht auseinander und sei am ende davon begeistert, wie rückert sein verständnis von der welt und die ihn umgebenden dinge in verse bringt. o vergeigte reimerei ohne atmosfäre und stimmung, ohne nuancen und steigerung, so meilenweit weg von poesie wie die konvention von der kunst. prägt sich da was ein? als neu? als eigenständig? als unnachahmlich, genial? nein, das gedicht bestätigt bloss ein antierotisches verhältnis zur liebe und ein suspektes zur natur:

Alle Weltenflammen,
Der zerstreute Himmelsglanz,
Fliessen hell zusammen
In der Sonne Strahlenglanz.

die natur sei da, sie reimend abzubilden. man stelle sich den zusammenfluss aller, aber auch aller weltenflammen, mitsamt zerstreutem himmelsglanz und so, einmal bildlich vor - o sonn', o sonne, wir komm', wir kommen!

So wahr die Sonne scheinet

So wahr die Sonne scheinet,
So wahr die Wolke weinet,
So wahr die Flamme sprüht,
So wahr der Frühling blüht;

So wahr hab' ich empfunden,
Wie ich dich halt' umwunden:
Du liebst mich, wie ich dich,
Dich lieb' ich, wie du mich.

Die Sonne mag verscheinen,
Die Wolke nicht mehr weinen,
Die Flamme mag versprühn,
Der Frühling nicht mehr blüh'n!

Wir wollen uns umwinden
Und immer so empfinden:
Du liebst mich, wie ich dich;
Dich lieb ich, wie du mich.

auch dieses gedicht rückerts bleibt dem deklamatorischen verhaftet. seelenspannung, tiefe empfindung, zauber der poesie und verwandlung erstickt es im keime. es hat mit sprachkunst nicht das geringste zu tun, wirkt artifiziell-naiv, eindimensional wie das vorherige, lustlos, impotent. ein bisschen sonne, ein bisschen wolke und flamme, ein bisschen frühling. von allem etwas. die wolke weint. behauptet rückert. aber das weinen ist nicht gestaltet, bloss gesagt. von empfindung ist die rede, aber eben nur die rede. echtes erleben und bestreben klingt unbedingt anders, welches jahrhundert der dichtkunst man immer nehme. eine übung in versschmiederei, weiter nichts. futter für kindische tröpfe.

da fällt mir ein altes volkslied ein, ich glaube, eines unbekannten verfassers. es ist jahrhundertealt. ich zitiere, da ich es nirgends wiederfinde, aus dem gedächtnis:

schönster abendstern
ach, wie seh ich dich so gern
wenn ich dich von weitem seh
wünsch ich, dass ich bei dir wär

schönster tulipan
deine schönheit lacht mich an
du bist mein und ich bin dein
keines andern lieber sein

schönstes röslein rot
will dich lieben bis in tod
will dich lieben aus herzensgrund
will dich lieben tag und stund

schönste, weine nicht
von herzen lieb ich dich

ein sehr einfaches, inniges und tiefempfundenes gedicht. es atmet güte und sehnsucht in einem. es klingt beglückt, aber es schwingen auch wehmut mit und melancholie. mit wenigen worten helle und dunkle saiten, zarte nuancen, besorgnis und ruhe. kein streben nach effekt, nach superlativen, nach glanz und gloria. und sehr melodisch. es lässt der fantasie spielraum, setzt dreimal an, und mit jeder strofe verändert sich fast unscheinbar die stimmung, verschiebt sich die distanz vom sänger zur geliebten: zärtliches herzliches begehren; liebesglück der vereinigung; und schon, in der dritten strofe, die andeutung der scheidung durch den tod. es ist einem leser ohne weiteres auch heute noch möglich, die menschliche substanz dieser zeilen in sich aufzunehmen. und zwar dadurch, weil das gedicht formal eine ganz eigene prägung aufweist, eine eigene persönliche sprache. dadurch erst verströmt sich die menschliche substanz, die seelenspannung in die struktur. man mag es bescheidener mittel zeihen, schlichten stils und einer herkömmlichen anschauung verbunden - es muss ja nicht jeden berücken. aber die mittel sind ehrbar, der stil unbedingt aus einem reinen guss, es erklingt ein echter, zärtlicher ton. und um die (welt-)anschauung kann es nicht gehen in der analyse der sprachkunst. es steht erhaben über der klotzigen emfase, der undynamischen aufzählerei, den schulmeisterlichen ambitionen rückerts.

Mondnacht


Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.


Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.


Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

dies gedicht josephs von eichendorff (1788-1857), eines zeitgenossen, jahrgängers rückerts also, erfüllt meines erachtens die voraussetzungen eines kunstwerks.


Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst


ein anfang von einprägsamer bildhaftigkeit, mit einem tupfer sprache befinden wir uns im banne zauberhafter umgebung, wird sehnsucht gestaltet, unser tastsinn geweckt.

Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst

ausgesprochen sinnlich, in dichtem zusammenhang wird das seelenerlebnis fortgesponnen, die natur ins kosmische gestellt. wie bei einer guten musik ist nicht absehbar, wie das schon hier reichhaltige gespinst sich weiterentwickelt. die fantasie des lesers hat sich belebt, hingegeben lauschen wir mit der gabe unseres eigenen ahnens und träumens.


Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht

die zweite strofe bezieht ihre kraft, ihre seele aus der ersten; stünde sie alleine da, wirkte sie schwächlicher und weniger berückend. aber jetzt empfinden wir dies wogen und rauschen ganz anders, hat sich der raum weit geöffnet, wird niemand den eindruck haben, die natur sei hier bloss beschrieben.

Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht


kann mans nicht hören, spüren, sehen nun? die nacht steht deutlich, plastisch, irisierend vor uns. vielmehr, wir selbst stehen mittendrin, atmen die beschwörung, spüren in allen fasern den zauber, trunken von der offenbarung einer solchen natur.


Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.


eine grosse strofe. wie kann man das sehnen eindrucksvoller gestalten? eben gestalten, und nicht bloss dümmlich-naiv deklamieren. eine ganz persönliche poetische handschrift. sie gewinnt gerade dadurch verbindlichkeit, erreicht den leser in seinem tiefsten hoffen und begehren. ist die nacht hier ein blosses wort? hat sie noch dunkles überhaupt? scheint sie nicht von schillernder farbe verklärt? leuchten wir nicht selber in hellen, in hellsten facetten? und wäre dies und unser tiefes und gedankenvolles aufatmen hier nicht durch die subtile, künstlerische art erklärt, wie eichendorff eben die sprache gestaltet und keineswegs einszueins uns die sache erklärt, doziert, belehrend vor augen hält? da wirkt eine magie der sprache, da werden ahnungen geweckt, da wird weit mehr und kostbareres geboten als information und bekenntnishaftes eifern des autors. hier haben wir kein wohlfeiles positives trallala, hier fühlen wir uns ergriffen. und das geschieht nicht durch den inhalt, sondern durch die kunst, wie der inhalt geboten wird.

ich hoffe, ich habe dem argument von der 'sprache der damaligen zeit' den wind aus den segeln genommen. es wird immer dann angewandt, wenn einer an alten festungen rüttelt, tradierte konvention angreift. die heutige zeit schreibt anders. das soll sie tun. das muss sie tun. nichts kitschigeres, imitatorischeres, kunstloseres, als etwa eichendorff heute im vollen ernst zu kopieren. aber grösse einer sprache bleibt zeitlos gültig. es ist durchaus möglich, von heute aus zu unterscheiden, was damals gut und was schlecht geschrieben wurde. es ist, im gegenteil, eigentlich schwieriger, das schaffen heutiger autoren zu beurteilen, weil man selbst der gerade gängigen konvention unterliegt, selbst fortlaufend verkitschte zeitgenössische gedanken im hirn und bilder vor augen hat, selbst in der korruption des eigenen geistes zu versinken droht. und damit gefahr läuft, das kleine zu überschätzen und das grosse zu verkennen. und weil nicht zuletzt die marktanalyse gegen einen spricht. es ist nicht schwer, eichendorff zu loben, und genau so leicht, rückert zu preisen. sie sind beide anerkannt, die schulbücher und die antologien publizieren beide in grosser zahl. doch die spreu vom weizen zu trennen, bedingt eigenständigkeit sowohl im hinblick auf die alten dichter wie noch viel mehr in bezug auf die anerkannten zeitgenössischen. man hat nun nicht mehr bloss ein paar gelahrte professoren und schulmeister gegen sich, sondern die ganze verdummte literatur-schickimickeria des heutigen tags.

So wahr die Sonne scheinet,
So wahr die Wolke weinet,
So wahr die Flamme sprüht,
So wahr der Frühling blüht


merkt man, wie mickrig, dürr und saftlos eine solche poesie ist? spürt man es nun?

Alle Stern' in Lüften
Sind ein Liebesblick der Nacht,
In des Morgens Düften
Sterbend, wann der Tag erwacht.

Alle Weltenflammen,
Der zerstreute Himmelsglanz,
Fliessen hell zusammen
In der Sonne Strahlenglanz.

nach der offenbarung des eichendorffschen gedichts wird man diesen übungen rückerts nicht mit gutem verstande einen dichterischen wert beimessen können. die einzige ansprechende strofe ist die von den stern' in lüften - der vergleich mit dem liebesblick der nacht und dem sterben in des morgens düften. aber so genial, dass man dafür die andern, banalen, in kauf nähme, ist sie auch wieder nicht.
im ganzen viel zu holzschnittartige, grobschlächtige, mit der faust aufs auge reimende gebilde ohne sinnlichkeit und einprägsame bilder. botanisierlyrik. bestätigungsliteratur. unpersönlicher, seelenloser superlativismus.


An die Schönheit

So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder· die vom Sonnenleuchten trunken·
ein Lächeln um den Mund· voll süssem Bangen


und ganz im Strudel goldnen Lichts versunken·
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die grosse Stadt ertrunken·


kühl schauernd steigt die Nacht aus braunen Tiefen.
Nun legen zitternd sie die heissen Wangen
an feuchte Blätter· die von Dunkel triefen·


und ihre Hände tasten voll Verlangen
auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel·
das hinter roten Wäldern hingegangen - -


ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.

ein tief empfundenes gedicht voller poesie. eine grosse seele. einmaliger, ganz persönlicher ton, reiches beziehungsgeflecht, aufbau der stimmung, facettenreiche färbung. ernst stadler (1883-1914) ist ein erstrangiger dichter, der seine werke gestalten, die handlung in einen zusammenhang stellen, seine worte wirken lassen kann. nichts ist hier platt gesagt, behauptet, mit zaunpfahl und attitüde zum besten gegeben. die vom sonnenleuchten trunknen kinder, die im strudel noch goldnen lichts aus dämmergrauen abendtoren laufen, die im rauch ertrunkne ferne stadt, das aufsteigen der nacht aus den tiefen - bilder, die ein grosser maler malt. von anfang an ist die atmosfäre von vergängnis umwittert und verfall. die reminiszenz an das glück der kindertage, verdämmernd wie die abendtore der fernen stadt, umhüllt der scheidende tag von der nacht, wie das leben vom verfall, die existenz vom nichts, vom unaussprechlichen. der griff nach dem letzten sommertagsgefunkel wie die sehnsucht nach dem leben, das wie hinter roten wäldern hingegangen. da kann meine fantasie erblühen, wird meine eigne existenz das mass, werde ich persönlich ergriffen und meiner tiefen gefühle gewahr.
und die grosse letzte zeile!

ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.

ein souveränes, ruhiges gedicht. und ausgesprochen sinnlich: die farben. aber auch der sinn für den raum, (fern die grosse stadt), für die temperatur, der tastsinn wird angeregt, ebenso wie am schluss, ihr leises weinen, ein ton verklingt, wie eine in sich gekehrte klage. worte auf der goldwaage gewogen. ein einzelnes falsches, alltägliches, ungenaues, flaches, objektives - die strofen wären futsch. stimmung entsteht im bezug der worte und sätze aufeinander. es gibt in der dichtung keine synonyme. (den epigonen seis ins stammbuch geschrieben.) wohl hat stadler verschiedene fassungen niedergeschrieben, bevor er die letzte für gültig genommen hat. vielleicht hat er hier ein wort ersetzt, dort einen satz verändert. das muss unbedingt auswirkungen gehabt haben auf das ganze, wird geheissen haben, dass er die ganze strofe hat umgestalten müssen, weil ein einziges wort unbedingt auf die andern abfärbt, sie wiederum beeinflusst im gehalt, mit seiner eigenen magie, die auf den gesamtzusammenhang wirkt, überhaupt erst wirken kann auf dieser höhe der sprachkunst. es ist von der ersten zeile an ein sog in dem gedicht, dem man sich nicht entziehen kann. er wird dadurch erreicht, dass stadler aus tiefer gefühlsregung schöpft, aus dem instinkt schreibt und formt. und er hat die sprache und das vermögen, diesem instinkt, dieser gedanken- und gefühlsessenz ausdruck zu verleihen. das gedicht ist nicht nur ohne fehl und tadel, es ist genial. man kann es nicht ein- für allemal erfassen, es wirkt bei jedem wiederlesen wieder anders und voller, nunacierter, prägnanter, wird es des weitern tun. man liest es in jeder fase des lebens wieder anders, denn es ergreift den ganzen menschen, der man war und ist und sein wird. bis zur neige.

Gang in der Nacht

Die Alleen der Lichter, die der Fluss ins Dunkel schwemmt, sind
schon erblindet
In den streifenden Nebeln. Bald sind die Staden eingedeckt
Schon findet
Kein Laut den Weg mehr aus dem trägen Sumpf, der alles Feste
in sich schluckt.
Die Stille lastet. Manchmal bläst ein Wind die Gaslaternen auf
Dann zuckt
Über die untern Fensterreihen eine Welle dünnen Lichts und
schiesst zurück. Im Schreiten
Springen die Häuser aus dem Schatten vor wie Rümpfe wilder
Schiffe auf entferntem Meer und gleiten
Wieder in Nacht. O diese Strasse, die ich so viel Monde nicht
gegangen -
Nun streckt Erinnerung hundert Schmeichlerarme aus, mich
einzufangen,
Legt sich zu mir, ganz still, nur schattenhaft, nur wie die letzte
Welle Dufts von Schlehdornsträuchern abgeweht,
Nur wie ein Spalt von Licht, davon doch meine Seele wie ein
Frühlingsbeet in Blüten steht -
Ich schreite wie durch Gärten. Bin auf einem großen Platz. Nebel
hängt dünn und flimmernd wie durch Silbernetz gesiebt -
Und plötzlich weiss ich: hinter diesen Fenstern dort schläft eine
Frau, die mich einmal geliebt,
Und die ich liebte. Hüllen fallen. Eine Spannung bricht. Ich steh'
bestrahlt, besternt in einem güldnen Regen,
Alle meine Gedanken laufen wie verklärt durchs Dunkel einer
magisch tönenden Musik entgegen.

äusserst konzentrierter text, dichte, schwerblütige verse. die aber trotz aller last und bedrängnis etwas brüderliches, heiteres, traumverwandeltes ausstrahlen. die einladung des dichters, ihn auf seinem gang durch die nacht zu begleiten, nimmt keiner leichtfertig an. er holt überhaupt kein 'publikum ab'. das verständnis für das gedicht setzt nicht kenntnis, sondern bereitschaft und wagnis voraus.
meisterhafter stabreim,

Die Alleen der Lichter, die der Fluss ins Dunkel schwemmt, sind
schon erblindet

organisch, fast unauffällig gesetzt,

In den streifenden Nebeln. Bald sind die Staden eingedeckt
Schon findet

korresponiert mit dem zusammenklang der vokale und der vereinigung gleichlautender konsonanten, fast wie von ungefähr, als ob es das einfachste wär -

Kein Laut den Weg mehr aus dem trägen Sumpf, der alles Feste
in sich schluckt.

die bilder bestechen durch plastische vorstellungskraft, das geschehen wird genau geschildert, die vergleiche kühn in einen vieldeutigen zusammenhang gestellt.

Die Stille lastet. Manchmal bläst ein Wind die Gaslaternen auf.
Dann zuckt
Über die untern Fensterreihen eine Welle dünnen Lichts und
schiesst zurück. Im Schreiten
Springen die Häuser aus dem Schatten vor wie Rümpfe wilder
Schiffe auf entferntem Meer und gleiten
Wieder in Nacht. O diese Strasse, die ich so viel Monde nicht
gegangen -

atmosfäre entsteht, vision und dimension. und wie wundervoll einfach und ruhig das klingt, mit wieviel verlebendigung und bewegtheit wird hier gestaltet! die sprache wächst über die bedeutung ihrer einzelnen worte hinaus. wieviel wiegt jedes détail, wie sehr gewinnt selbst ein unscheinbares wort wie 'manchmal' hier an kontur und wirkung. wie sehr hebt sich die distanz vom gebotenen zum betrachter auf, nehmen wir teil am geschehen, wandelt sich das gesagte wort zur eigenen inneren realität. und wenn ich eingangs von schwerblütigen versen gesprochen, so habe ich doch nur eine ebene dieser sprache gestreift. sie öffnet sich dem luftigen, gespenstergleichen, abenteuerlichen ebenso.

Im Schreiten
Springen die Häuser aus dem Schatten vor wie Rümpfe wilder
Schiffe auf entferntem Meer und gleiten
Wieder in Nacht.

es ist viel zu viel licht und farbe da, zu starke helle magie im text, zu viel urwüchsige, bejahende kraft, als dass man ihn als schwermütig alleine abtun könnte.

Manchmal bläst ein Wind die Gaslaternen auf. Dann zuckt
Über die untern Fensterreihen eine Welle dünnen Lichts und
schiesst zurück.

die steigerung des gefühls, die zusammenklänge inneren erlebens wirken insgesamt. jede schattierung, alle nuancen, der ganze unauslotbare bereich der empfindungen (und des verstands!) werden hier künstlerisch vertieft und erhöht zugleich.
ich bin begeistert.
eine inhaltliche zusammenfassung wäre belanglos. man braucht diese wenigen zeilen nicht zusammenzufassen. jeder kann selber lesen. und man kann nichts derartiges zusammenfassen, ohne es zu zerreden. es geht um die art und weise, wie sprache gestaltet wird, wie inhalt überhaupt duch die form wirken und seine kraft entfalten kann. die art und weise, wie stadler dies vermag, ist höchste sprachkunst. eine kostbare musik. man hat eine grosse reise gemacht.
und wenn er, aus schattenhafter erinnerung, plötzlich wie durch gärten schreitet (welch wunderbarer vergleich!), bestrahlt in einem güldnen regen steht - wieviel süsse und verklärung nun, befreiung schwingt da mit!

Alle meine Gedanken laufen wie verklärt durchs Dunkel einer
magisch tönenden Musik entgegen.

und ebenso die meinen. -

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